Courtesy – fra eufori (Kulør)
Ja, Trance, puh! Was soll man da noch groß rumeiern, es ist ja alles gesagt, nur noch nicht von jedem. Deshalb schleift Courtesy die Links-gehts-rein-rechts-gehts-raus-Attraktion nochmal ins Kulør-Camp. Ohne Beats, weil – ha! – das ist jetzt der absolute Gamechanger, darauf haben die Leute gewartet: nicht nur ein, sondern zwei Enya-Covers, ein bisserl Early-2000er-Irgendwas von Madonna, Guru-Josh-Getröte und noch ein paar andere Hits, Hits, Hits. Wieso? Na ja, keine Ahnung. Müsste man mal fragen. Aber dafür ist einem die Zeit dann doch zu schade. Schließlich fehlt dem Bums ohne Unz, Unz, Unz genau das, was den Euphorie-Throwback so lustig gemacht hat: die sogenannte Leichtigkeit. Meine Güte, covert die Classics, aber tut doch nicht so, als müsste man da nochmal kÜnStLEriscH bEleUcHtEn, was an dem Klavier-Kitsch von „Orinoco Flow” so geil war. Spoiler-Alert: Es wird jedenfalls nicht geiler, wenn man den erweiterten Freundeskreis drübersegeln lässt. Keine Ahnung, wo Courtesy hier falsch abgebogen ist, aber: Irgendwer hätte im Laufe des Projekts mal sagen können, ey, sorry Courty, aber das gab’s doch alles schon mal eins zu eins. Christoph Benkeser
Dasha Rush – Contemplating (raster)
Acht Jahre sind eine lange Zeit, aber Dasha Rush hat ihre Alben seit jeher als Entschleuniger eingesetzt. Die neun Stücke stehen deshalb im krassen Gegensatz zu ihrer letzten Solo-Veröffentlichung im EP-Format für Sonic Groove. Wo dort noch röhrende EBM-Grooves und plärrender Acid für die Peak Time im Zentrum standen, setzt Contemplating wie der Langlauf-Vorgänger Sleepstep – Sonar Poems For My Sleepless Friends aus dem Jahr 2015 primär auf Texturen und aber weniger Text beziehungsweise den Einsatz der menschlichen Stimme.
Diese neun neuen Stücke werden zwar von feinen Rhythmen durchzogen, bleiben bis zum deutlich dynamischeren Finale des Albums aber vorerst beatlos. In den ersten zwei Dritteln von Contemplating zittern und flirren sie eher, als dass sie sich fortbewegen. Rush bedient sich dabei durchaus bei gängigen Ambient-Tropen und einer Klangästhetik, wie sie an der Schnittstelle von avancierter elektronischer Musik und wohlig-wolkiger Aktivitäts-Untermalung in Sound mittlerweile zum Klischee geworden ist – ja, ein bisschen Vogelgezwitscher über orgelähnlichen Klängen ist zwischendurch natürlich auch zu hören.
Es spricht also eigentlich viel dagegen, dass sich mit den verwendeten Mitteln ein wirklich interessantes Album machen lässt – und umso mehr für Dasha Rush als Künstlerin, dass ihr genau das aber gelingt. Contemplating ist nicht nur erwartungsgemäß souverän produziert, sondern nimmt dramaturgisch den titelgebenden Prozess auf und arbeitet mit ihm. Wenn am Ende eben doch vertrackte Beats erklingen, funktioniert das nach der vorangegangenen Introspektion als konkrete Veräußerung geschärfter Gedanken. Kristoffer Cornils
Deena Abdelwahed – Jbal Rrsas (Infiné)
Deena Abdelwahed ist in den vergangenen Jahren viel gefeatured und gefeiert worden. Vor allem, seit die 1989 im katarischen Doha geborene Produzentin und DJ im Jahr 2017 aus der tunesischen Underground-Szene nach Paris rübermachte und gleich für die ersten Sets mit internationalem Publikum (auf der Sónar in Barcelona etwa) gerühmt wurde. Auch ihr Debüt-Album Khonnar fand große Beachtung.
Nun verspricht die Eröffnung von Jbal Rrsas Spannung: durchgehaltene Noten auf einem Instrument, das klingt wie ein Cello aus Stahl; pumpende Beats, Rahmentrommeln, verzerrte Synths. Mit ihrer Rauheit und Einbeziehung von Rhythmustraditionen aus Afrika nördlich der Sahara hatte sie schließlich bereits mit ihren DJ-Sets und auf Khonnar überzeugen können.
