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Juli 2025: Die essenziellen Alben (Teil 2)

Teil 1 der essenziellen Alben aus dem Juli findet ihr hier.

rEAGENZ – moon 50 (Source/Reflective)

Sternengucker:innen wissen es schon lange: Ohne die Veröffentlichungen von rEAGENZ macht es keinen Sinn, das Haus zu verlassen. Im federnden Hüpfschritt jammen sich David Moufang und Jonah Sharp seit ihrem Debüt 1994 auf Source Records durch das Dickicht der elektronischen Sounds – und haben dabei mit nur wenigen Veröffentlichungen die Geschichtsschreibung des Dancefloors geprägt. Vielleicht weil es in ihrer gemeinsamen Arbeit nie um den Dancefloor ging. Keine Drops, keine schematischen Build-ups, dafür ein Fokus auf Klang und genug Zeit für jeden noch so leisen Bleep.

moon 50 dokumentiert eine Live-Improvisation zum Thema 50 Jahre Mondlandung, aufgenommen im Sommer 2019 in Heidelberg. Und zeigt exemplarisch, wie lebendig und zukünftig Techno immer noch sein kann, wenn man ihn nur lässt. Denn moon 50 ist alles andere als historisierend oder museal. Der Konzertmitschnitt ist vielmehr Beweis dafür, wie viel Farbenpracht mittlerweile vom Schlamm des Alltäglichen weggespült wurde. moon 50 klingt so, wie sich eine langsam verabreichte Infusion mit bislang unbekannten Glückshormonen anfühlen muss. Ist keine per Kehlkopfschnitt verabreichte Druckbetankung, sondern ein sanftes Gleiten ins Glück. Thaddeus Herrmann

Rival Consoles – Landscape From Memory (Erased Tapes)

Rival Consoles ist ein Name, der fest mit Erased Tapes verwurzelt ist, Robert Raths Londoner Label, das für eine gewisse Zeit eine absolut singuläre Erscheinung war. Mit einem Sound, der traumwandlerisch den Spagat zwischen kruder Elektronik, avantgardistischem Folk und kammermusikalischer Neoklassik schaffte und damit viele Künstler zusammenbrachte, die ansonsten selten zusammengedacht wurden, aber doch so vieles gemeinsam haben.

Ryan Lee West alias Rival Consoles gehört zum Stammpersonal und sein Debütalbum IO von 2009 zu den frühen Veröffentlichungen des Labels, dessen elektronischen Flügel er mit einer Vielzahl an Releases prägte und dem er mit Landscape From Memory nun eine neue Facette hinzufügt. West entfernt sich hier nicht gar zu weit weg von seinen Wurzeln, schafft zugleich aber sein wahrscheinlich zugänglichstes Album. Auch wenn Harmonien und Atmosphäre immer fester Bestandteil seines Sounds waren, lebten seine Tracks stets von einer gewissen Tiefgründigkeit, die sich in komplexen Drumpatterns und einem sehr detailverliebten, perfektionistischen Sound äußerten, dem man bei jedem Hören neue Facetten abgewinnen konnte. Anders die Stücke des neuen Albums, die vom ersten Hören an mit ihren Melodien und Hooks in die Arme nehmen wollen und dabei das Kunststück schaffen, auch beim zweiten und dritten Hören noch Raum für Entdeckungen zu lassen. Das Spektrum reicht von Ambient und Electronica bis hin zu Trance-Artigem oder gelegentlichen Ausflügen in Synth-Wave-Nostalgie wie beim Titeltrack und hat das Potenzial, auch noch nicht Bekehrte in das Rival-Consoles-Universum zu ziehen. Stefan Dietze

rRoxymore – Juggling Dualities (!K7)

rRoxymores Schaffen durchzieht, neben hochinspiriertem Einfallsreichtum, große stilistische Offenheit. Die Französin mag repetitive Melodiestrukturen, sie hat einen offensichtlichen Bezug zum weitgefächerten Breakbeat-Kosmos genau wie zu etlichen Four-to-the-Floor-Varianten und experimentelle Musik liegt ihr vermutlich mehr am Herzen als plakativ poppige.

