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Rene Wise: „Wenn der Loop was taugt, darf er sich nicht ändern!”

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Rene Wise ist Techno-DJ, Techno-Produzent, und auch sonst dreht sich im Leben des Mitte-20-Briten gerade sehr viel um Techno. Wobei das – man muss es leider dazu sagen – kein Wodkabootsprühkerzen-Techno ist, den Wise seit seinen ersten Platten auf Beard Man, Mote-Evolver und SK_eleven fabriziert. Es ist auch weniger die Sorte Techno, mit der oberkörperbefreite Hantelbankbuben die Baushauskettenwirtschaft ankurbeln. Rene Wise produziert Techno, den manche „groovy” oder „loopy”, andere verächtlicher „toolig” und die Pathetischen gar „Techno in Reinform” nennen.

Das Schöne an der Meinungsfreiheit ist: Alle haben recht! Bei Wise geht es hart, aber herzlich zur Sache. Ob beim olympischen Berghain-Closing, zur kompakten Arte-Übertragung oder einfach in einem Club in Lyon oder Wien oder in einer der anderen Weltstadtmetropolen, in denen Rene Wise die letzten Jahre aufgelegt hat  – man kann mit ihm tanzen, ohne drei Ironielayer dazwischenzuquetschen, weil Sound wie Person keiner Trendwertszeit hinterherhecheln.

Seit der Pandemie lebt Rene Wise, der eigentlich Andrew Shobeiri heißt, in Portugal – wegen der Liebe hat es ihn nach Lissabon verschlagen. Dort scheint die Sonne an 300 Tagen im Jahr, und es fahren schöne, gelbe Straßenbahnen durch die Stadt. Außerdem gibt es, so Wise, ein paar steuerrechtliche Vorteile, was aber eher stadionformatierte DJs wie Charlotte de Witte (eine DJ-Nachbarin) interessieren dürfte. Er, Rene Wise, hält es da eher mit seinem neuerdings ebenfalls in der portugiesischen Hauptstadt weilenden Kumpel DVS1: „Wir leben am Meer, das Essen ist gut und die Leute sind nett, was braucht man mehr?”

Händeschütteln mit Mills

Zum Gespräch erreiche ich Wise via Zoom in seinem Studio; kleiner Raum, weiße Wände, kein protziges Synthesizermuseum – das Nötigste steht ohnehin vor ihm, sein Laptop, die Kommandozentrale. Gestern kam Wise von einem Gig in Amsterdam zurück, Thuishaven, ein festivalzeltartiger Club, in dem er vor Jeff Mills aufgelegt hatte. Immer ein bisschen ehrfürchtig sei er dann, wenn er vor so einer Legende spiele. Da reiße er sich schon anders zusammen, wolle den in der Booth wartenden Mills auch ein wenig beeindrucken und wähle die letzten paar Tracks besonders rücksichtsvoll. „Auch wenn mein Verständnis von Techno”, so Wise schnell nachschiebend, „dem seinigen natürlich entgegenkommt.”

What we do in the shadows, Rene Wise? (Foto: Presse)

Darüber unterhalten hätten sie sich zwar noch nie („Mills ist ja eher der stille, zurückhaltende Typ”), mit dem schweißigernsten Händedruck, den man zur Übergabe austauscht, habe man aber gegenseitig vereinbart: Techno, das darf nichts Überladenes sein, weil aus weniger auf der Tanzfläche tatsächlich mehr wird. Das sei bei Mills immer so gewesen. Aber auch bei Wises anderen Heroes: Robert Hood, Luke Slater, Ben Klock. Ihre Musik sei, übrigens so wie seine eigene, immer auf den Groove ausgerichtet, ohne daraus ein Modewort zu machen.

Schrödingers Groove

Drums und Percussions folgen den überschaubaren Regeln des Sequencers. Die Magic spielt sich im Sounddesign ab. Alles andere wäre, so Wise, viel zu langweilig. Schließlich könne man schnell mal einen Sample-Loop in Ableton packen, aber einen einprägsamen Rhythmus aus einer Synthesizersequenz zu schälen – dafür brauche es schon ein wenig mehr, vor allem Geduld, denn: „Eigentlich ändert sich in meinen Tracks gar nicht so viel.”

Umso missverstandener fühle er sich darum von jenen, die ihm einen „eigenen Sound” andichten wollen. Alles war schon da, sagt Wise, frühestens auf dem Album Minimal Nation von Hood, später in den Soundscapes von Slater und sicher auch in den Platten auf Pole Group – „bei denen war der Rhythmus nie unbedingt im Mittelpunkt, trotzdem ist es offensichtlich, dass er da ist, das ist ja die große Kunst!”

„Ansonsten wären Basic Channel wohl nie so kultig geworden, wie sie heute sind.”

