Fotos: Sven Marquardt (Answer Code Request)
Zuerst erschienen in Groove 171 (März/April 2018).
„Aber auf keinen Fall gehe ich zurück nach Fürstenwalde“, sagt Patrick Gräser, den die Szene als Answer Request Code kennt. Patrick wohnt mit seiner vierköpfigen Familie in einer kleinen Dreizimmerwohnung in Berlin-Mitte. Seine Frau und er suchen ein größeres Zuhause. Aber selbst für erfolgreiche Musiker ist es in Berlin nicht so einfach, eine gute Wohnung zu finden. Und das Ehepaar hat noch nicht entschieden, ob sie in der Stadt oder im Grünen leben wollen. Und wo sollen die Kinder zur Schule gehen?
So ist Patricks Studio in eine Nische zwischen Flur und Kinderzimmer gequetscht, die wahrscheinlich mal als begehbarer Kleiderschrank gedacht war. Zwischen Rechner und Mixer hängt ein krakeliges Kinderbild. Angesichts der Düsterkeit von Patricks Musik könnte man einen melancholischen und entrückten Menschen erwarten. Tatsächlich ist er aufmerksam, gewitzt und gelassen. Er nimmt seine Musik ernst, aber nicht zu ernst. „Fast vier Jahre zwischen Code [seinem ersten Album, Anm. d. Verf.] und dem neuen sind ganz schön lang.“ Dass er so lange gebraucht hat, hat ihn schon beschäftigt und auch ein wenig geärgert: „Ich war eigentlich immer ziemlich schnell, aber wenn man die ganze Zeit auf Tour ist und auch noch Kinder hat, ist das schwierig. Ich weiß ja, wie es bei vielen ist, die so viel unterwegs sind. Du veränderst dich und verlierst das, mit dem Du angefangen hast. Ich war immer DJ, bei mir kam das Produzieren erst später. Ich habe aber daran Gefallen gefunden und es dann auch vermisst. Es war für mich also wichtig, mit dem Produzieren weiter zu machen und dabei zu der Musik zurückzugehen, die mich zum Auflegen gebracht hat.“
Die komplexen, klanglichen Texturen seiner Tracks deuten auf einen großen, analogen Gerätepark hin. Das täuscht. In der Studio-Nische steht ein Laptop, ein 16-Kanal-Mixer und eine Handvoll Geräte. Er arbeitet meistens am Computer und viel mit externen Effekten. Sein eleganter, zurückgenommener Sound ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass er kaum mit Kompression arbeitet, sondern mit EQs, sagt er. Er bestellt sich auch immer wieder mal ein Analog-Gerät. Aber er verkauft es wieder, wenn er damit Material für seine private sound library aufgenommen hat. Die Magie seines neuen Albums liegt auch darin, dass Patrick Techno, Ambient, Breakbeats und IDM miteinander verschmelzt ohne sich dabei zu verzetteln. „Das ist nicht einfach“, erklärt er: „Gerade bei den Broken-Beats-Tracks, in die kleine Rave-Elemente eingebunden sind. Dazu werde ich immer wieder durch die Drum’n’Bass- und UK-Hardcore-Zeit inspiriert. Ich gehe weg von dem, was jetzt ist. Bloß nicht irgendwelche neuen Sachen hören!“
Das neue Album und dessen erster Track heißen Gens. Zehn der zwölf Stücke haben lateinische Namen. „Wenn du das Wort googelst, bedeutet das Stamm, Familie oder Abkömmling. Für das gleichnamige Stück habe ich auf dem Spielplatz Field Recordings aufgenommen. Man hört im Hintergrund die Kindergeräusche.“ So drückt das Wort eine Zugehörigkeit zur menschlichen Sphäre aus, die ihre eigene klangliche Aura hat. Aber der Mensch ist nicht alles. Er ist vom Kosmos umgeben. In der Musik geht es unter anderem um die Frage, wie man sich als Mensch zu der Unendlichkeit des Universums verhält, ob sie bedrohlich erscheint oder erhaben, ob man sich winzig fühlt oder allmächtig. Zu dem Stück „Gens“ inspirierten Patrick Boards of Canada, die schon Vorbild für den opening track seines ersten Albums waren: „Ich wollte, dass der Track ähnlich klingt. In meinen DJ-Sets finde ich es immer wichtig, dass nach dem Cut zu dem DJ, der vor mir gespielt hat, eine neue Story erzählt wird. Das neue Album ist so eine neue Story. Es ist aber kein Konzept-Album.“ So hat er kein klangliches Repertoire definiert.