Findet ihr es problematisch, wenn sich Musiker etwa Acid Arab nennen, obwohl sie keine Araber sind, sondern sich nur für die Musik aus arabischen Ländern begeistern?
MEHMET: Ich hab mit Freunden darüber gestritten, wie cool oder uncool das ist, aber ich rege mich darüber nicht auf. Sie hatten diese Idee, Acid-Sounds mit arabischen Skalen zu kombinieren. Und es funktioniert, warum sollte das nicht jeder machen können?
ABU ASHLEY: Ich hab gemischte Gefühle dabei. Wenn einer meiner weißen Freunde seine Band Acid Black People nennen würde, wäre das doch auch nicht so cool. Es ist cool, dass sie sich dafür begeistern, aber dieser Name ist doch ein bisschen wunderlich. Aber es ist schon witzig: Alle meine Freunde streiten sich über Acid Arab, aber niemand regt sich über Muslimgauze auf. Alle respektieren ihn.

Wie findest du ihn?
ABU ASHLEY: Ich denke, er ist cool. Als ich mit dieser nahöstlichen Musik angefangen habe, hat mich ein Freund auf ihn aufmerksam gemacht und ich war schon sehr beeindruckt.
MEHMET: Ich habe Muslimgauze erst spät entdeckt, ungefähr vor einem Jahr. Mittlerweile habe ich angefangen, seine Sachen auch aufzulegen. Es gibt ein paar sehr technoide Tracks und lange, perkussive Nummern von ihm. Er hat viel selber gespielt und nicht nur gesamplet. Er ist schon eine Legende.

Mehmet Aslan
Mehmet Aslan

Da du es erwähnst, Khaled, benutzt du nur die Aufnahmen deines Schwagers oder samplest du selbst?
ABU ASHLEY: Ich sample eigentlich gar nicht. Auf der Suche nach Samples habe ich festgestellt, dass sie mir alle zu arabisch klangen. Um sich mit der Housemusik zu verbinden, brauchte ich etwas Geschmackvolleres. Ich wollte keine orientalische Musik machen, sondern eigentlich westliche Musik mit östlichen Elementen.
MEHMET: In den Siebzigern war das auch nicht anders. Sie haben eine westliche Bassline benutzt und türkisch darüber gesungen, und so klang es türkisch, aber die rhythmische Grundlage war westlich.
MOSCOMAN: Das ist wie beim Kochen, es sind immer dieselben Zutaten, aber es kommt drauf an, wer das Gericht zubereitet. Im Moment beziehen sich ja aus ganz verschiedenen Motivationen an ganz unterschiedlichen Orten DJs und Musiker auf die Musik des Nahen Ostens. Woher kommt dieses kollektive Interesse?
MOSCOMAN: Es hat doch seinen Zenit schon wieder überschritten. Aus der Underground-Perspektive sind die Ersten doch schon wieder satt.
ABU ASHLEY: Ich glaube, das liegt auch an diesem berühmten syrischen Sänger Omar Souleyman. An Omar Souleyman ist interessant zu sehen, wie die Musik von unterschiedlichen Perspektiven rezipiert wird. Im Westen ist er ein Hipster-Erfolg, in Syrien wundern sie sich darüber.
ABU ASHLEY: Sie mögen ihn nicht besonders in Syrien.
MOSCOMAN: Das ist doch mit Acid Arab auch so. Als sie in Tel Aviv gespielt haben, haben sie die übelsten Hochzeitslieder gespielt – die Songs, die du auflegst, wenn du willst, dass deine Familie tanzt. Lasst euch nicht narren! Sie verkörpern wirklich einen rein westlichen Blick auf die Dinge. Ich spiele Sachen, von denen ich noch nicht einmal weiß, was sie bedeuten oder was sie anderen Leuten bedeuten. Klar, ich mache meine Recherchen. Ich glaube nicht, dass ich keine Ahnung habe, aber trotzdem kann es sein, dass ich Leute damit anpisse. Das ist Teil der Unternehmung, wenn du eine Region betrittst, aus der du selbst nicht kommst. Ich kann nur versuchen zu verstehen, wo die Musik herkommt und was wir als DJs damit machen können. In meiner Erfahrung sind ausgerechnet die Deutschen gerade bereit, sich auf arabische und türkische Musik einzulassen.