Eindeutige Dancefloor-Tracks finden sich auf ihrem aktuellen Album kaum, Juggling Dualities ist durchgehend geprägt von einer gewissen Zurückhaltung, Entspanntheit, ohne wiederum Ambient oder gar Entspannungsmusik zu sein. Exemplarisch dafür steht der zweite Track mit dem schönen Titel „Upward Spiral”. Das Stück vermittelt ein In-sich-Ruhen, aus dem heraus aber mit verschmitztem Lächeln spitze Attacken abgeschossen werden. Genauso gelungen sind sowohl Musik als auch Titel von „Embracing the Unknown”. „Moodified” erinnert dann an verspielten Minimal Techno, wie er in den Nullerjahren en vogue war, mit geschmackvollem Trance-Anteil und einer Ausstrahlung, die wirklich nur als moody bezeichnet werden kann. Toller Track. Wohlgemerkt: Gefällig ist keines der Stücke auf Juggling Dualities, vor allem in der zweiten Hälfte des Albums strahlen Tracks wie „Nectar” und „Solace” eine gewisse innere Unruhe aus, aber eben ohne den Einsatz drastischer Mittel – ideenreiche Arpeggios und gut platzierte Bleeps reichen für diese Stimmung absolut aus. Und auch was die Länge der Stücke anbetrifft, findet rRoxymore das Maß, kein Track ufert aus, kein Takt ist überflüssig. Mathias Schaffhäuser

Sa Pa – Ambeesh (Short Span)

Sa Pa ist einer der wenigen Acts, die im Umfeld zeitgenössischer elektronischer Musik noch die Bezeichnung enigmatisch verdienen. Gar nicht so sehr, weil er seine Identität so konsequent verschleiern würde: Sa Pa war einst Teil des Kollektivs Giegling, selbst ein Foto gibt es von ihm inzwischen zu sehen. Vielmehr ist er einer der seltenen Künstler:innen, die in sämtlichen musikalischen Aggregatzuständen eine konsequente, durchaus radikale Ästhetik verfolgen, die eine nennenswerte Undurchdringlichkeit mit sich bringt; bei Sa Pa lautet diese: Dub Techno, den es auch auf dem relativ spontan veröffentlichten Album Ambeesh zu hören gibt.

Entstanden zwischen 2014 und 2019 und als Nachfolger zum Debütalbum Fubuutsushi konzipiert, wendet sich die LP über neun Tracks hinweg kraftvoll, federleicht und widerborstig vom Dancefloor ab. „EOALH (Pressure Rhythm)” schlurft zwar mit einer tiefen Kick träge voran, erinnert aber eher an einen dysfunktionalen Tauchroboter, der sich mit schwindenden Akku immer weiter in die Tiefe schleppt. In „Ride High” sind die Kicks so gegeneinander arrangiert, dass man konstant zwischen ihnen hängenbleibt, während verwaschene Hi-Hats einen Groove simulieren. So kommt sie erst zur Geltung, die wahre Schönheit des Dub Techno. Noch stärker flimmert nur „Irradiate” kristallin im Ohr, auf dem nie wirklich Stille herrscht, das mit seinem unbeirrbaren Auf- und Abebben aber den Weg in die glückselige Endlosigkeit weist und damit die Kernessenz eines ganzen Genres in sich trägt. Maximilian Fritz

Shanti Celeste – Romance (Peach Discs)

Nach ihrem Debütalbum Tangerine von 2019 kehrt Shanti Celeste mit Romance zurück. Ein Schritt weg von ihrer bisherigen UK-Clubkultur-Referenz und hin zu deutlich mehr Pop. Natürlich erscheint es wieder auf dem eigenen Label Peach Discs, doch diesmal mit Shanti selbst auf dem Cover (Tangerines namensgebende Frucht war noch auf dem letzten Artwork). Die persönliche Note setzt sich fort, so singt die Künstlerin jetzt nämlich auf all ihren Tracks. Während auch der Vorgänger nur im Ansatz ein Club-Album war, sind auf Romance gerade mal drei der neun Stücke zum Dancefloor-Einsatz geeignet. Der Rest zeigt eine Entwicklung in Richtung R’n’B-getränktem, schimmerndem Pop. Ähnlich dem Kurs, den Jayda G mit ihrem Zweitlingswerk Guy nahm.

