Der schnörkellose Ghetto-House-Kracher erfüllt seinen Zweck, 800 Besucher im Club gehen ab. Und nicht nur die: Ein wichtiges Element jeder Martinez-Brothers-Show sind die Posen der Brüder selbst. Es macht Spaß, den beiden beim Arbeiten zuzusehen. Chris, der Extrovertierte, tanzt mit viel Ausdruck und Armakrobatik, Steve, der kühle Kopfnicker, dreht konzentriert an den Mischpultreglern. Alle paar Minuten gibt’s dann diesen magischen Moment: Ein neuer Track kommt rein, die Blicke der Brüder treffen sich. Ihre Mundwinkel gehen nach oben. Wenn die Bass-Drum losbricht, johlen sie und klopfen sich gegenseitig auf die Schulter: „Dooope, duuude!“ Stilistisch haben sich Martinez Brothers von ihren beseelten New-York-House-Wurzeln mittlerweile recht weit entfernt. Wobei, ganz so stimmt das nicht. Richtiger ist, dass sie ihr Spektrum erweitert haben. Chicago House, Techno, Disco-Loops, deeperes Zeug – solange der Track ein tightes und beseeltes Fundament hat, ist er im Repertoire der Brüder willkommen. Steve selbst formuliert es dann noch etwas pragmatischer: „Es muss mir in die Hüfte schießen, ganz einfach.“ Ob es trotzdem gelegentlich Differenzen zwischen den beiden gibt, was die Track-Auswahl betrifft? „Kaum“, sagt Steve. „Wir denken und fühlen musikalisch sehr ähnlich. Vor allem, seit wir auch Labelbetreiber sind.“
Vor drei Jahren machten sich Steve und Chris selbstständig. Mit gleich zwei Konzept-Labels als neue Heimat für ihre eigenen Produktionen sowie für Tracks von Freunden. Mit Tuskegee Music, das sie gemeinsam mit DC10-Kollegen Seth Troxler betreiben, fördern sie in erster Linie nicht-weiße Künstler, um die afroamerikanische und Latino-Tradition von House-Musik ins Bewusstsein zu rufen. Das Ziel mit dem anderen Vinyl-Only-Imprint, Cuttin’ Headz, ist es, New Yorker Produzenten wie DJ Spider und Brendon Moeller mehr ins Rampenlicht zu rücken. Das letzte größere Projekt des Duos erschien allerdings bei keinem der beiden Labels, sondern als Gratis-EP auf Soundcloud. Als Masters At Dutch veröffentlichten die beiden ohne großes Aufsehen zehn herrlich unpolierte Techhouse-Tracks mit Disco-Touch, die den Hörer ins New York der frühen 1990er Jahre mitnehmen. In eine Zeit, als Künstler wie Masters At Work und Frankie Bones die Clubs des Big Apple regierten. „Die EP ist eine Ode an die Stadt, der wir alles verdanken“, sagt Steve. „Und in gewisser Weise auch ein Vorbote für unser Album.“
Ehrliche Arbeitsteilung
Neben ihrem New-York-State-of-Mind halten die beiden den Brüder-Aspekt für ihre größte Stärke. Wenn die beiden im Studio arbeiten, müssen sie kaum miteinander sprechen, erklären sie. Falsche Höflichkeit gibt es nicht, jeder ist sich seiner Talente bewusst: Steve ist besser, was das Mixen der Tracks angeht, Chris ist der Experte für Grooves. Nur zusammen können sie das Beste aus sich herausholen. Das gilt fürs Studio genauso wie für die DJ-Kanzel. „Wir legen zwar gelegentlich auch getrennt voneinander auf“, sagt Steve, „aber es fühlt sich nicht richtig an. Chris und ich, wir sind nicht nur beste Freunde und Brüder – wir sind eine Einheit.“ Als die zwei ihr DJ-Set um 4 Uhr schließlich mit ihrem ersten Hit „My Rendition“ von 2007 beenden, wartet die Promoterin im engen Backstage-Raum mit einer Flasche Champagner auf sie. Höflich schenken sie sich ein Glas ein, stoßen an und schwatzen mit Tiga und ihrem Manager.
Als sich Chris noch ein Gläschen nachschenkt, deutet ihm Steve mit dem Zeigefinger auf die Uhr. „Junge, vergiss nicht, wir sollten in zehn Minuten los, morgen müssen wir früh raus!“ Chris zieht eine Grimasse. Doch keine Gnade. Denn auch dafür sind große Brüder da.
The Martinez Brothers, Martin Buttrich, Jerome Sydenham & Mathew Jonson – Joint Custody (Cuttin’ Headz)
01. The Martinez Brothers, Jerome Sydenham & Mathew Jonson – No Pop
02. The Martinez Brothers & Martin Buttrich – Affection Deficit Disorder
03. The Martinez Brothers & Martin Buttrich 9 Pound Hammer (Vinyl Only)
Format: 12″, digital
VÖ: 10. Februar 2017