Solomun portraitiert in Memes. Collage von Wilf/ hammerica.com

Internet-Communitys und Clubkultur bilden seit Jahren eine fruchtbare Verbindung, die unter anderem in Memes ihren Ausdruck findet. In diesem Jahr wuchs die Techno-Meme-Szene weiter. Sie avancierte zu einem probaten Mittel, um die Kommerzialisierung elektronischer Musik zu kritisieren. Was hat sich da im vergangenen Jahr verändert? Ein Überblick.

Memes in der Clubkultur, das ist eigentlich nichts Neues. Zumindest nichts, was im vergangenen Jahr erst auf der Bildfläche aufgetaucht wäre. Von den „starter packs“, die nur dafür gemacht sind, sich über eine solche Nische und ihre zahlreichen Kleinstszenen lustig zu machen, über nerdige Memes über Musikproduktion (das von Four Tet unfreiwillig ins Rollen gebrachte „This is where I recorded and mixed the album and all the gear I used“ zum Beispiel) bis zum Thema Drogen: Die Clubkultur hat die Memekultur bereits vor einigen Jahren mit offenen Armen empfangen. Schließlich bedeuten Memes Spaß, und Spaß gehört zur Kernidentität des Ravens.

Dennoch hat sich in diesem Jahr etwas verändert: Memes sind zu einem ernsthaften Ausdrucksmittel für Kritik an der Szene geworden; vor allem an ihrer weltweiten Kommerzialisierung. Nicht, dass sie nicht selbst dazu beigetragen hätte. Die Szene wächst und wächst. Festivals werden zu globalen Marken. Der wirtschaftliche Aspekt scheint zunehmend in den Vordergrund zu rücken. Verkaufsargument bleibt dabei jedoch das Versprechen einer Utopie, auch wenn sie nur eine Nacht lang währt. PLUR – Peace, Love, Unity, Respect – wird gern beschworen, aber nicht immer gelebt. Damit bietet die globale Szene im Jahr 2019 eine große Angriffsfläche für Kritik. 

Memes tun das mit (Selbst-)Ironie bis hin zu Häme. Beliebtes Ziel der Parodien sind bekannte DJs, die auf Sozialen Netzwerken fleißig Eigen-PR machen. Damit liefern sie das visuelle Rohmaterial für ein Meme oft direkt mit. Vor allem aber sind manche DJs zu einer Marke geworden, die sich durch ihre konkrete Fassbarkeit umso leichter karikieren lässt. Die geschlossene Facebook-Gruppe „The Worst Techno Memes Ever Group Page“ (kurz: TWTMEGP; mit rund 114.000 Mitgliedern die größte Seite ihrer Art) beispielsweise hat ein Foto von Solomun in Gebetspose als Titelbild. Solomun erfüllt alle Kriterien der Meme-Tauglichkeit: Er ist a) eine Marke, b) ein prominenter Vertreter des Ibiza-Zirkus und taugt somit als Symbolbild der Kommerzialisierung der Szene und ist c) für ausschweifende Afterpartys und somit das Lieblings-Meme-Thema, Drogen, bekannt. Solomun ist das Maskottchen der Gruppe, von ihren Mitgliedern mit einer innigen Hassliebe bedacht. Genau wie das Genre, das er zuweilen spielt: Tech-House. Ein User erstellte im vergangenen Sommer sogar aus unzähligen kleinen Memes ein riesiges Solomun-Porträt. „King of Ibiza and legend of techno memes“, nannte er ihn da. 

Meme von Kaity Clowes in TWTMEGP

Doch Solomun ist nicht der einzige. Adam Beyer, Amelie Lens, Charlotte de Witte, Nina Kraviz – Künstler*innen, die nicht nur aufgrund ihrer Musik, sondern auch wegen ihres Images polarisieren. Dass das auch mit ihrem Geschlecht zusammenhängt, überrascht wenig. Denn Techno-Memes befinden sich an der Schnittstelle zwischen Internet-Nerds und Techno-Fans – beides überwiegend männliche Communitys. Das plakativste Beispiel sind da wohl die Füße von Nina Kraviz. Nachdem sie mehrere Fotos von sich gepostet hatte, auf dem ihre nackten Füße zu sehen waren, wurden diese fetischisiert und zu einem Witz mit einem arg sexistischen Beigeschmack. Welches weibliche Körperteil wohl als nächstes dran ist?

TWTMEGP verurteilt in seinen Gruppenrichtlinien immerhin frauenfeindliche und rassistische Kommentare, neue Memes von Nutzer*innen müssen erst von einem fünfköpfigen Moderator*innen-Team zugelassen werden (zu dem auch interessanterweise die Berliner DJ Cinthie zählt). Es ist dennoch ein zuweilen trauriger Spiegel der homogenen, weißen, männlichen und hetero Demografie von Teilen der Szene. Explizite Kritik daran findet sich eher in politisch ausgerichteten Meme-Formaten am Rande der Szene, wie der Feminist Meme School. Eine Workshop-Reihe, die eigenen Diskriminierungserfahrungen mit Humor begegnen will.