Zwar hatte Celeste schon auf ihren DJ-Tools wie „Cutie” die eigene Stimme bemüht, allerdings mehr als Produktions-Tool denn tatsächlich im Muster Strophe/Refrain. Jetzt geht es in den Lyrics um eine frische Beziehung, das Gefühl, sich zu verlieben, die Hochs und Tiefs und die emotionale Achterbahnfahrt dazwischen. Zu komplex werden die Texte dabei nicht, vielmehr bleiben sie authentisch und nachvollziehbar, wie es sich für gut verdauliche Popmusik eben gehört. Das heißt aber nicht, dass die Musik nicht weiterhin voll nach Shanti Celeste klingt: Bouncige Beats, schimmernde, gut gelaunte Chords und eine Portion Kaugummi-Geschmack sind immer noch die Grundzutaten für den unverkennbaren Sound einer Künstlerin, die nach wie vor weiß, gute Laune zu machen. Leopold Hutter

Two Shell – Ilcons (Young)

Der Weg zur Ikone ist hart und steinig, und kein Act bestreitet ihn seit Jahren so verbissen wie Two Shell. Dafür spielt das Duo ein Spiel mit der Anonymität, schickt zu Interviews gerne Personen, die offensichtlich nicht Two Shell sind, oder veranstaltet zeitgleich vier Konzerte in London. Auch ihre Veröffentlichungen sind erwartbar unkonventionell: Mal veröffentlichen sie auf ihrer eigenen Plattform Songs, die sie kurz danach wieder löschen, mal bekommen Musikjournalist:innen einfach komplett andere Versionen von Platten, die besprochen werden sollen. Das nun Mitte Juli erschienene neue Album IIcons war nicht im Voraus angekündigt, was bei Two Shell fast schon ein Muss ist, und referenziert auf den Glastonbury-Auftritt auf der IIcons-Bühne dieses Jahr. Ein Traum, der in Erfüllung ging: „Es gibt wenige Orte, die uns so wichtig sind wie das Glastonbury. Es ist das Epizentrum der Verbundenheit”, liest man in der Ankündigung des Albums. Viele der Songs sind schon von Live-Auftritten von Two Shell bekannt, jetzt werden sie erstmals zu einem Projekt zusammengefasst und veröffentlicht.

Das alles gehört zur B-Note. Das eigentlich Wichtige, die Songs auf IIcons, sind so, wie man sich eine Reise durch LAN-Kabel vorstellt: Schrill, glitchy, für Nicht-Expert:innen unvorhersehbar und damit typisch Two Shell. Es gibt wieder die typischen Pop-Ausflügen wie „Clutch” mit Madonna-artigen Vocals oder „finding my spirit”, das passenderweise auch am Ende von Four Tets Set auf dem Glastonbury lief. Eine weitere Konstante sind Dubstep-inspirierte Tracks, entweder relativ experimentell wie beim Opener „can you hear me?” oder klassisch-verschroben wie bei „Dark Shadow”. Insgesamt sind die Tracks sehr gut ausproduziert und fühlen sich allesamt richtig an, die große Überraschung bleibt aber aus. Das muss im Kontext des oben geschilderten Tamtams durchaus als Enttäuschung gelten. Wie immer gilt: Der Pfad zwischen Genialität und Wahnsinn, zwischen Originalität und Prätention ist sehr schmal, vielleicht manchmal zu schmal für dieses Duo. Tom-Luca Freund

Transpac – Infobahn (Curtis Electronix)

Auch wenn fast alle Tracks dieser sieben Titel umfassenden Mini-LP mit gerade marschierendem Beat daherkommen, handelt es sich bei der Musik nicht um Techno oder House. Vielmehr erkundet Transpac in seinen Stücken die düsteren, um nicht zu sagen stockdunklen Tiefen eines rein elektroiden, extrem elektronischen Klang-Weltalls.

Mittels eines kurzen, schwebenden Ambient-Tracks voller weitreichender Synthesizer-Flächen wird man abgeholt, dann geht es ab auf die Infobahn. Nicht nur am Titel des Albums bemerkt man, aus welcher Richtung hier der Wind weht – aus Düsseldorf nämlich.
Doch wo Kraftwerk musikalisch doch eher von einer positiven Zukunft berichteten – zumindest konnte man ihn immer hören, den hellen Schein am Horizont –, ist Transpacs Ausblick von eher dystopisch-sinistrer Art. Die Verbindung wird hergestellt, die Datenübertragung beginnt. Und dann schälen sich aus elektrisch zischendem KlingKlang und stoisch stampfendem Beat durchs Glasfaserkabel blitzende Melodien, die geisterhaft im leeren Raum verhallen. Plötzlich doch noch ein Stück mit genretypisch gebrochenem Roboter-Beat, dann ist die Reise viel zu schnell schon wieder vorbei und ein letztes Ambient-Stück bringt mit kaskadenhaft blubbernden Sequenzen wieder ins real life zurück. Tim Lorenz

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