Fotos: Dennis Bouman, Henri Blommers, Willeke Machiels, De Fotomeisjes
Der Museumplein ist das Zentrum der Hochkultur in Amsterdam. Um den weitläufigen Platz am südlichen Rand der Innenstadt gruppieren sich mit der Musikhalle Concertgebouw, dem Reichsmuseum, dem Van Gogh- und dem Städtischen Museum gleich vier Kulturinstitutionen von internationalem Ruf. Der Raum zwischen diesen ehrwürdigen Häusern gehörte Mitte Oktober der Clubkultur, beziehungsweise dem, was man in den Niederlanden darunter versteht: Von riesigen Plakatständern blickten etwa die Trance-Dreifaltigkeit aus Tiësto, Armin van Buuren und Ferry Corsten oder die Eurodance-Sternchen 2 Unlimited auf die Passanten herab. Neben diesen Giganten des kommerziellen Tanzmusikbetriebs waren in der Freiluftfotoausstellung aber auch Helden des Untergrunds präsent – der legendäre DJ Eddy De Clercq etwa, der Ende der achtziger Jahre House als Resident im Club RoXY in Amsterdam bekannt machte oder namenlose Raver auf einer illegalen After Hour Mitte der Neunziger.
Alle Bilder auf den großformatigen Plakaten stammten aus dem Buch Mary Go Wild – 25 Years Of Dance In The Netherlands, einem opulenten Wälzer mit mehr als 900 Abbildungen und 120 Interviews. Den Anlass für die Fotoinstallation bildete das Amsterdam Dance Event, das nach Angaben der Veranstalter an fünf Tagen 300.000 Besucher zu mehr als 300 Veranstaltungen in die Grachtenstadt brachte. Ähnlich wie die Ausstellung auf dem Museumplein vereinte das Festival Massengeschmack und Abseitiges, das Angebot reichte von Großraum-Raves in Sport- und Fabrikhallen bis hin zu kleinen Partys in Kellerclubs und Bars.
Doch das riesige Partyprogramm, das an den Festival-Tagen für zusätzlichen Andrang in der von Touristen und Besuchern des gleichzeitig stattfindenden Amsterdam-Marathons bereits überfüllten Innenstadt sorgte, ist nur eine Seite des ADE. Von seinen Anfängen als überschaubare DJ-Konferenz im Jahr 1996 hat es sich zu einem der wichtigsten Marktplätze für das internationale Dance-Geschäft entwickelt. Rund fünftausend Fachbesucher waren in diesem Jahr für den ADE-Kongress angemeldet, der hauptsächlich in dem aus allen Nähten neoklassizistischen Kulturzentrum Felix Meritis in der Keizersgracht und dem benachbarten Luxushotel The Dylan stattfand. Hier und in den umliegenden Kneipen waren während des ADE so viele Künstlermanager, PR-Menschen und Partyveranstalter anzutreffen wie sonst vielleicht nur beim Sonár in Barcelona oder der Winter Music Conference in Miami. Während abends und nachts die Bookingagenturen und Labels bei ihren Showcases ihre Talente präsentierten, wurde tagsüber am Ufer der Gracht bei Kaffee und Bier unter anderem über die Line-ups des kommenden Festivalsommer verhandelt.
Für deutsche Verhältnisse nur schwer vorstellbar ist der Umstand, dass das Amsterdam Dance Event vom niederländischen GEMA-Gegenstück BUMA veranstaltet wird. Während für die hiesige Verwertungsgesellschaft elektronische Musik noch immer ein Fremdwort zu sein scheint, tritt ihre Schwester im Nachbarland als aktiver Förderer des Segments auf. Im Vorfeld des Amsterdamer Festivals verbreitete die BUMA eine Studie, in der die durch elektronische Musik (von den Verfassern bezeichnenderweise mit „Electronic Dance Music (EDM)“ bezeichnet) erzielten Umsätze in den Niederlanden für 2012 auf fast 590 Millionen Euro beziffert werden. Veranstaltungen wie das Amsterdam Dance Event versteht die Gesellschaft deshalb als aktive Standortförderung.
Das Konferenz-Programm ließ sich BUMA auch einiges kosten: Bei den Podiumsdiskussionen und Interview-Runden gaben sich etwa Richie Hawtin, Tiga oder die Disco-Legenden Nile Rodgers (Chic) und Giorgio Moroder die Klinke in die Hand. Dabei kam es auch zu bizarren Szenen. So wurde zum Beispiel Tiësto, die aktuelle Nummer Zwei auf der Forbes-Liste der bestbezahlten DJs der Welt, bei einer Frage- und Antwortrunde derart handzahm von seinem Zögling Hardwell hofiert, dass es selbst dem zynischsten Vermarkter die Schamesröte ins Gesicht treiben musste. Die kritischste Frage aus dem Publikum klang so: „Hi, hier ist […] vom DJ Mag. Du bist als Mentor von DJs wie Hardwell bekannt. Warum ist es dir so wichtig, junge Talente zu fördern?“
Ein Teil der gerade erwähnten Dance-Promis gehörte auch zu den Hauptpersonen, als am Festivalsamstag in der Amsterdamer Messe die neue Nummer eins des DJ Mag-Jahrespolls gekürt wurde. Vor etwa 20.000 Zuschauern wirkte der 73-jährige Giorgio Moroder ziemlich fehl am Platz, als er den rund fünfzig Jahre jüngeren Niederländer Hardwell als Sieger ankündigte. Viel besser in das Konzept passte dann die eigentliche Übergabe des Preises durch den zweitplatzierten Armin van Buuren. „2006 habe ich diesen Titel einem Deutschen (Paul van Dyk, d. Red.) verliehen. Dieses Jahr bin ich stolz, einen Niederländer küren zu dürfen!“ Es folgte der erwartbare Jubelsturm, dann trat der neue „beste DJ der Welt“ ans Werk und lieferte dem Publikum die EDM-Vergnügungspark-Show, für das es gekommen war: Laserstrahlen, minutenlange Trance-Breakdowns mit mehrfach angetäuschten Beateinsätzen, Strobo- und LED-Gewitter kurz vor dem Drop und dann: „Everybody fucking jump!“
Man konnte die fünf ADE-Tage aber auch ganz hervorragend verbringen ohne ein einziges Mal mit solchen Kommerz-Auswüchsen in Berührung zu kommen. Ob nun Motor City Drum Ensemble im Trouw, dem derzeit wohl besten Club der Stadt, bei den Dekmantel-Partys mit Moodymann, Omar S und Nina Kraviz, dem Gastspiel des britischen Numbers-Labels im Paradiso oder den Auftritten von Four Tet und DJ Koze in einer ehemaligen Werfthalle: Es gab mehr gute Partys als man jemals hätte besuchen können.