Rene Wise

„Apropos Kunst”, sagt Wise und fährt sich mit einem Kamm („mein Studiokamm”) durch die Haare. Es gehe bei Techno doch immer darum, die Leute auf die Tanzfläche zu fesseln. Als introvertiertem Mensch komme ihm diese Eigenschaft ziemlich entgegen. Wenn man erst mal reingekippt sei, könne ein Loop sich gar nicht oft genug wiederholen, also hüte er sich auch davor, daran was zu ändern. Hände weg, Augen zu, zehn Minuten zurücklehnen und einfach der Kunst des Loops huldigen, denn die sei ja nichts anderes als die Essenz von Techno.

Wer das DJ-Tool nennen wolle, fair enough. Das negative Geschmäckle, das mit dieser Begriffsbeschimpfung einhergehe, darüber könne er sich aber stundenlang aufregen, denn sei nicht Tool-Techno der zeitlose Techno? „Ansonsten wären Basic Channel wohl nie so kultig geworden, wie sie es heute sind, oder?” Wer also Tools mit Langeweile gleichsetze, soll lieber weiter zu Britney-Edits auf Jan Ullrich vor der nächsten Bergetappe machen, weil: „Wenn der Loop was taugt, muss, soll, darf er sich nicht ändern, Punkt!”

Achtung, Konzentration!

Mit Alex Over, einem Freund aus seiner Schulzeit in Brighton, produziert Wise zwar manchmal „so Indiepop-Sachen”, aber richtige Songs zu schreiben, das sei ihm im Gegensatz zu ewig wiederholbaren Magie-Loops immer schon schwergefallen. Vielleicht, Stichwort Selbstdiagnose, hänge das auch mit seiner zurückgezogenen Art zusammen. Er sei gerne für sich, in seinem Kopf, könne sich stundenlang in einzelnen Details verlieren. Und ja, er wisse natürlich, wie sich das anhöre, nämlich nach einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung – die habe aber sein Bruder, während es also ihm, Rene Wise, ganz leicht falle, sich auf Dinge zu konzentrieren, die ihn interessieren.

Wise kommt aus Brighton, mittlerweile lebt er in Lissabon (Foto: Presse)

Das ist seit ein paar lustigen Fabric-Nächten Mitte der Zehnerjahre vor allem Techno, ging aber auch mal woanders los. Als Late-90s-Kid in Schlagschattendistanz zu London aufwachsend, macht Wise die typische, nach Alkopops und Nachtbusgekotze riechende Musiksozialisierung eines Pubertierenden im UK der Zweitausender durch. Dubstep, Drum’n’Bass, irgendwann Drumcode. Und „weil MTV damals noch richtige Mucke gespielt hat, lief da auch mal „The Bells”, und das hat mich nicht mehr losgelassen, also hab’ ich mir Reason gezogen und auch mal was gemacht.”

Sein Vater war Schlagzeuger („wichtig für meinen Groove”), und seine Mutter hatte ihrerseits einen Vater, der sei mal Pianist gewesen („nicht so wichtig für meinen Groove”). Jedenfalls ging es für Wise von Adam Beyer durchs Techno-Rabbit-Hole kriechend zu Ben Klock und dem Berghain, und „auch wenn ich das damals bestimmt nicht so ganz verstanden habe, war es der minimalistische Ansatz, der mich beeindruckt hat.”

Mit gefälschtem Ausweis zum Klock-Closing

In der südenglischen Hausmeisterstrandstadt Brighton, wo Rene noch als Andrew aufwächst, schafft er es mit gefälschten Ausweisen auf erste Techno-Partys. Es spielen James Ruskin, Matrixxman, Vril oder Setaoc Mass. Aber die Clubs, in denen sie auftraten, seien praktisch leer gewesen. „Hier stehen die Leute mehr auf House und Disco, weil Studenten eben so was hören”, sagt Wise und meint: „Also fuhr ich an den Wochenenden mit dem Zug nach London – ein sechsstündiges Closing von Ben Klock im Fabric war der Wendepunkt für mich.”

Mit Freunden easyjettet Andrew daraufhin nach Berlin. „Klar, da mussten wir hin und wurden, wie es sich gehört, gleich dreimal vom Berghain-Bouncer abgewiesen” – in anderen Clubs wie dem Tresor oder der alten Griessmühle haben sie mehr Glück. „Diese Erlebnisse haben mir eine neue, ganz andere Perspektive auf Clubkultur gegeben und mir, ich muss das jetzt so übertrieben sagen, die Augen geöffnet.”

Zurück ins Kinderzimmer

Auf der Musikhochschule, die er zu dieser Zeit besucht, sind die Augen zwar manchmal müde. Dennoch schreibt Andrew gute Noten. Er beschreibt sich als einen dieser Schüler, die nach der Klasse immer alles nochmal mit den Lehrer:innen besprechen mussten („ja, man könnte auch Streber sagen”) und der mit einem Lehrer, „ich glaube, es war Mister Keasley”, einen Verbündeten findet, der seiner Mutter glaubhaft verklickern kann, ihren Sohn doch bitteschön eine Karriere in der Musik anstreben zu lassen.

