Caterina Barbieri (Foto: Helge Mundt)
Die anstatt dem Atonal vom 25. September bis 30. Oktober stattfindende Ausstellung Metabolic Rift vereinte die Arbeiten von 20 Künstler*innen und eine Reihe von sieben Konzerten. Unser Autor Vincent Frisch hat sich die Werke, die aus großformatigen audiovisuellen Arbeiten, In-situ- und Klang-Installationen bestehen, die speziell an die Räumlichkeiten des Kraftwerks angepasst wurden, angesehen und einen Konzertabend mit Caterina Barbieri, Bendik Giske, UCC Harlo und Nkisi erlebt. Im Zentrum des Abends steht der Versuch der Künstler*innen, einen Trancezustand des Publikums zu erreichen – ob nun durch Introspektion oder expressiven Tanz.
Die Ausstellung beginnt mit einem Rundgang durch bisher der Öffentlichkeit unzugängliche Räume im Kraftwerk. Entlang des Rundgangs werden die Besucher*innen von Klangskulpturen, Videos und einer Gesangsperformances begleitet. Plötzlich steht man auch in den Räumen des Tresors und damit die Frage im Raum, wann der denn endlich öffnet.
Anstatt Strobolicht und Tänzerarmen, die sich durch den dichten Nebel kämpfen, erwartet die Besucher*innen ein leerer Clubraum, durch den Klänge wandern und in dessen Mitte ein schmelzender Eisblock ausgestellt ist. Eines der Highlights ist das Finale des Rundgangs, eine tanzende, 15 Meter hohe, durch einen Luftstrom am Leben erhaltene, aus Windhosen genähte Figur. Diese reicht bis an die Decke einer riesigen Halle an der Rückseite des Kraftwerks und bewegt sich scheinbar rhythmisch zur Musik, die aus riesigen Lautsprechern am Ende der Halle ertönt.
An den Rundgang anschließend verändert ein abwechslungsreiches Programm an Licht- und Sound-Performances den Hauptraum des Kraftwerks ständig. Zusammen mit der Architektur des Kraftwerkes und dem fehlenden Licht entsteht dadurch eine nachdenkliche, dystopische Grundstimmung, die die Besucher*innen ganz vereinnahmt. Auf Leinwänden laufen blitzschnell Naturaufnahmen ab, die einen psychedelischen Effekt hervorrufen, der auch eine Beziehung zum Feiern herstellt. Am wenig beleuchteten Ende des gigantischen Gebäudes stehen einige Autowracks, die das Publikum in eine mögliche postapokalyptische Erfahrung eintauchen lassen.
Die Ausstellung wird zusätzlich von einer speziell kuratierten Serie von Konzerten begleitet. Teil der Reihe war ein Abend mit Performances von Caterina Barbieri, Bendik Giske, Nkisi, UCC Harlo, Evelyn Saylor und Caner Teker. Der Abend funktioniert als eine Art Showcase des neu von Caterina Barbieri gegründeten Labels Light Years. Dieses will als Plattform erforschen, wie Klang ein Mittel zur Veränderung sein kann, und dabei das transformative, bewusstseinsverändernde Potenzial von Musik sowie ihre sozialen Auswirkungen stark machen. Das Label soll außerdem ganz im Zeichen der künstlerischen Kooperation stehen.
Wie immer, wenn man die Treppen des Kraftwerks emporsteigt, wird man zunächst von den Größenverhältnissen in der Halle überwältigt. Das visuelle Wechselspiel aus Publikum, Licht und dem rauen Industriebau ist eine Transzendenzerfahrung für sich. Wenn schließlich noch die Musik das Kraftwerk zum Sprechen bringt und der Bass bebt, ist das Erlebnis vollkommen. Doch bevor die Musik in den Fokus des Abends tritt, stehen zwei Boxer im Kampfring, musikalisch begleitet von monotonen Bassbeats und umgeben von den meist schwarz gekleideten Atonal-Enthusiast*innen. Die Performance von Caner Teker, der selbst im Ring steht, verhandelt am Beispiel des traditionell türkischen Öl-Ringkampfs die Themen Männlichkeit, Verletzlichkeit und Nähe.
Musikalisch beginnt der Abend dann mit der kurzen Performance von UCC Harlo, die leider energetisch nicht anschließen kann an den inszenierten Boxkampf und die hohen Erwartungen an Caterina Barbieri und den Saxophonisten Bendik Giske ein wenig drosselt, aber vielleicht auch den Raum zur Introspektion öffnet. Über langanhaltende Synth-Drones singt sie längere Melodien oder spielt diese mit ihrer Bratsche ein.
Bei der darauffolgenden Pause und beim Toilettengang kommen schnell einige Assoziationen und Erinnerungen an die letzte Klubnacht im Berghain hoch. Sehr jung ist das Publikum und zusätzlich noch super stylisch und technoid gekleidet. Doch dieser Abend ist nicht vom expressiven Exzess geprägt, sondern vielmehr der Versuch einer introvertierten Form der Transzendenzsuche.
