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Motherboard: November 2024

Eine mehr als exquisite Remix-EP hat Mayuko Hitotsuyanagi alias Cuushe aus Kyoto für ihren Über-Dream-Pop Track Faded Corners (Flau, 13. September) zusammengestellt. Wo das Original kaum einholbar scheint in seiner prekären Position zwischen Ambient, R’n’B und Pop-Techno mit Trance-Pads, kann das koreanische Elektronik-Duo Salamanda durch Reduktion ungeahnte Akzente setzen. Melati ESP lässt uns elegant verstolpert wegtrancen. Und Flau-Labelmacher Aus final in wolkigem Schönklang entschweben.

Ein so vollständig ausdefiniertes und in allen Variationen ausgearbeitetes Genre wie Ambient zu de- und rekonstruieren, ist eine spezielle Aufgabe. Außer man ist Max Allison vom Label der freundlichen Freaks Hausu Mountain. Der macht in allerlei Bandprojekten allerlei abgedrehten Free-Rock, enthemmten Krach und solo als Mukqs ansonsten eher perkussive Analogelektronik und glitchige Electronica. Sein jüngstes Soloalbum Eye Frame (Orange Milk, 11. Oktober) versucht also nicht weniger als einen Neubau (aus alten Bauteilen) dessen, was Ambient einmal war oder hätte sein können. Praktisch bedeutet das flatterige, zittrige Elektronik aus Flächen heraus ausbrechen zu lassen, sie wieder einzufangen und ihnen fragile Struktur zu geben. Neubauten, zum Einstürzen vorgesehen.

Irgendwann arbeiten alle ihre (manchmal verspätete) Rave-Jugend auf. Speziell, wenn sie in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern in Großbritannien stattfand. Für den Bristoler Produzenten David Edwards haben die Neunziger offenbar eher in den Chillout-Zelten und den frühmorgendlich feuchten Frühlingswiesen stattgefunden als in Warehouses oder Kellerclubs. So klingt It All Levels Out (Bytes, 16. Oktober), seine Hommage an die Jahre nach dem zweiten Sommer der Liebe, weniger nach Techno, IDM oder Jungle als nach minimalistischer Ambient-Electronica. Und darin weniger britisch nach KLF oder Aphex Twin als japanisch nach Midori Takada oder Hiroshi Yoshimura. Es ist hier also einmal mehr die kurze Dekade des Kankyō Ongaku, der japanischen „Environmental Music”, die sich als nachhaltig und global inspirierend erwiesen hat. Und so ist das zehnte Album Edwards’ unter dem Alias Minotaur Shock schlicht und einfach sein Bestes geworden.

Wo wir gerade die Kankyō Ongaku gestreift haben: Die mexikanische, in Berlin lebende Klangkünstlerin Daniela Huerta (eventuell bekannter vom Electro-Duo Cornerbred mit Magda) schickt sich an, auf ihrer ersten großen Soloarbeit Soplo (Elevator Bath, 25. Oktober) eine ganz andere zeitgenössische Art der Environmental Music zu erfinden. Eine, die von Umwelt, Geräuschen und Feldaufnahmen ausgeht. Und diese erkennbar in den Mittelpunkt stellt, dann allerdings mittels digitaler Bearbeitung und synthetischer Begleitung massiv verschiebt. Naturklänge bleiben natürlich als solche wiedererkennbar (Wasser, Wind, Vogelzwitschern, das Klopfen auf Metall) und sind es doch nicht mehr vollständig. Die Field Recordings dienen nicht nur dazu, synthetischen Ambientflächen Textur und Atmosphäre zu verleihen. Sie sind ebenso wenig nur filmisch montierte Sound-Collagen. So entsteht etwas Größeres, das über die Elemente seiner Genese hinausgeht. Vielleicht keine ganz neue, noch nie gehörte Art von (Dark-)Ambient, aber definitiv eine, die interessanter und inspirierter klingt als der Rest.

Eleganz und Schönheit erwachsen aus der Zurückhaltung von Emotionen und der Reduktion der Mittel. Was eine sehr erwachsene Art und Weise ist, Ästhetik zu verstehen. Umso erstaunlicher, dass der junge Produzent Tomlaan aus Den Haag diese Wahrheit offenbar schon lange verinnerlicht hat. Wie kann es sonst sein, dass nach nur einer digitalen EP das Quasi-Debüt Poging Twee (Wandering Astray, 25. Oktober) so unglaublich gelassen und durchdacht klingt? Es ist elektronischer Minimalimus, der nicht im Formalen erstarrt, sich nicht in Abstraktion flüchtet. Sondern jederzeit flüssig und flexibel bleibt, ohne die Emotionen, die in Klang und Textur liegen, zu vergessen. Es ist diese seltene Qualität, die zum Beispiel auch in den FM-Synthesizer-Arbeiten von Hiroshi Yoshimura zu finden war. Einfach bleiben, aber nicht trivial. Eine der schwierigsten Übungen.

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