Fotos: Presse
Seit über dreißig Jahren bewegt sich Tobias Freund als musikalischer Grenzgänger quer durch House, Techno und elektronischen Pop. Egal, ob als Tonmischer für Moritz von Oswald, Ellen Allien, Nina Kraviz, Function oder Efdemin, in eigenen Projekten wie Sieg über die Sonne (mit Dandy Jack), NSI (mit Max Loderbauer), Recent Arts (mit Valentina Berthelon), Atom™ & Tobias. (mit Uwe Schmidt) oder als Solo-Künstler (Tobias., Pink Elln): Der Musiker, Produzent und Engineer realisiert diesen Klang- und Formenreichtum mit einem überschaubaren, aber hochwertigen Gerätepark. Wir trafen ihn zu einer Studiovisite.
Wie viele andere Berliner Musiker kann Freund auf eine bewegte Historie von Studioumzügen zurückblicken, die meist von Sanierungsmaßnahmen durch Gentrifizierung getrieben waren. Seit 2011 haben er und sein Studio- und Musikpartner Max Loderbauer ihre Non-Standard-Productions getaufte Studiobase nun in einem Raum im Flughafen Tempelhof, der zumindest vorerst safe scheint. Ganz unterschiedliche Gewerbe haben in dem gigantomanischen Halbrund-Gebäude ihren Platz gefunden: von der Autowerkstatt, über eine Privatuni bis zum Tanzstudio und eben auch diverse Tonstudios. Den Flur teilt sich Freund beispielsweise mit Mathew Jonson.
Gehypte Analog-Technik
Der luftige Raum mit breiter Fensterfront ermöglicht das Arbeiten bei Tageslicht und das auffällige orange-schwarze Schachbrettmuster des Teppichs erzeugt eine ganz eigenwillige, technisch-wohnliche Atmosphäre. “Nach dem Krieg ist hier ja die Air Force eingezogen und alles, was hier noch drinnen ist – die Schränke, der Boden – ist alles nach Qualitätskriterien und der Ästhetik dieser Zeit gefertigt”, erzählt Freund, der selber bereits als aktiver Zeitzeuge über die gesamte Ära der elektronischen Musik seit den 1980er Jahren berichten kann. Denn seine Karriere startete er als Tontechniker in Frank Farians legendären Europa Sound Studios, wo er schon früh Zugang zu professionellem Equipment hatte und als Tontechniker an Eurodance-Produktionen von Milli Vanilli oder La Bouche beteiligt war. Dadurch überblickt er die gesamte technologische Entwicklung und kann sich noch gut an die Prä-Computer-Ära erinnern: “Das war eine ganz andere Zeit. Ich habe Bands aufgenommen, die einen Song wirklich komplett von Anfang bis Ende durchgespielt haben. Heute spielt man ja einfach ein bisschen rum, nimmt die besten ein bis zwei Takte und das war’s”. Dabei ist der Sechsundfünfzigjährige weit davon entfernt, in Recording-Nostalgie zu verfallen, sondern kann mit den Ohren eines erfahrenen Tontechnikers die qualitativen Unterschiede verschiedener Technologie bewerten und relativieren. Er beobachte, dass die Analog-Technik heute viel mehr gehyped sei, als es damals dar Fall war: “Im ersten Studio wo ich war, stand ganz selbstverständlich ein Neumann-Pult und da dachte man sich nichts bei, sondern sagte einfach: Super, klingt ganz außerordentlich, ist aber eben nur ein Pult und mehr nicht. Heute ist es der letzte Schrei, so ein Neumann-Pult zu haben”.
Dieser Überhit von 1989 gehört zu den Songs, an denen Tobias Freund im Studio von Frank Farian als Toningenieur arbeitete.
Acht Equalizer und zwei Kompressoren reichen
Dennoch hat Technik der Firma Neumann auch heute noch ihren fest Platz im “Non Standard Studio”: So ist ein Neumann U473-Kompressor fester Teil der Signalkette, die Tobias Freund auch für das Mastering verwendet. Danach folgen lediglich noch die Equalizer seiner ADT-Konsole und ein Limiter im Rechner. “Das reicht, um Raum und Klarheit zu geben”, ist Freund überzeugt und ergänzt, dass ein guter Mix natürlich die Voraussetzung ist. Überhaupt ist das analoge Mischpult von ADT zusammen mit den acht Equalizern, zwei Kompressoren und einem Preamp, die in einem externen Rack untergebracht sind und bei Bedarf auf die Kanäle gepatcht werden können, die zentrale Anlaufstelle für alle Audiosignale. Freund lobt den Kontakt mit der kleine Mischpult-Manufaktur ADT: “Das sind total freundliche Leute, die sich als extrem ‘supportive’ herausgestellt haben. Besonders der Chef – Gerhard Jüngling. Irgendwann habe ich ihn mal gefragt, wo er eigentlich herkommt: Aus Gladbeck. Da kommt auch Helge Schneider her – da wusste ich, warum wir uns so gut verstehen: Die haben da alle diesen lustig-entspannten Schmäh“, lacht er.