„Ich hatte keinen Plan B”

Rene Wise

Als dieser Sohn sich gegen eine Ausbildung an einer Uni entscheidet und weiter bei den Eltern wohnend „alles auf die Musik fokussiert”, lassen sie ihn gewähren. „Sie haben wohl eingesehen, dass es nichts gebracht hätte, mich davon abzubringen, weil sie wussten, dass ich keinen Plan B hatte. Also unterstützten mich meine Eltern in meiner Begeisterung und drängten mich nicht auf einen traditionellen Lebensweg – für dieses Vertrauen bin ich ihnen wirklich dankbar!”

Um die wohlwollende Gutmütigkeit des Elternhauses nicht überzustrapazieren, räumt Andrew Regale in Supermärkten ein und ruft aus Call-Centern Leute an, um ihnen Solaranlagen zu verkaufen. Den Rest seiner Zeit verbringt er in seinem Kinderzimmer vor billigen KRK-Monitoren. „Meine ersten Veröffentlichungen auf Mote-Evolver und SK_eleven sind dort entstanden”, sagt er, den Kamm wie einen Fidgetspinner zwischen seinen Fingern tänzeln lassend, und rechnet kurz zurück: „2018 war das, wow, ganz schön lange her!”

Die Wiese blüht so schön

Damals nennt er sich schon Rene Wise. Eine tolle Geschichte zum Namen („endlich fragst du!”) könne er leider nicht anbieten. „Als ein Freund ein paar meiner Demos an Mark Broom schickte und der tatsächlich antwortete, wurde es ernst; ich brauchte einen Namen. Er saß also mit diesem Freund zusammen, und ihm fiel Rene ein. „Und weil ich irgendwann – frag mich nicht, wieso – den Namen Russell Wise notiert habe, setzten wir die Teile zusammen; Rene Wise klang cool, es gab auf Google noch keine Ergebnisse dazu, und so war das dann.”

Die Reaktion, wenn wieder mal jemand Wiese sagt (Foto: Presse)

Dass ihn gerade Leute aus Deutschland immer noch „wie René Wiese” aussprechen, sei so bei der Namensfindung nicht bedacht gewesen, aber dafür würde auch kaum jemand erraten können, woher er wirklich kommt. So war er in Berlin oder Wuppertal oder Essen eben René Wiese, und das sei ja auch ganz okay, denn: „So klischeehaft das jetzt auch klingen mag, ich verstecke mich gern in der Anonymität und lasse lieber die Musik sprechen.”

Das funktioniert für ihn am besten nüchtern. Rene Wise trinkt kaum Alkohol, nimmt keine Drogen, meidet Afterpartys. „Ich weiß, das hört sich ganz schön scheinheilig an, aber so ist es wirklich!” Wie jeder vernünftige Jugendliche habe er natürlich seine Grenzen ausgetestet. Irgendwann müsse man sich dann allerdings auch mal kennengelernt haben, und deshalb wisse er inzwischen: Der Tag danach ist es selten wert.

Superfitdiät für lange Clubnächte

Wise sagt, ich solle das bitte nicht falsch verstehen, natürlich habe er auch schon bei der Arbeit getrunken. Zum Beispiel beim ersten Mal im Berghain. Er kam rein, weil er gebucht war. Luke Slater, der schon sein Debüt auf Brooms Label gepusht und gerade die erste Wise-EP auf Mote-Evolver rausgebracht hatte, pochte beim Berghain-Booker darauf. „Ich kam direkt um Mitternacht hin, obwohl ich erst um vier spielen sollte. Dann: komplette Reizüberflutung. Um mich zu beruhigen, trank ich mit meinen Freunden ein paar Shots. Wir mussten diesen bedeutenden Anlass ja auch feiern. Als ich wieder auf mein Handy schaute, war es kurz nach drei. Ich merkte, ich war ein bisschen betrunken. Also ließ ich meine Freunde stehen, trank drei Red Bull und machte, glaube ich, einen ganz guten Job.”

Seither betrete er einen Club trotzdem nur noch klar im Kopf. Nicht mal Kaffee brauche er, der treibe ohnehin nur. Und wenn es etwas gibt, das Rene Wise wirklich hasse, ist es, während des Sets auf die Toilette rennen zu müssen. „Deshalb trinke ich nur Wasser und auch nur schlückchenweise, um hydriert zu bleiben. Bei meinem letzten Closing im Bassiani habe ich neun Stunden aufgelegt und eineinhalb Flaschen Wasser und eine Dose Cola getrunken.”

Mit dieser Superfitdiät könne er das, da ist er sich sicher, auch locker so lange durchhalten wie seine Vorbilder Mills, Surgeon oder Klock. Schließlich machen sie wie er keine 100-Meter-Musik, sondern laufen den Marathon. Und weil dieser Marathon nebst Schlafmangel und lauter Musik auch andere Berufskrankheiten wie beschissenes Flughafenessen mit sich bringt, müsse man eben fit bleiben. „Eine Karriere als DJ ist sowieso schon fragil genug”, sagt Wise. „Da muss man am nächsten Tag nicht auch noch mit einem Kater aufwachen.”

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