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Tapestry: 10 Kassetten zum Ausprobieren

Letzthin draufgekommen: Tapestry, der schöne Titel dieser kleinen Kolumne, macht tatsächlich Sinn. Also, nicht nur im übertragenen Feuilletontitelunsinn, sondern wirklich, als Wort. Zwar mag der Fremdsprachenkundige beim englischen Tapestry sofort an opulente Wandteppiche denken und aufgeregt in der etymologischen Entwicklung blättern. Aber in Tapestry steckt eben auch Tapes try. Und das ist so ziemlich das, was wir hier wollen. Moogmusik aus Stuttgart probieren oder handgemachte Labelmusik aus München oder gerne auch mal ins benachbarte Ausland fahren. Um von dort tolle Kassetten mitzubringen, die wir dann, na ja, probieren.

Perrache – Mt. Rubble

Klar kann man gleich mal über Fußball bonden. Stuttgart, die Kickers. Das ist ja wirklich ein großartiger Verein, den er sich da ausgesucht hat, dieser Perrache, oder für euch auch: Joachim. Denn Joachim, der hat mir eine lange E-Mail geschickt und viele Dinge geschrieben, keine unpersönliche Copypastepromotion, die man eher mülleimern mag. Sondern wirklich tolle, interessante Dinge. Zum Beispiel, dass bei den Kickers mal jemand gespielt hat, der unter Umständen mein Bruder ist (Benkeser vor, noch ein Tor!). Oder dass ihm, also Joachim, da ein klitzekleiner Unfall passiert sei, mit diesem Album, das er auf einem tollen, bekannten Synthesizer aufgenommen hat, und so weiter und so fort. Jedenfalls höre ich da rein und weiß sofort, das ist einer, der macht das, weil das so sein muss. Und weil das schon 1999 so war und später, heute, ist es das noch immer so, herrlich.

Rene Lorenzo – A Good Moment (Kizen Records)

Das hier würde ich wirklich sehr gerne hören, wenn ich, sagen wir, an einem sommerlichen Mittwochvormittag, um kurz vor zehn, in einen Plattenladen gehe, dort stehen die Fenster offen, weil es draußen schon warm ist und schön, aber drinnen ist es kühl, und es läuft Musik, diese Musik, während da hinten ein gelangweilt dreinschauender Typ mit einem abgefahrenen Labeltshirt die neuesten Platten sortiert und vielleicht eine Stange Zigaretten raucht, nebenbei, weil dann alles einfacher geht, vor allem der Tag irgendwie vorbeigeht, und eigentlich ist das die perfekte Beschreibung für dieses Tape von Rene Lorenzo auf Kizen Records – es ist Vorbeigehmusik, die einfach vorbeigeht, immer wieder vorbeigeht. Trotzdem hört man jedes mal hin, irgendwie.

Mira Rachel – Echoes of Eden (Noorden)

Wir sind in Köln. Wir sind bei Noorden. Dahingehend ist man drüben, im Motherboard, meistens schon fachkundig unterhalten worden. Von Mira Rachel höre ich trotzdem zum ersten Mal, und das ist einigermaßen schade. Ist doch dieses schöne Tape ein gelungener Beweis dafür, dass man immer noch zwanglos das Mikro hochhalten kann und dann später die wichtigen Tasten drückt. Das funktioniert nämlich immer. Auch wenn es hier natürlich besonders gut funktioniert. Das mag an Mira Rachel liegen oder an Köln, wahrscheinlich sogar an was anderem. Aber so ist das eben, mit allem und meistens. Die großen Dinge, die tiefen, die kann man nur in einem Pressetext aufschreiben.

Danielle Nia – A New Light (i u we records)

Ein schönes, kleines Label aus dem schönen, großen München, das ist ja auch nicht verkehrt. Darauf dann zu hören: schöne, komplizierte Musik. Weil, also, bitte – das hier ist Modularsynthesizermusik, und da hat man erstens ja schnell ganz gute Fotos beinander, von bunten, überwuchernden Blumenkästen und der stillen Erkenntnis, dass man das nie können wird, egal ob man hundertvierundzwanzig Jahre alt wird oder nicht. Ach ja, und zweitens ist das nie ganz falsch, also den Synthesizer zu seinem poetischen, ja sinnlichen, ich meine: ursprünglichen Ursprung zurückzuführen und einfach mal Töne zu machen, die Melodien ergeben und Harmonien und ein bisschen Freude. Das ist dann, was es ist. Und ja, eigentlich ist das großartig.

Khalil – Where’s and Why’s (Defacement)

Die Sache mit Ambient, puh. Da gibt es guten und schlechten, und meistens (also immer) kommt es darauf an, wie man so drauf ist. Das Problem ist, gestern gefällt dir das Pazifikmöwengekreische, und morgen magst du lieber erholsame Gongbäder in buddhistischen Tempelanlagen genießen, und zwischendurch greifst du dir an den Kopf, weil das alles nur schwer auszuhalten ist, auf die Dauer. Dann, es kommt sehr selten vor, hörst du sogenannten Ambient, der gar nichts davon ist. Also gar keiner im klassischen Sinn sein mag und trotzdem tausend Stunden laufen könnte. Im Hintergrund, im Vordergrund, als Lebensentscheidung – so circa wie das hier. Khalil, der Typ hinter dieser Kassette, spielt sonst Gitarre bei einer wunderbaren Metalband und macht halt auch sonst was mit Musik. Das ist schön und gut, und bitte, erzähl‘ mir ausnahmsweise mal nichts von Ben Frost und Carsten Nikolai und diesen ganzen Leuten.