Das von Tobias Freund gemischte Function-Album Incubation
Arbeiten ohne Internet
Eine strikte Arbeitshygiene hält er in Bezug auf die Internetnutzung im Studio: Es gibt schlicht und einfach keines. “Ich arbeite und alle Files, die ich mache, verschicke ich dann von zu Hause. Meine Kunden bekommen den Mix also am Abend oder am Folgetag. Das ist super, weil man ein bisschen Abstand zu der Sache bekommt und Verbesserungen automatisch erst am nächsten Tag gemacht werden können”, berichtet Freund. Das bedingt, dass seine Konsole und die anliegende Mischung so lange blockiert ist, bis der Kunde Änderungen mitteilt oder den Mix freigibt. Genau für diese Phasen hat Freund dann sein alternatives Setup, das er für eigene Projekte und Kooperationen nutzt. Unverzichtbare Bestandteile sind hier die Roland TR-808, MC-202, Pearl Syncussion SY-1 und der alte Akai S3200-Sampler. Flankierender Neuzugang ist daneben noch ein alter MC-500 Sequencer, ebenfalls von Roland. In technologischer Hinsicht mag das geradezu museal sein, Freund ist aber von einer kreativitätsfördernden Wirkung überzeugt: „Man ist damit zwar augenscheinlich total eingeschränkt aber durch diese Einschränkung wird man einfallsreicher. Ich will ja beispielsweise meine Loops gar nicht sofort sauber haben wie jetzt in Ableton. Und gerade mit Material, das außerhalb des Tunings ist, und das Du mit einfachsten Mitteln wie LFOs und Filter-Envelopes anpasst, kannst Du sehr ungewöhnliche Sachen realisieren“.
Gefragt, ob es irgendwelche technischen Neuerungen gibt, die ihn in den letzten Jahren wirklich beeinflusst haben, entgegnet er, dass er sich für sein Projekt Recent Arts einen Bass und im Zuge dessen eine ganze Reihe von Effektpedalen gekauft hat: “Distortion, Looper, Delay, lauter so kleine Sachen”, die sich wie ein kleines Modularsystem verschalten lassen. Entsprechend sei die gesamte Musik des neuen Albums nicht im Sequencer, sondern direkt im Zusammenspiel mit dem Looper entstanden. Da eine solche Performance ihre ganz eigene Dynamik hervorbringt und Freund schon während des Einspielens die Lautstärke-Verhältnisse angleicht, kommt er bei der eigentlichen Mischung fast vollständig ohne Dynamikbearbeitung aus: „Diese ganze Überkomprimierung mit dem ‘Jeder will der Lauteste sein’ ist völliger Blödsinn. Früher hat man Kassetten aufgenommen, und ich habe hier in der Schublade noch etliche Tapes, die besser klingen als sämtliches digitale Zeug. Also ich finde Mastering wird überbewertet: Wenn in einem Song Feeling drin ist, kann man den entweder ein bisschen lauter machen oder etwas mehr Höhen geben, aber da jetzt Frequenzen komplett rausnehmen oder reindrehen, das finde ich furchtbar. Das zerstört die klangliche Struktur eines Stückes.“
Tobias Freunds Beitrag zu “Shut up and dance” (mit Max Loderbauer)
Von eins bis Dreihundert zählen
Überhaupt scheint sich Freund besonders da wohl zu fühlen, wo die Strukturen polymorph werden – auch und gerade wenn seine Musik auf die tänzerische Umsetzung trifft. So berichtet er davon, wie erstaunt er war, als er erstmalig die choreografische Inszenierung der Musik von NSI im Rahmen der Shut Up And Dance-Performance sah: “Wir haben das Stück gemacht, ohne Kontakt zu der Choreografin zu haben. Ein Jahr später wurde das im Berghain aufgeführt und es war echt unglaublich, wie frei und “random” die Musik war und dennoch jede Bewegung passte. Ich habe mich erkundigt, wie Tänzer das machen. Die zählen das wirklich knallhart durch: von eins bis dreihundert und dann, an bestimmten Zählern, erfolgt die Bewegung. Das ist schon toll zu sehen, wie experimentelle Musik in physische Bewegung umgesetzt werden kann.” Ohnehin ist Freund weit davon entfernt, eine Stagnation in der elektronischen Tanzmusik zu erkennen und gibt zu Protokoll, dass er immer noch nach der Zukunft der Clubmusik sucht. „Da ist noch einiges zu machen“, glaubt er. Der Umstand, dass die Akustik im Club oft schwierig ist und die Anlagen fast nie gut sind, zwinge ihn geradezu, aufgeräumte, hochoptimierte Produktionen abzuliefern: “Ich merke meistens schon beim Soundcheck, dass alles, was ich im Studio programmiere viel zu viel ist. Meistens reicht schon die Kickdrum allein”, sagt der Musiker lachend.
Equipment (auszugsweise)
Klangerzeuger:
Kurzweil K2000R
EMU Proteus 2000
EDP Gnat
SND SAM-16
Cwejman S1 MK2
Korg MS-20
Boss DR-55
Roland 808, 909, CR-78, MC-202
Clavia Nord Rack
Pearl Syncussion
Sequential Circuits Prophet 5
Akai S3200
Outboard:
Sequentix P3
Roland MC-500
Electro-Harmonix 95000, Superergo
Moog MuRF, Lowpass Filter
Pult:
ADT Konsole
Monitoring:
Genelec 1031
Effekte:
Maestro Echoplex EP-3
Yamaha SPX 50 D
AMS dmx15-80 S
Lexicon LXP-5
Eventide H3000SE
Software:
Apple Logic
Das Album “Skin” von Recent Arts ist bereits auf “Non Standard Productions” erschienen.