Was später mit den Performances von Barbieri und dem Saxophonisten Bendik Giske folgt, ist der Versuch, bei den Hörenden eine Form der Trance zu erreichen, „bei der man den Eindruck hat, zu laufen, obwohl man nicht von der Stelle kommt.” Zu Beginn betritt Bendik Giske ein Podest, um das sich das Publikum schart. Aus seinem Saxophon erklingen lange, wunderschöne Melodiephrasen, die mittels verstärktem Sound per Mikrophon und einer Delaykette lange im Kraftwerk nachhallen. Darüber spielt Giske neue Phrasen, wodurch komplexe Stimmgeflechte entstehen, die durch das hörbare Greifen der Tasten rhythmisch begleitet werden. Ab und an entwickeln die Geräusche der gedrückten Tasten ein Eigenleben und es entsteht ein eigenständiger Rhythmus. Dabei steht das expressiv-performative Auftreten Giskes, der viel von seinem aktuellen Album Cracks performt, sehr stark im Kontrast zum zurückhaltenden Auftritt Barbieris.
Die Haare hängen ihr tief ins Gesicht, und wie ein Zupfinstrument, manchmal mit ausladenden Gesten, bedient sie ihr Modularsystem. Ihr nun beginnendes Solo ist die Antwort auf die Frage, die Giske mit dem seinen gestellt hat. Über Drones mischen sich immer wiederkehrende Melodiefragmente, bis sich diese durch neue Motive ablösen. Das Timbre ihres Synthesizers ist dabei sehr nah am Klang natürlicher Instrumente und erinnert oft an ein Cembalo. Das Publikum steht während der Performance sehr statisch, und nur Einzelne schaffen es, ihr Innenleben nach außen zu kehren und sich zur Musik zu bewegen.
Im darauffolgenden Duett von Barbieri und Giske fügt sich das akustische Saxophon wunderbar ein in die Klangwelt des modularen Synthesizers und das Frage-Antwort-Spiel führt zur Vermischung der Klänge. Dabei klingt das akustische Saxophon fast wie ein elektrischer Synthesizer und der Synthesizer sehr akustisch.
Das Spiel mit der Wahrnehmung von elektrisch generierten und organisch produzierten Stimmen wird fortgesetzt, als sich Gesangsstimmen zu einem gregorianisch anmutenden Gesang zusammenfügen. Das Publikum wird für einen kurzen Moment mit der Annahme getäuscht, Barbieri würde diese Klänge produzieren. Wenig später wechselt das Licht, und es wird deutlich, dass zwei Sängerinnen am anderen Ende der Halle singen, die Barbieri dann mit einem Cembalo begleitet.
Gegen Ende ihres Auftritts spielt Barbieri solo und performt sowohl altbekannte Stücke wie auch ihr populärstes Stück „Fantas”. Verliert man sich in dieser Trance, vergisst man die Zeit und die anderen Menschen um einen herum. Verliert man den Zustand der Trance, kann manches Stück auch etwas langatmig wirken.
Am Ende des Abends verwandelt Nkisi mit einem energetischen Set das Kraftwerk in einen Club. Zu Beginn langsam-schleppend und gegen Ende in raviger Gabba-Manier verfolgt Nkisi das Konzept des immer schneller werdenden Sets. Teilweise entsteht musikalisch durch schnelle Breaks untermalt der Eindruck, man sei hier gerade Teil eines flippigen Aphex-Twin-Konzerts.
Dabei kommt es von Seiten des Publikums zu ekstatischen Tanz-Ausbrüchen Einzelner, ansonsten herrscht strikte Überforderung, den eigenen Körper zu bewegen, angesichts des hohen Tempos und der komplexen Rhythmik. Die Fragen: „Darf ich tanzen? Kann ich dazu tanzen? Kann ich zuhören, wenn ich tanze?”, stehen im Raum.
Musikalisch ist das Set von Nkisi von höchster musikalischer Variation und der Anwendung modernster Technik geprägt. Komplexer werdende Breakbeats, unübliche Bassläufe, eingesungene Drones und präzise Hardstyle-Bassdrums zieren ihr Set. Nkisi benutzt ein hybrides Setup, bestehend aus einem CDJ 2000, einem Mikrofon, Drum-Machines und der Aufsehen erregenden Soma Pipe, die über Atem und den Einsatz der Stimme Klang erzeugt.
Auch Nkisi will durch Rhythmus und Tanz einen Zustand von Trance im Publikum erreichen. Unser Körper soll uns dabei helfen, durch kollektives Tanzen unser bisher unbekanntes Wissen zu erschließen. Das steht stark im Kontrast zur introvertierten Trance, die Barbieri mit ihrer Musik hervorrufen will. So ist es mehr als spannend, dass diese beiden Positionen an einem Abend vereint auftreten und verschiedene Wege der Musikerfahrung aufzeigen. Bis zum Ende des Sets von Nkisi bleibt ein Großteil des Publikums da, und vielleicht hat Nkisi mit dieser Performance den ein oder anderen Barbieri-Fan überzeugt, dass auch der metrisch-rhythmische Aspekt von Musik interessant sein kann.