Dennoch steckt nicht immer Sexismus dahinter, denn in der TWTMEGP bleibt keiner verschont: SHXCXCHCXSH haben einen unaussprechbaren Namen? Wird aufgegriffen. Richie Hawtin hat eine Markenzeichen-Frisur? Auch Material für 1000 Witze. Mit einem Satz wurde er im vergangenen Jahr indirekt zum Meme: „What are we selling or promoting?“. Das fragte er in seiner Instagram-Story in Richtung einer bekannten DJ. Der Sachverhalt wurde zum Meme, weil er das zeitgenössische Dilemma der elektronischen Musik zusammenfasst: Ein Künstler greift eine Künstlerin an, weil sie sich mit intimen Einblicken in ihr Leben zu aggressiv vermarkte, verteidigt somit scheinbar die Ideale seiner Szene – und ist dabei selbst jemand, der es sehr früh verstand, sich zur Marke zu machen, Sake inklusive. Hawtin sah das wohl ein und löschte den Beitrag, die betroffene DJ und er haben sich wieder vertragen. Doch seine Frage blieb.

Für das Foppen von DJs kleineren Kalibers, erfolgloser obscure disco-DJs zum Beispiel, ist die Instagram-Seite huge.dj.party.alerts zuständig. Im Juli diesen Jahres gegründet, hat sie Stand November 2019 bereits 18.000 Follower. Hier kommen banale Kritik an Szenestrukturen (zum Beispiel die „things agents say“ LINK) mit nerdigen Witzen über das Auflegen zusammen. Auch die ebenso relativ junge Seite usb_only_ hat eine ähnliche Ausrichtung. Im Gegensatz zu TWTMEGP sind die Seiten jedoch weniger Community-basiert. Während bei ersterer alle Nutzer*innen Memes basteln können, die dann erst freigegeben werden müssen, geht huge-dj.party.alerts und usb_only_ scheinbar nur von einer Person aus. Dementsprechend nischiger sind die Inhalte.

Daneben sind gleichzeitig hyperlokale Meme-Seiten wie Berlin Club Memes oder Amsterdam Club Memes gewachsen beziehungsweise entstanden. Diese nehmen Codes einer konkreten Szene auf die Schippe, idealisieren Rituale und lokale Clubs und schaffen so ein Zugehörigkeitsgefühl – für die, die es kennen. Gegenüber den Unwissenden sind solche Memes ein besonders effektives Mittel zur Distinktion. Denn nur wer das Meme-Motiv kennt oder versteht, kann darüber lachen. Sich vom Mainstream irgendwie zu unterscheiden, auch das ist seit Anbeginn Teil elektronischer Clubkultur. 

Doch im gleichen Maße, in dem im vergangenen Jahr einige Meme-Seiten mit fundiertem Hintergrundwissen entstanden und gewachsen sind, ist die Frage nach dem Geld aufgekommen. Lässt sich mit dem Erstellen von Memes Geld verdienen? Außerhalb der elektronischen Musik machen es Influencer wie Sebastian Tribbie von youvegotnomale oder Gabi Abrão von sighswoon durchaus vor. Sie erstellen Memes für Marken oder lassen sich von ihren Fans über Plattformen wie Patreon bezahlen. Im Herbst haben zwei große Meme-Seiten über Clubkultur das nun auch versucht: TWTMEGP kündigte an, die Seite verkaufen zu wollen. Die Gruppe sei zu groß geworden, um sie zu verwalten. Unsere Anfrage dazu blieb unkommentiert, es wirkt jedoch so, als hätte der Verkauf letztlich nicht stattgefunden. Stattdessen richteten die Macher*innen eine Patreon-Seite ein, über die man Premium-Fan werden konnte. Ob das geklappt hat, ist jedoch nicht mehr einsehbar, der Patreon-Account ist offline. Die bereits länger existierende, Drogenkonsum idealisierende Seite „Humans of the Sesh“ hat seit Anfang Oktober eine solche Patreon-Seite. Für den Preis eines Dosenbiers, so haben es die Urheber genannt, bekommt man Zugang zu exklusiven Posts. 

Diese jüngste Entwicklung zeigt das Dilemma auf, das Meme-Seiten haben: Nur wer wirklich (also finanziell) unabhängig ist, kann gegen alles und jeden austeilen. Gleichzeitig sollen Meme-Maker keine unbezahlte Arbeit leisten, denn auch das ist ein unbedingt zu kritisierender Bestandteil des Techno-Kapitalismus. Es ist ein ähnlicher Konflikt wie der, mit dem sich auch der Musikjournalismus konfrontiert sieht.

Für das nächste Jahr bleibt abzuwarten, ob die Techno-Meme-Szene dem Gegenstand ihrer Memes folgt und der wirtschaftliche Aspekt der Arbeit in den Vordergrund rückt. Eins ist jedoch sicher: Es werden neue Meme-Seiten aufploppen. Der Humor ist nicht totzukriegen.

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