DJ Seinfeld (Foto: Kasia Zacharko)
Als sein Debütalbum Time Spent Away From U 2017 erschien, surfte Armand Jakobsson alias DJ Seinfeld ganz oben mit auf der Lofi-Welle. Diese LP ist einer der Gründe dafür, dass er karrieremäßig jetzt da ist, wo er ist: nämlich als äußerst gefragter DJ in unzähligen Clubs auf der ganzen Welt. Obwohl sein Alias DJ Seinfeld derselbe geblieben ist, haben sich Mensch und Musiker seitdem ziemlich weiterentwickelt. Seine Plattensammlung hat Jakobsson veräußert, Musik konsumiert er mittlerweile ausschließlich digital, weswegen wir auch im Titelbild nicht wie gewohnt einen prall gefüllten Schrank zeigen können.
Das neue Album Mirrors bringt neue Farben ins Spiel, beginnend mit dem Cover, aber natürlich vor allem mit den Songs selbst. Während Time Spent Away From U im Grunde eher eine Sammlung von bis dato produzierten Songs war, hat er sich bei Mirrors zum ersten Mal Gedanken darüber gemacht, was er wirklich als Album präsentieren will. Die Erwartungen waren hoch, doch vor allem er selbst legt viel Wert auf seine technischen Skills und seine Entwicklung als Produzent.
Ebenso wie sein erstes Album reflektiert Mirrors den jetzigen Status Quo: „Ich bin eine ziemlich veränderte Person. Ich bin glücklich. In meinem Privatleben bin ich viel zufriedener als zur Zeit des ersten Albums.” Die ursprüngliche Melancholie ist nicht verflogen, doch die Tracks wirken erwachsener, geerdeter. In gewisser Weise ist er damit auch der Lofi-Blase entflohen, die doch, wie jedes Internet-Phänomen, immer droht, irgendwann zu verpuffen.
Mit Mirrors will Seinfeld auch seiner Karriere als Musiker ein stärkeres Fundament geben. Und weil er seine Zukunft in den Clubs hinter den Tellern sieht, gehört dazu auch eine Kenntnis und Sensibilität für das richtige Mixing, auf die er besonderen Wert legt. Es ist eine Kunst für sich. Inspiration holte er sich vor allem von Freund*innen, äußere Einflüsse versuchte er zu minimieren. Deswegen ist Mirrors nicht ein weiteres Pandemie-Album, sondern schlicht und einfach der Versuch, „herauszufinden, wer oder was ich im Innersten bin und wer ich als Künstler sein möchte.”
Burial – Untrue (Hyperdub)
Untrue nenne ich immer bei Fragen nach meinen Lieblingsalben. Es ist für mich als Mensch und Künstler ein Fundament. Ich hab es zu einer Zeit für mich entdeckt, in der ich jung und verletzlich war. Ich wohnte Ausland, also in Edinburgh, einer dunklen und grauen Stadt. Ich hatte nicht viele Freund*innen. Und Burials Musik spricht zu dieser Art von Menschen, denke ich. Und wenn du in einem bestimmten Alter oder zu einer bestimmten Zeit etwas findest, das du liebst, dann hast du auch noch Jahre später diese tiefe Verbindung dazu. Auch, wenn du dann vielleicht eine völlig andere Person bist. Untrue hat ja bereits jede mögliche Ehrung erfahren in der Welt der Musik. Für mich verdient es die noch immer – und viel mehr.
Ian William Craig – A Turn of Breath (Recital)
Ian William Craig ist eine relativ neue Entdeckung für mich, und ich weiß auch gar nicht so viel darüber, wer er ist. A Turn of Breath hat viele Chor-Samples und rusty Ambient-Sounds, was ich mag. Ich glaube, dass er bei den meisten Songs auf dem Album selbst singt. Die Musik klingt für mich, als sehe man Enya durch einen sehr verschwommenen Spiegel. Solchen Ambient hab’ ich auch mehr und mehr gehört während der Pandemie, weil ich auch mehr und mehr empfänglich für sowas wurde.
