Sieht nach Riesenkraken-Goarave aus: Die Pine Stage (Foto: Anyla Ademaj)

Mit den Füßen im kühlen Nass und einem besonders prächtigen Gin Tonic im Plastikbecher lässt man den Blick über das strahlende Blau in Richtung des Horizonts schweifen, während aus der Ferne ein Deep-House-Remix von „Drone me up, Flashy” herüberschallt. Schließlich küsst die Sonne die mittlerweile mitternachtsblaue See, und tausende junge Menschen bevölkern den Strand, um sich gegenseitig im besten Coachella-Look abzulichten. Was faktisch betrachtet auch auf Ibiza oder in Tulum passieren könnte, spielt sich tatsächlich an einem, für den Techno-Tourismus, eher ungewöhnlichen Ort ab – der albanischen Riviera.

Das UNUM Festival fand 2022 bereits zum dritten Mal am malerischen Strand von Rana e Hedhun in der Nähe des boomenden albanischen Tourismus-Mekkas Shëngjin statt. Bereits bei der ersten Ausgabe 2019 war die Groove mit dabei und berichtete über die junge Festival-Franchise, die innerhalb der „kommerzielleren Spielarten von Techno und House (…), die sich vordergründig auf der guten Seite des geschmacklichen Spektrums bewegen”, stattfindet. Auch dieses Jahr ist Groove-Autor Till Kanis nach Albanien gereist, um sechs Tage lang zu Acts wie Seth Troxler, tINI oder Butch zu tanzen.


Wer Festivalerfahrungen, die sich im Bereich der ausschweifenden Party bewegen, unweigerlich mit Moloch-ähnlichen Campingplätzen und aufgeheizten Zelten verbindet, der wird beim UNUM in die luxuriöse Welt des Festivaltourismus eingeführt. Die Besucher*innen residieren in immensen Hotelkomplexen direkt am Strand von Shëngjin und lassen sich nach der durchtanzten Nacht im frisch bezogenen Doppelbett von der Klimaanlage in den Schlaf säuseln. Möchte man dann wieder zurück aufs Gelände, fährt alle 15 Minuten ein Shuttlebus vom Stadtkern über eine kleine Bergstraße zum Festivaleingang. Vor Ort gibt es drei Floors, einen wunderschönen Strand, eine sehr fleischlastige Auswahl an Imbissständen, einen Marktplatz und eine Bude, die das rauschorientierte Partyvolk mit Lachgas versorgt. Die Musik läuft von Mittwochmittag bis Montagnacht ohne Pause durch, und man hat die Möglichkeit, sich jederzeit eine Abkühlung im Mittelmeer zu genehmigen. Perfekte Voraussetzungen also für eine Woche voller Badespaß und minimalistischer Basslines.

Die Veranstaltung startet noch gemächlich. Auf einem piniengesäumten Floor mit dem überaus originellen Namen Pine Stage schunkeln sich die ersten Gäste zu behaglichem Techno schonmal warm, während der Rest den Tag am Strand verbringt. Am nächsten Morgen öffnet dann die Beach Stage und lässt das Festival mit teilweise sehr kitschigem Tech-House langsam, aber sicher an Fahrt aufnehmen. Zusehends füllt sich der Strand mit einem internationalen, wenn auch sehr weißen Publikum, das sich vor allem aus den einschlägigen Ländern Mitteleuropas zu speisen scheint. Gegen Abend ist das Gelände voll, und pünktlich um 20 Uhr weihen Secret 47 die Mainstage ein. Diese ist, vor allem im Vergleich mit den anderen Floors, wirklich groß und wie die Jahre zuvor auch im Gestrandetes-Segelschiff-Design gehalten. Vom Schiffsdeck aus wird aufgelegt, und die Crowd tanzt zu einer ein wenig zu bombastischen Lichtshow barfuß im Sand. 

UNUM 2022 Main Stage by Press
Die Hauptbühne im Gestrandetes-Segelschiff-Design: Bombastisch (Foto: Presse)

Überhaupt sind die Floor-Designs sehr unterschiedlich und wirken teilweise ein wenig zusammengewürfelt. Während auf der Mainstage EDM-Bombast und grüner Laserregen regieren, glänzt die Beach Stage mit schattenspendender Festzelt-Optik und ein paar eilig drapierten Palmen. Die Pine Stage wiederum kommt mit DIY-Holzbrett-Ästhetik daher und besteht aus einem zusammengezimmerten Leuchtturm, einem kleinen Häuschen als DJ-Booth und einer Art Riesenkrake, die das Ganze als Bindeglied zusammenzuhalten scheint. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte dieser Floor rein optisch auch auf einem einschlägigen Goa-Rave zu finden sein.

