Foto: Paul Krause

Luke Slater gehört seit den frühen Neunzigern zu den einflussreichsten britischen Technoproduzenten. Trotz seiner langen und dauerpräsenten Geschichte ist er seit Jahren wieder an der vordersten Front der Clubmusik aktiv. Jetzt veröffentlicht er neben einem neuen Album von Planetary Asssault Systems auch eine Archiv-Compilation seines Projekts The 7th Plain. Zeit, die Vergangenheit auch mal zu umarmen.

„To come a long way“ ist eine wunderschöne englische Floskel. Die sinngemäße deutsche Übersetzung davon ist, „es weit zu bringen“. Es impliziert eine lange, kaum zu messende Wegstrecke, die zurückgelegt wird und auch einige Zeit in Anspruch nimmt. Und die Person, um die es geht, hat natürlich Großes geleistet. Da ist ein Lebenswerk, auf das man zurückblicken kann. So stehen die Dinge bei Luke Slater. Er ist einer der einflussreichsten britischen Technoakteure und seine Produktionen von damals hallen bis heute im aktuellen Clubsound nach. Ähnlich wie Surgeon, Regis oder James Ruskin hat Slater – vor allem mit seinem Alias Planetary Assault Systems – eine neue Generation von Produzenten geprägt, die den alten Sound noch mal fit für die Gegenwart gemacht haben, besonders in Berlin.

Nicht umsonst hat Slater von Anfang an im Berghain ein neues Zuhause gefunden. Und genau wie die anderen Protagonisten von damals lässt sich Slater nicht nur für die Heldentaten seiner klassischen Phase verehren: Seine neueren Veröffentlichungen sind schon längst dabei, die alten Platten zu überstrahlen. Luke Slater ist deshalb niemand, der besonders viel zurückblickt. „Ich bin nicht sehr nostalgisch“, sagt er erwartungsgemäß. „Aber in all den Jahren haben mir die Leute so viel Wertschätzung und Interesse entgegengebracht. Ich höre Sachen wie ‚Alter, diesen Track, den du 1994 gemacht hast, den spiele ich heute immer noch!‘. Zu Hause muss ich diese Tracks meistens erst mal anhören, um mich zu erinnern, und denke dann: Okay, vielleicht spiele ich den jetzt auch wieder mal.“

Wie eine Therapie

Seine erste Platte veröffentlichte Slater 1989 als Translucent und ließ während der nächsten zehn Jahre unzählige Singles, Alben und Compilations unter mehr als zehn Pseudonymen folgen. Im Zentrum stand Planetary Assault Systems mit purem, hypnotischem Techno, mit Spuren von Acid und Hardcore. Slater definierte mit Platten wie Fluids Amniotic (1994, zusammen mit Alan Sage als Morganistic), The 4 Cornered Room (1994 als The 7th Plain) und P.A.S.-Tracks wie „In From The Night“ den klassischen europäischen Techno der Neunziger mit, steckte aber auch Terrains wie Ambient und Electronica ab.

Nach einer längeren Auszeit in den Nullerjahren kehrte Slater um 2006 wieder zurück, gründete sein Label Mote-Evolver und ging eine Liaison mit Ostgut Ton ein, die unter anderem zwei Planetary Assault Systems-Alben und Slaters neues Projekt L.B. Dub Corp hervorbrachte. Als DJ und Live-Act ohnehin ständig auf Achse, markiert 2016 für Slater ein besonders produktives Jahr. Mit Arc Angel erscheint ein weiteres Planetary Assault Systems-Album, und Slater sieht die Zeit reif, um all das, was bisher geschah, auch mal zu würdigen: „Ich spürte diesen Vibe, der sich um Planetary Assault Systems gebildet hat, und es schien mir ein gutes Jahr zu sein, um das auf irgendeine Weise zu feiern.“


Stream: Planetary Assault SystemsArc Angel (Snippets)

„Planetary Funk 22 Light Years“ nannte man deshalb die Klubnacht Mitte Juli, in der Slater zusammen mit Freunden und Kollegen im Berghain ein Jubiläum der anderen Art beging und sich dabei sogar für zwei Einheiten – einmal als Planetary Assault Systems und zusammen mit Steve Bicknell und Function als LSD für ein 12-stündiges Closing-Set – hinter die Decks stellte. 22 Lichtjahre also. Ein langer, langer Weg. Ein paar Tage nach dieser denkwürdigen Party erklärt er, wie er darauf kam: „Ich wollte keine ‚20 Jahre‘-Party machen, wie das so oft passiert. 22 Lichtjahre – das drückt es für mich genau richtig aus. Man kann das nicht zeitlich fassen, denn Lichtjahre sind eine messbare, enorme Distanz. Das passt gut zu Planetary Assault Systems.“