Dylan Henner – Invention of the Human (AD 93)
Dieses Album von Dylan Henner geht in eine ähnliche Richtung wie Ian William Craig. Es wurde 2020 auf AD 93 veröffentlicht und portraitiert Erfindungen der menschlichen Zivilisation. Die Tracktitel sind auch sehr interessant. Einer heißt: „Two Trains Came Through the Station at Once and It Felt Like a Hurricane”. All diese seltsamen Eigenheiten, auch das mittelalterliche Font-Design auf dem Cover – super-bizarr –, finde ich schön. Es ist auch eines dieser Ambient-Alben, in die viele Field-Recordings einflossen. Auch eine dieser Pandemie-Entdeckungen, die ich sehr, sehr genossen habe.
Legowelt – Crystal Cult 2080 (Crème Organization)
Ich fand es immer schwer, alte Tracks von Legowelt zu spielen. Sie sind so produziert, dass sie zwar tanzbar, aber nicht wirklich für den Dancefloor gemacht sind. Aber auf diesem Album lässt er einige Melodien einfließen und entwickelt eine bestimmte Dancefloor-Sensibilität. Mein Liebling ist „Experiental Awakening”. Für mich ist das sein Opus Magnum. Ich hab viel Acid Techno gehört, viele Bunkerplatten, aber auch viele Chicago- und Detroit-Sachen. Die haben mich auch inspiriert, aber am meisten Bunker und Legowelt.
Theo Parrish – Sketches (Sound Signature)
Speaking of Detroit. Da sind einige meiner liebsten Tracks von ihm drauf, z.B. „Kites of Pluto”. Theo Parrish ist für mich eine der interessantesten Personen in Sachen House-Musik. Aus zwei Gründen: Omar S hat immer mehr oder weniger funktionalen House gemacht. Theo Parrish war da irgendwie anders. Er war weniger interessiert daran, clubby Musik zu produzieren. Er arbeitet zudem auch mit Samples und klingt dabei so weird. Auf dieser Platte sind House-Tracks, die fast 12 Minuten lang sind! Sie ist zwar minimal in der Produktion, aber eben auch funky. Und man kann den Menschen hinter der Musik hören. Wenn ich selbst House-Musik mache, dann habe ich dieses Album im Hinterkopf. Es erinnert mich daran, wie verspielt man innerhalb des Genres sein kann.
Actress – R.I.P. (Honest Jon’s)
Actress habe ich in derselben Zeit wie Burial entdeckt. Ein Freund, der immer wusste, was cool war, hat mir damals viel Musik gezeigt. Actress’ Musik war immer ein wenig schwerer zugänglich für mich. Sie ist subtiler, fordernder, konzeptueller als all die anderen Arten der Musik, die ich sonst gehört hab’. Einer meiner liebsten Tracks von ihm ist „Jardin”. Ich habe keine Ahnung, wie er den gemacht hat, aber er ist so unfassbar schön. Manchmal hat man keinen Zugang zu einem Album, aber dann kommt ein Stück, von dem man so begeistert ist, dass man den Rest des Albums in einem ganz anderen Licht sieht. Und das ist für mich hier passiert. Ich glaube, er ist wirklich ein Genie und einer der Top-Artists der elektronischen Musik. Konzeptuell und als Produzent. Es sind seine Klang-Texturen, die mich auch als Musiker sehr beeinflusst haben. Und all seine Alben eröffnen verschiedene Welten. Wie Hazyville, R.I.P., AZD etc. Sie sind so gut darin, eine ganz eigene Welt, ein eigenes Universum zu erzeugen. Oder eine ganz bestimmte Straße Londons, zu einem bestimmten Zeitpunkt bei einem bestimmten Wetter. Das fängt er ein. Und er macht noch immer Lofi-Musik. Viel von ihm ist noch immer total roh. Und er zeigt, wie man Low-Fidelity-Musik noch immer avantgardistisch klingen lassen kann.