UNUM 2022 Beach Stage by Andi Decani
Vordergründig für Tech-House reserviert: Die Beach Stage (Foto: Andi Deçani)

Passenderweise geht die Floor-Gestaltung auch mit der jeweiligen musikalischen Kost einher und sorgt deshalb für ein stimmiges Gesamtbild. Auf der Beach Stage läuft, bis auf einige Ausnahmen, Tech-House, für den es meistens schon einiges mehr als einen Gin Tonic im Plastikbecher braucht, während der Sound auf der Mainstage zwar immer noch überaus massentauglich, aber trotzdem stringent und wohl kuratiert ist. Einzig auf der Pine Stage werden auch mal musikalische Experimente gewagt, und der Sound ist allgemein schneller und fokussierter. Im Verlauf des Festivals stellt sich heraus, dass sich hier die mit Abstand sicherste musikalische Bank befindet.

UNUM 2022 tINI by Elios Dhora
Energetisch und leicht psychedelisch angehaucht: tINI (Foto: Elios Dhora)

Gegen Freitagabend ist das Gelände endgültig voll, und zu den europäischen Rich Kids gesellen sich nun auch bemerkenswert viele Albaner*innen und Kosovar*innen. Nachdem der südafrikanische Exportschlager Shimza den Soundtrack für den Sonnenuntergang auf der Beach Stage liefert, wärmt Jamie Roy die Crowd auf der Mainstage für Seth Troxler auf. Dieser spielt spontan die doppelte Setlänge, da Butch aufgrund privater Angelegenheiten kurzfristig absagen musste. Der Samstagabend steht schließlich ganz im Zeichen der Pine Stage, und tINI und Dyed Soundorom liefern energetische wie hypnotische und leicht psychedelisch angehauchte Sets, die am Ende in einem b2b2b der beiden zusammen mit Gene on Earth kulminieren. In den frühen Morgenstunden übernimmt dann schließlich DJ Reas und lässt die Nacht mit einem smoothen House-Set ausklingen.

UNUM 2022 Dyed Soundorom by Anyla Ademaj
Energetisch und leicht psychedelisch angehaucht, die Zweite: Dyed Soundorom (Foto: Anyla Ademaj)

Einige Stunden Schlaf später herrscht am Sonntagabend Closing-Stimmung. Da die Mainstage bereits abgebaut ist, wird die Beach Stage nun länger bespielt, und Radio Slave schafft es, die anfangs ein wenig verhaltene Crowd doch noch in seinen Bann zu ziehen. Spätestens beim Remix von Frankie Goes to Hollywoods „Relax” ist die Menge angezündet und schickt sich an, die Beach Stage gebührend zu verabschieden. Nachdem Radio Slave sein Set mit seinem Signature-Edit von „Can’t Get You Out Of My Head” beschließt, fängt es leicht an zu tröpfeln, ein rauer Wind zieht über den Strand und Michel Cleis teilt sich die Decks spontan mit DJ Reas, um den Dancefloor mit einem Sound zu beliefern, der zwar arg nach Ibiza klingt, sich dafür aber wunderbar in Stimmung und Kulisse einfügt.

UNUM 2022 Radio Slave by Andi Decani
Tischte Frankie Goes To Hollywood und Kylie auf: Radio Slave (Foto: Andi Deçani)

Für das eigentliche Closing am Montagabend auf der Pine Stage sind dann höchstens noch ein paar hundert der insgesamt 10000 Gäste übrig, die ihr Bestes geben, die Nacht noch einmal zum Tag zu machen und die Restvorräte des Lachgasstandes zu plündern. Der Sound ist technoid, aber deep, und viele der Tänzer*innen scheinen langsam mit ihren Kräften am Ende zu sein. Vereinzelt sieht man euphorische Mitglieder der Crew, deren Anspannung langsam abfällt und die sich nun gelöst dem Dancefloor widmen können.

Doch eine knappe Woche UNUM Festival an einem traumhaften albanischen Strand lassen neben einigen wirklich guten Sets und Floor-Erlebnissen auch einige offene Fragen und Gedanken zurück. So strahlt die Veranstaltung auf der einen Seite einen gewissen DIY-Charme aus und wirkt zumindest teilweise sehr handgemacht, versucht sich aber auf der anderen Seite als Influencer*innen-Hotspot zu inszenieren. Man muss sich stets der Gefahr bewusst sein, beim Tanzen von einer Handykamera oder einem der sehr engagierten Aftermovie-Filmer ins Visier genommen zu werden. Auch wirkt das Festival nicht unbedingt so, als wäre es für die albanische Szene geschweige denn für ein albanisches Publikum gemacht. Für einheimische Verhältnisse sind die Preise beispielsweise überaus hoch und werden von vornherein in Euro und nicht in Lek angegeben. Wenn man diese Dinge aber ausblenden kann, was mitunter schwerfällt, ist das UNUM ein tolles Festival und auch im nächsten Jahr wieder eine Reise wert.

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