Oft ist die Rechtslage unklar, das Originallabel lange schon nicht mehr existent, der Lead-Sänger verschollen, die Masterbänder zerstört, die Verträge abgebrannt, die Nachkommen zerstritten oder kaum zu finden. „Manchmal ist man froh, wenn man überhaupt jemanden findet, der einem das Geld abnimmt und idealerweise unterschreibt, dass er die Rechte hat“, gesteht ein Labelbetreiber, der lieber anonym bleiben möchte. Abgesehen davon haben nicht immer die MusikerInnen die Rechte inne, obwohl sie in einer perfekten Welt die Tantiemen verdienen würden. Der bekannteste Fall einer solchen Win-Lose-Situation ist der von Clyde Stubblefield: Der „Funky Drummer“-Schlagzeuger hat nie etwas an seinem legendären Drumbreak verdient, obwohl es sich um die meistgesampelten Takte der Musikgeschichte handelt. Einigen Labels erscheint es so sinnvoller, Bootlegs zu pressen oder die teils recht schwammige Gesetzeslage wie etwa die Verjährung des Urheberrechts 70 Jahre nach dem Tod des Verfassers auszunutzen.

Nazi-Musik und nigerianischer Funk

Um halblegale Geschäftspraxen ging es auch bei einer Kontroverse um das österreichische Label PMG, welche die Szene seit Monaten auf Trab hält. Der im Biz prominente Digger, Ex-Labelchef und -Blogger Frank „Voodoofunk“ Gossner warf PMG-Betreiber Markus Presch vor, er habe auf einem anderen Label Nazi-affine Musik veröffentlicht und die hauptsächlich nigerianischen Künstler, von denen er Alben lizensierte, ausgebeutet. Die moralische Diskussion um PMG polarisiert bis heute, die Konsequenzen aber sind kaum zu spüren: Ein britischer Online-Shop notierte zuerst einen Einbruch der Verkäufe von PMG-Reissues, mittlerweile aber hätte sich alles wieder normalisiert.

Die öffentliche Diskussion lieferte aber auch einen spannenden Einblick in den Reissue-Alltag. In einer hörenswerten Radiosendung wirft Konkurrent Uchenna Ikonne dem Label PMG einiges vor. Insbesondere kritisierte er die Ausbeutung der meist mittellosen, nigerianischen Rechteinhaber. PMG habe zum Beispiel nicht wie sonst üblich Musik für einen bestimmten Zeitraum oder eine eingeschränkte Anzahl Platten lizensiert, sondern komplett. Das bedeutet, dass Nachfahren der KünstlerInnen nie wieder Geld an der kommerziellen Nutzung dieser Musik verdienen würden – Presch und sogar seine Nachfahren hingegen schon. Das streitet das Label nicht direkt ab, verweist aber auf Hilfsprojekte und die Fehler der Konkurrenz. Ein typischer Fall inmitten einer Szene, die ansonsten eher durch gelöschte Discogs-Kommentare miteinander kommuniziert. Das Problem ist aber auch ein anderes: Europäische Labels spielen Gatekeeper und Tastemaker für Musik aus dem globalen Süden.

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