Auch tagsüber dominierte das ADE die Innenstadt: An fast jeder Ecke wehten die gelb-schwarzen Fahnen mit dem Festivallogo und in vielen Straßen im Einkaufs- und Rotlichtviertel gab es im Rahmen des „Playground“-Programms temporäre Ausstellungsräume und Läden zu finden. So machte etwa das Kölner Label Kompakt mit einem Pop-up-Store Station, das RBMA Radio sendete aus einem leeren Ladenlokal und in der lokalen Plattenladeninstitution Rush Hour standen sich die Besucher bei den zahlreichen Instore-Gigs gegenseitig auf den Füssen. Amsterdam schien die elektronische Musik – in typisch liberaler Tradition – in allen ihren Facetten zu umarmen. Ein passendes Sinnbild dafür fand sich auf dem Museumplein: Das letzte Bild der Freiluftfotoausstellung zeigte Maxima, die Gattin des neuen Königs Willem-Alexander, beim Händedruck mit Armin van Buuren.
Interview: Richard Zijlma (Festivalleiter ADE)
Richard, was ist beim Amsterdam Dance Event wichtiger: Der geschäftliche Teil oder die Partys?
Ich würde nicht sagen, dass ein Teil wichtiger ist als die anderen! Es ist so ähnlich wie beim Kochen: Man benötigt viele verschiedene Zutaten um ein perfektes Gericht zu erhalten. Für uns ist es sehr wichtig, eine wirklich starke Geschäftsperspektive für die elektronische Musik zu erzeugen. Wenn du aus beruflichen Gründen hierher kommst, kannst du davon ausgehen, dass du die wichtigsten Vertreter der Branche aus der ganzen Welt treffen wirst. Das Festival verstehen wir grundsätzlich als einen großen Showcase der aktuellen Szene.
Das ADE gibt es seit 1996. War diese Mischung von Anfang an Teil des Konzepts?
Es begann als kleine Konferenz für die Musikindustrie. Damals war der Markt für die Lizensierung von Tracks – z.B. für Compilations und Mix-CDs – sehr groß und darauf konzentrierte sich das ADE. Man muss sich das so vorstellen: Überall saßen Label-Mitarbeiter mit Kopfhörern, hörten sich neue Stücke an und versuchten Deals zu vereinbaren. Aber wir haben bald festgestellt, dass sich die Industrie veränderte und die Rolle von DJ- und Live-Auftritten immer wichtiger wurde. Vor zwölf Jahren hat Tiësto als einer der ersten DJs ein eigenes Logo kreieren lassen und das war ein Meilenstein bei der Vermarktung von elektronischer Musik. Seitdem ist die Popularität von DJs stetig gewachsen und die Höhe der Gagen ebenfalls. Über die Jahre hinweg ist es uns gelungen, auch diesen Teil der Szene zum ADE zu locken.
Aus deutscher Sicht ist es erstaunlich, dass mit BUMA eine Verwertungsgesellschaft ein solches Festival veranstaltet. Welche Motivation steckt dahinter?
Wir wollen neue Marktperspektiven für die niederländische Musikindustrie und die einheimischen Künstler schaffen. Mit dem Eurosonic Norderslaag richten wir auch ein ähnliches Festival für Rock- und Popmusik aus. Die BUMA sieht dabei vor allem die Chancen: Elektronische Musik aus den Niederlanden ist auf der ganzen Welt erfolgreich und auch die Einnahmen aus Nutzungsrechten, die wir in diesem Bereich verzeichnen, wachsen schnell an. Ich kann den Kollegen der GEMA nur empfehlen uns einmal beim Amsterdam Dance Event zu besuchen!
Das Motto der diesjährigen Festivalausgabe ist „25 Jahre elektronische Tanzmusik in den Niederlanden“. Was war aus deiner Sicht der zündende Funke, der 1988 für die Explosion von Acid House in Amsterdam sorgte?
Einer der Autoren des Buches Mary Go Wild erinnerte mich letztens daran, dass Holland 1988 ja auch Fußball-Europameister wurde. Das bedeutete uns sehr viel – auch weil wir im Halbfinale Deutschland geschlagen hatten! Da kamen also mehrere Dinge zusammen. Es gibt Forschungsergebnisse, die darauf hindeuten, dass ein großes Sportereignis die Stimmung in einem Land positiv verändern kann. Der EM-Sieg und die Ankunft von House haben in Holland zu einem Summer of Love geführt – ich glaube, das kann man tatsächlich so sagen!