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Elevate: Diskursrave und keine Angst vor schlimmen Drops

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Vom 28. Februar bis 3. März feiert das Elevate seinen 20. Geburtstag mit einem imposanten Line-up. Unser Autor Simon Popp war bei der Ausgabe im vergangenen Jahr dabei und erklärt im Nachbericht, wie Rave, Philosophie und Diskurs in Graz aufeinanderprallen.

„Endlich wieder Graz im Winter” – ein Satz, der durch die Gassen hallt am Elevate-Wochenende 2023. Traditionell findet das österreichische Clubfestival nämlich in den kälteren Wochen des Jahres statt, die Pandemie hatte die gute Konvention allerdings aus dem Takt geworfen. Nun, nach von Corona geprägten Sommer-Ausgaben, erstrahlt der Grazer Schloßberg in alter Frische und den guten März-Farben, grau, karg, spärlich beleuchtet, verspricht postpandemische Normalität und lädt in sein Inneres zu fünf Tagen Disco und Diskurs.

Der Dolomitfelsen in der Grazer Altstadt ist nämlich Dreh-, Angelpunkt und Protagonist des Festivals, das seinen Namen einem Aufzug verdankt, der zur letzten Jahrtausendwende in den Stein gerammt wurde und seither Besucher und Stadtbevölkerung schneller auf den Bergrücken bringt. Und nicht nur der Lift durchzieht den Schloßberg.

Caterina Barbieri nimmt den Lift (Foto: Philipp Bohar)

Auch ein mehrere Kilometer langes Stollensystem, im Zweiten Weltkrieg von Zwangsarbeitern in den Felsen getrieben, findet sich im Inneren des Bergs. Heutzutage beherbergt er einige weitere Bauwerke und interessante Fahrzeuge. Die Grazer Märchenbahn etwa tuckert seit ein paar Jahrzehnten durch die ehemaligen Kriegsstollen, und in der Nähe des Schachtes für den Lift wurde 2019 als immerhin „höchste Indoor-Rutsche der Welt” die Schloßbergrutsche in Betrieb genommen. An ihr werden manche Festivalbesucher auch dieses Jahr ungläubig vorbeistolpern.

Die Elevate-Macher Bernhard Steirer, Roland Oreski und Daniel Erlacher spürten vor 20 Jahren, dass diese steirische Halbwelt auch ein Ort für elektronische Musik sein möchte. Entstanden ist eine Institution für österreichische Musik- und Clubkultur und Kunst, und immer mehr wurde das Festival auch ein Ort für das Zauberwort Diskurs: mit Theorie-Tagveranstaltungen, Paneldiskussionen und Workshops – so ist auch der bekannteste Act des heurigen Elevate mitnichten ein Musiker, aber dazu später mehr.

Sibylle Berg liest (Foto: Clara Wildberger

Bereits Mittwoch wird das Elevate 2023 feierlich eröffnet, dazu ist unter anderem Autorin Sibylle Berg in die Steiermark gereist, trägt erst ein Gedicht und dann eine fröhlichfinstere Rede zur Lage des Menschen in Zeiten von Lohnarbeit, Mieterhöhung und postdigitalem Lieben vor. Auch auf der Bühne: Bürgermeisterin Elke Kahr von der Kommunistischen Partei und der belarussische Star-Akkordeonist Yegor Zabelov.

Das Musikprogramm startet – nach einem ersten Diskursnachmittag – am Donnerstagabend. Wer bereits in Graz ist, wird sich das Liveset von Rojin Sharafi nicht entgehen lassen. Einer größeren Öffentlichkeit wurde die Komponistin durch Releases auf dem Opal-Tapes-Ableger Zabte Sote bekannt, der sich iranischer Musik und Diaspora widmet. Die Wahlwienerin ist berüchtigt dafür, elektroakustische Komposition mit Clubsound, Klangexperiment mit Liveperformance zu verknüpfen.

Rojin Sharafi im Mausoleum (Foto: Clara Wildberger)

Am Freitag füllt sich die Altstadt zwischen den verschiedenen Spielstätten stetig: Viele Festivalbesucher reisen nämlich erst an, zum Beispiel aus der Bundeshauptstadt Wien mit dem Railjet. Zu Mittag hält der kanadische Science-Fiction-Autor Cory Doctorow noch eine Keynote, und nachdem die Diskussionsrunde Netzpolitischer Abend absolviert wird, beginnt bald das dichte Wochenendprogramm. Und zwar direkt mit einigen provozierten Höhepunkten.

Den Auftakt macht der junge Wiener Subletvis mit einem Liveprogramm zwischen Postclub und Metapop. Im Anschluss sitzt Bogdan Raczynski in einem Kreis aus Synthesizern und Monitor-Speakern, hinter ihm eine Leinwand, die Handyaufnahmen von Küstenstraßen und Sandstränden in, mutmaßlich, England zeigt. Raczynski war in den Nullerjahren eine Institution des britischen IDM und, mit den Worten Aphex Twins, nicht nur konsequent „underrated”, sondern sogar die „key influence” dessen Albums Drukqs von 2001.

Bogdan Raczynski sitzt lieber (Foto: Clara Wildberger)

Zwei Jahrzehnte später sitzt er in Graz auf dem Bühnenboden und spielt ein ruhiges Live-Set, das durch verschobene Melodien und haptischen Designsound überzeugt. Es fällt durch die eher leise und introvertierte Herangehensweise als eine Ausnahme auf dem Festival auf, denn es soll am Wochenende noch wuchtiger, doomiger, schneller werden. Wer es aber jetzt schon dramatischer möchte, muss nicht lange warten, bis Caterina Barbieri aus dem Nebel tritt und ihre Synthesizer anwirft.