Diesmal jedoch ist etwas anders. Track zwo: Stehende Drums, Bass-Drones, arabischsprachiger Gesang. Schafft wieder Spannung, signalisiert wieder: Pass auf, da kommt was. Gefolgt von „Six As Oil”, einem klassischen Brückenstück, das von C nach D führt, bloß: D, hier „Complain”, löst diese Erwartung auch nicht auf. Es gibt Ausnahmen auf „Jbal Rrsas”, zum Beispiel lassen sich weite Passagen von „Violence For Free” in ihrer vertrackten Beat-Arithmetik in Grime- und Bass-Sets einbauen, doch insgesamt behauptet das Album von Anfang etwas, das es dann nicht einlöst. Bis zum Nächsten dann. Christoph Braun
Friday Dunard – Rhenus Aeternus (Magazine)
Die Party findet im Kopf statt, der beste Beat erreicht dich nicht, wenn das Hirn nicht mitspielt, wenn die Hormone, wenn Serotonin und Dopamin und wie all diese schönen Körperdinge heißen, nicht mitmachen, wenn sie querschießen. Friday Dunard vertont die Party in dir, die verzweigten Vorgänge, die die Teilhabe ermöglichen, die den FUN von der Leine lassen – ohne Raum, ohne dominierende Kickdrum, ohne Schweiß. Die acht Tracks, die der Karlsruher auf Magazine, eines der coolsten Label seines Wohnorts Köln, veröffentlicht hat, wirken oft schwerelose, wie Abstraktionen unserer Herzensmusiken, sie transportieren Bausteine von Dub, Trance, Techno und deren genauso geliebten Nichten und Neffen.
Aber diese Elemente fliegen oft nur kurz durchs Bild, stehen auf dem Kopf oder sind subtil verformt, zusammengehalten beispielsweise, wie im tollen „Rhenus”, von einer emotionsgeladenen flächigen Akkordfolge. Aber irgendwo schabt es auch kontraproduktiv im Verträumten, und hörst du nicht auch in einer entlegenen Ecke dieses versöhnliche Wellenplätschern? Oder ist das ganze Album nicht einfach eine Zeitlupenstudie? Schwups, egal, alles schon wieder weg. Und nein, Zeitlupe geht anders, und einfach ist hier sowieso nichts.
Kompliziert aber auch nicht. Eher liebevoll, leidenschaftlich, aber auch schlau, gewitzt, und ewig weit weg von jedem kommerziellen Kalkül. Und wenn im letzten Stück der Beat dann doch wieder heftiger zurückkehrt und die Akkorde ohne jede Scheu ein 90er-Trance-Festival feiern, steht die Tür zur realen Party plötzlich sperrangelweit offen. Rein da! Mathias Schaffhäuser
Geistform – Resonancia (30D ExoPlanets)
Kennt ihr diese gelben Schilder, auf denen steht: Hochspannung, Lebensgefahr! Geistform ist genau dieses Schild, aber als Musik. Jede seiner Platten rüttelt nämlich durch wie ein Gabelgriff in die Steckdose. Der ist übrigens nicht zu empfehlen, aber auf seltsame Art auch heilsam. Man spürt sich endlich mal wieder zwischen Atonal am Morgen und Elmex am Abend. Und: Wo gibt’s das denn sonst noch? Eben. Also Platte drauf, einatmen und ein Dreiviertelstündchen von katalanischer Katatonie durchwalken lassen. Geistform hat sich schließlich in den vergangenen 20 Jahren nicht umsonst zum Industrialschweißer ausbilden lassen. Das heißt: Resonancia ist warmgewordene Kaltverformung. Von Metall. Oder den ganz coolen Technokids. Für die war Geistform zwar immer ein wenig zu Mad Max. Aber das ist ja egal, die jungen Leute von heute verstehen ohnehin nichts von stahlharter Arbeit. Hauptsache der Subwoofer hackelt rein. Und der hat mit Geistform immer genug zu tun. Klar spielt man damit schon mal den ein oder anderen Dancefloor leer. Aber wie gesagt, ist ja egal. Außerdem gibt’s ja immer noch den zweiten Karrierepfad als Soundtrack-Komponist. Die Visitenkarte deponiert Geistform zwischen Breaks und Geballer mit „Última Emisión”. Allein dafür müsste Emmerich noch mal einen guten Alien-Streifen drehen. Christoph Benkeser
Das Album findet ihr hier.