Und wie. Auch wenn sein Körper mehrstündige Marathon-Sets nicht mehr so gut verkraftet wie früher, wird immer mehr klar, dass die irdische Zeitrechnung dem Großteil seiner Musik nichts anhaben kann. Obwohl jeder Planetary Assault Systems-Release stilistisch mehr oder weniger auf eine bestimmte Ära festgenagelt werden kann, wirkt wenig davon im Nachhinein überholt. Slater beherrscht die Kunst, die experimentellen und zukunftsweisenden Elemente kleinteilig in der großen, zeitgemäßen Struktur seiner Tracks zu verbauen. Das wird besonders bei seiner zweiten großen Veröffentlichung dieser Tag offensichtlich: Zusammen mit Ostgut Ton öffnete Slater sein Archiv und stellte ein neues Album seines zu Ambient neigenden Projekts The 7th Plain zusammen: Chronicles I ist der Auftakt einer Trilogie und enthält neu gemasterte alte Stücke sowie unveröffentlichtes Material, das gut 20 Jahre alt ist, ohne wirklich von gestern zu sein.

Slater gibt zu, dass ihn seine Vergangenheit dann doch immer wieder einholt. Er habe deshalb gelernt, sie zu akzeptieren und zu schätzen. The 7th Plain ist dabei wichtiger, als man denkt: „Das ist meine romantische Seite, die mir immer extrem viel bedeutet hat. Die Arbeit mit Ostgut und dem Staatsballett Berlin [Shut Up And Dance! Updated, Anm. d. Verf.] hat das wieder ins Rollen gebracht. Wegen des großartigen Feedbacks wollten wir das Projekt wiederbeleben. Für mich war das wie Therapie. Als ich die unveröffentlichten Sachen durchhörte, wusste ich: Das würde ich so nicht mehr hinkriegen. Es fühlt sich fast an, als würde diese Musik von einem anderen Künstler stammen.“

Spiritualität durch Schwerindustrie

Auf Chronicles I dominieren meditative Motive, die ab und zu Fahrt aufnehmen und an Klassiker wie von B12 erinnern. Eine außerirdische Ästhetik bestimmt auch Arc Angel von vorne bis hinten, allerdings ohne verträumtes Trance-Flair: Beklemmendes Fiepen und Flirren zieht sich durch das Album, Weltraum-Signale und beunruhigende Melodien begleiten die mit abgefederter Härte gesetzten Beats. Die Atmosphäre ist hypnotisch, aber irgendwas schneidet einem die Luft ab. Vakuum, kosmische Strahlung, bedrohliches Dunkel, solche Bilder stellen sich ein. Und alles pulsiert. Arc Angel ist ein Wurmloch, das den Club mit dem All verbindet. Alles Klischees? Nicht, wenn es so gut umgesetzt ist und von jemandem kommt, der mit Planetary Assault Systems schon vor Techno-Äonen dieses Thema gesetzt hat. „Für mich ist es wie ein Horror Thriller“, sagt auch Slater. „Ich mag den Gedanken, dass es draußen richtig sonnig sein kann, aber alles auf einmal ganz anders aussieht, wenn man die Platte auflegt.“ Horror, aber ohne plumpe Überwältigungsmechanismen. Bei Planetary Assault Systems stellt sich eine andere Art der Darkness ein. Eine, die ganz langsam in den Tracks nach oben kriecht. Eine Angst wie in den Geschichten von H.P. Lovecraft – am bedrohlichsten ist das Unsichtbare, nicht das ulkige Monster.


Stream: The 7th PlainChronicles I (Snippets)

Aber vielleicht würde das Luke Slater zu weit gehen. Er findet noch andere Beschreibungen, die der Platte auch den Namen gaben: „Auf einer meiner letzten Singles war der Titel ‚Arc‘, und dieses Element der Schwerindustrie war immer Teil meiner Musik. Als das Album dann fertig war, erkannte ich auch eine Art von universeller Spiritualität. Es schien logisch, dieses industrielle Funkenfliegen und Schweißen, die rohe Gewalt mit der grazileren, spirituellen Welt zusammenzubringen.“

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