Moesha 13 – Jazz Club (Hakuna Kulala)

Einen schönen guten Tag, das ist ja eher ein Mixtape und kein Jazzclub. Wobei. Jazz kann ja eigentlich alles sein. Das ist doch nur eine dümmliche Erfindung von musikjournalöslichen Fossilien oder ignoranten Plattenladenpersonen, die ihr Miles-Davis-Getröte verkaufen wollten. Und das ging nun mal besser, als man, ja, Jazz erfunden hat. Der Jazzclub ist da nur eine Begleiterscheinung, so etwas wie der Aschenbecher auf dem Fensterbrett einer verrauchten WG-Küche: immer da, selten geleert, und trotzdem zentraler Treffpunkt. Denn Jazz ist nicht der Club. Jazz ist auch nicht das Genre. Jazz ist der Moment, in dem etwas passiert, das nicht vorgesehen war. Ein Umweg. Ein Griff ins Unbekannte. Vielleicht ist dieses Mixtape auf Hakuna Kulala also doch ein Jazzclub.

VA – Good Vibes Vol. 2 (Bad Tips)

Ach ja, raven. Immer mal wieder eine tageserfüllende Tätigkeit. Und hier, bitte schön: die richtige Musik. Sie kommt von Bad Tips, das ist ein tolles Label aus Lyon, die Globusbesitzenden unter uns wissen auch: Das ist in Frankreich. Klar, ein schönes Land, wunderbare Menschen. Man muss das bei Gelegenheit wirklich mal vor Ort gesehen haben. Jedenfalls ist das hier der dreizehnfach dosierte Dancefloor. Was das ist? Keine Ahnung, es klingt einfach gut. Zumindest, wenn man nicht zu lange darüber nachdenkt. Bad Tips, das Label, hat aber wirklich 13 Lieder zusammengebracht. Von Producern oder DJs, bestimmt sehr coolen Leuten, die ungefähr wissen, wie man Luft und Leute bewegt. Was ja nie verkehrt ist, bei so tageserfüllenden Tätigkeiten.

Retromigration – Change (International Chrome)

Wakawaka, endlich mal echte Musik. Dass die afrofutu-, ich sag es doch nicht, Musik ist, ist ja ganz klar. Das ist, quasi, eine ausführliche Investigativrecherche in der Zeit oder so. Dort erfährt man dann so einiges, was man als Privilegierter mit Niveaurückständen wahrscheinlich nie erfahren hätte. Deshalb vergisst man es sofort wieder, jedenfalls kommt man bestimmt nicht auf die Idee, diese Musik mal irgendwo zu spielen oder von Thomas Gottschalk anmoderieren zu lassen, weil: Das ist ja nun doch ein bisschen viel verlangt, oder? Ich aber finde: Was Niklas Wandt oder Jensen Interceptor für gut befinden, kann nicht kategorisch schlecht sein. Oder?

Lapalace – Lavender (Music To Watch Seeds Grow By)

So, zweimal zurücklehnen geht noch. Zuerst mit Lapalace aus Manchester – schon wieder eine Frau, die Musik macht und in dieser Kolumne vorkommt, verrückt eigentlich, wenn man bedenkt, dass es hier die absolut beste Kassettenmusik zu hören gibt. Das heißt entweder, dass alle anderen mitgemeint sind oder dass niemand mitgemeint ist, weil es eigentlich egal sein sollte. Aber ok, nächstes Thema, die Musik. Die kommt nämlich aus Omas Garten. Also, tatsächlich, und das muss man unbedingt dazu sagen, weil sonst würden hier nicht sofort alle an ihre eigene Oma denken und ihren Garten, den sie gehabt hat (reiche Oma) oder nicht (arme Oma). So muss man dann nicht mehr so viel Musik machen, man hat ja schon alles gesagt, mehr oder weniger.

Tavere – Too Small To Be So High (Cruel Nature Records)

Echte Musik, von Menschen. Krasse Utopie, eigentlich. Na ja, manchmal mag man noch träumen, hat eventuell Tom Cruise gesagt oder der Papst. Und dazu eignet sich so Musik, bei der man am liebsten auf den Boden schauen mag – beim Spielen und beim Hören und fast immer – einigermaßen gut. Die Leute, die in Zeitlupe ihre Instrumente bedienen, sind nämlich meistens ehemalige Philosophiestudenten oder immerwährende Philosophiestudenten, und da legt man ja besonders viel Wert auf, ich sag mal: Tiefe. Eventuell bedient man auch die großen Gefühle, die da wären. Wut, Trauer, Gösser Naturradler trinken in Radlerhosen und sich eine Gauloises nach der anderen anzünden. Während man über die wichtigen Dinge nachdenkt und das Falsche sagt.

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