Im Berg sind derweil beide Floors aufgewärmt. Links und rechts des Hauptstollens findet sich zum einen der „Dom im Berg”, vor Kurzem mit einem 48-Kanal-Ambisonics-Soundsystem erweitert, und der kleinere Floor „Tunnel”. Dieser wird sich in der Nacht vor allem dann füllen, wenn Courtesy einen Eurodance- und Trance-Hit nach dem anderen loslässt.

Courtesy im Tunnel (Foto: Philippe Gerlach)

Wem das ein bisschen zu viel Augenzwinkern ist, darf sich aus der Menschenmasse rückwärts herausarbeiten, einige Höhenmeter hinabwandern, um im „Dom” von keinem geringeren Musikstück als dem „Imperial March von John Williams empfangen zu werden, ja, dem Darth Vader-Thema, das gerade der Kalifornier The Gaslamp Killer in die 700-Quadratmeter-Grotte hineinarbeitet – deutlich weniger verkopft, weniger Diskursrave als an anderen Momenten dieses Wochenendes, dafür fröhlich big room und ohne Angst vor schlimmen Drops. 

Auch wird hier drinnen klar, dass das Elevate nicht nur ein Exilfestival für Wiener Kenner:innen und Kunststudierende ist, sondern scheinbar die halbe Stadt unter Tage gezogen hat. Nur kurz entstehen Unmut und Empörung via Instagram: als die Securitys die Stolleneingänge auf beiden Seiten abriegeln und luftschnappende Raucher:innen in T-Shirts verdutzt draußen bleiben müssen. Das Missverständnis ist aber bald vergessen und alle Gäste sind wieder im Berginnern, wo die Nacht noch länger geht und von Alpha Tracks, der auch heute maßgeblich an seiner Renaissance eines seriösen Trance-Sounds arbeitet, beendet wird.

Keine Angst vor Cringe mit The Gaslamp Killer (Foto: Philipp Bohar)

Samstag gegen 17:00, die Schlange reicht bereits über das Grundstück des Grazer Stadttheaters. Die alte Ungewissheit, ob man noch reinkommt. Dabei nutzt der Headliner des heurigen Elevate weder Platten noch Instrument, sondern sitzt wild gestikulierend auf einem Sessel auf der Bühne. Slavoj Žižek spielt gekonnt sein Programm „Only a catastrophe can save us” aus philosophischem Kabarett, zeithistorischem Kommentar, linker Plattitüde, aber scharfen Tönen Richtung Russland ab. Wenige Stunden später ist der Sessel weggeräumt, und an selber Stelle sorgt Panda Bear zusammen mit Sonic Boom für unbeschwerte Laune und Reminiszenzen an die frühen Zehnerjahre.

Žižek sitzt (Foto: Clara Wildberger)

Nachts verlagert sich das Geschehen wieder in die Tiefen des Schloßbergs. Der „Tunnel” wird heute von Nyege Nyege übernommen. Das Kollektiv, Label und Festival aus Uganda ist ein singuläres Projekt, das eine Plattform um elektronische Musik und Counterculture für den gesamten subsaharischen Raum geschaffen hat.

Nyege Nyege übernimmt (Foto: Philippe Gerlach)

Einige Meter tiefer im Gestein macht sich gerade Luke Slater alias Planetary Assault Systems bereit, ein weiterer Name, auf den die Elevate-Gemeinde mit großen Erwartungen blickt. Leider werden diese nicht ganz erfüllt, eher schallt generischer Festival-Techno. Funktioniert zwar, kommt aber an die eigenen Produktionen des Briten kaum heran. Der Eindruck mag aber auch daher kommen, dass kurz vor ihm Modular-Musikerin JakoJako die Latte sehr, sehr hoch gelegt hat.

JakoJako verkabelt (Foto: Philippe Gerlach)

Wer sich am letzten Morgen aufraffen kann, für den hat das Festival einen Brunch mit Musikbegleitung organisiert. Man saust ein letztes Mal im Schloßberglift hoch, begleitet von einem kurzen Stück, das Caterina Barbieri eigens für die diesjährige Festivalausgabe komponiert hat. Den endgültigen Ausklang übernehmen die peruanische House-Produzentin Sofia Kourtesis und die Düsseldorfer Band Neuzeitliche Bodenbeläge am Nachmittag.

Was bleibt, wenn man wieder im Railjet sitzt und die historische Semmering-Bahnstrecke zurückfährt? Ein, sofern man den noch nicht hatte, vielschichtiger Eindruck von der zweitgrößten Stadt der Republik Österreich, in der das Elevate mitnichten ein Fremdkörper ist, der einmal im Jahr Leute aus dem Festival-Jetset anzieht. Im Gegenteil, das Elevate ist im besten Wortsinn ein Stadtfest – mit hohen Ansprüchen und von gleich mehreren Kuratorinnen und Kuratoren ausgeklügelt gestaltet. Ein breites, aber nie völlig zerfaserndes Programm bringt allerlei Menschen zusammen, die meisten sind durchgehend gut gelaunt und auch gut beschäftigt mit dem dichten Booking zwischen den vielen Standorten.

Musik, Diskurs und Kunst beim Elevate 2023 (Foto: Philipp Bohar)

Das Diskursprogramm und die Aktivismus-Workshops können zeitweise etwas, nun ja, pflichtbewusst wirken. Gleichzeitig beweist der volle Theatersaal (inklusive Einlassstop) um den Star-Philosophen Žižek sehr wohl, dass die Frage, ob die gesellschaftlichen Bereiche Diskurs und Philosophie heute wirklich als Pop oder gar Rave-Momente funktionieren, tatsächlich noch einmal gestellt werden könnte.

Das Elevate 2024 findet vom 28. Februar bis 3. März in Graz statt. Alle Informationen findet ihr hier.

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