Stream: Mehmet Aslan & Dario RohrbachGazel

Mehmet, du hast neulich einen Mix für das französische Magazin Tsugi gemacht und hast auch eine Menge Auftritte in Frankreich. Würdest du sagen, dass da gerade ein größeres Interesse an deinem Sound besteht?
MEHMET: Im Vergleich zur Schweiz und zu Deutschland sind die Leute in Frankreich offener.
MOSCOMAN: Das habe ich nicht festgestellt.
ABU ASHLEY: Doch, doch, in Frankreich gibt es eine Offenheit gegenüber nahöstlicher Musik. Sie intellektualisieren dort den Orientalismus und Paris ist ja auch der Standort des „Instituts der Arabischen Welt“.
MEHMET: Das merkst du auch in Städten, die eine Kolonialgeschichte haben, wie in Amsterdam, das schlägt sich dann auch in den Plattenläden dort nieder. Da gibt es definitiv eine Verbindung, die Paris diesem Sound näherbringt.
ABU ASHLEY: Viele meiner arabischen Freunde spielen als Erstes in Frankreich, weil es da eine arabische Community gibt und auch Booking-Agenturen.

Mischt sich denn dann auch das Publikum?
ABU ASHLEY: (schnaubt) Also ich empfinde Frankreich als ziemlich segregiert. Aber dafür sind viele Leute etwas offener und es gibt dort so viele Araber, dass es schon irgendwie klar war, dass ein Mix-up wie Acid Arab von dort kommen würde.

Chen erwähnte Acid Arab in Tel Aviv. Mehmet, du hast in Istanbul gespielt. Khaled, was sind deine Erfahrungen aus Ägypten?
ABU ASHLEY: Vor allem, dass alle Clubs im Wesentlichen Ibiza-Clubs sind, egal wie groß oder klein. Aber es gibt eine Crew, die Underground-Techno und Noise macht, sodass du denkst, du bist im Berghain, da spiele ich dann House und Techno. Die haben auch gar kein Interesse, ägyptisch zu klingen.
ABU ASHLEY: Ja, sie hassen Electro Chaabi. Als das rauskam und die Chaabi-Kids um die Welt tourten, waren sie stinksauer. Sie sind Nerds, Hardwax-Typen, sie fummeln in ihren Studios an Dubtechno herum, sie haben dieselbe Mentalität wie jeder andere, der weltweit an so was fummelt. Wenn ich dort spiele, höre ich keine Orientalismen. Aber das ist der Underground. In den großen Clubs hast du sehr lateinamerikanisch und orientalisch geprägte Housemusik. Arabische Musik im Radio ist wie wirklich billige holländische Housemusik mit sehr offensichtlichen arabischen Elementen.
MOSCOMAN: Ich glaube, ein großer Teil des arabischen Underground-Spirits spielt sich im HipHop ab. Das ist Konfliktmusik.
ABU ASHLEY: Ja, die palästinensischen MCs sind wie Hardcore-Punk-Rapper, die viel über ihren politischen Kampf reden. Und auch in Ägypten sind sie mittlerweile politisiert. Früher wurde noch viel rumgejuxt, aber seit der Revolution geht es stark um soziale Themen, was in der ägyptischen Musik eigentlich ein Tabu ist. Du hättest niemals Oum Kalthoum gehört, die darüber singt, wie schwer das Leben ist.

Wie hängt die Revolution mit einer Crew wie Kairo Is Coming zusammen?
ABU ASHLEY: Die ägyptische Undergroundmusikszene konnte nur durch das Internet entstehen, denn sie hat alle vernetzt. In Ägypten gehst du nicht in einen Club, triffst einen anderen DJ und ihr werdet Freunde und macht Musik und es entsteht eine Szene. Das geht nur im Internet. Und genau so konnte die Revolution sich aufbauen. Das Internet hat eine politische Öffnung verursacht und eine musikalische. Allerdings wurde auch Electro Chaabi in dieser Zeit sehr populär als Stimme des Volkes.

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