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Mai 2023: Die essenziellen Alben (Teil 2)

DMX Krew – Spiral Dance (Hypercolour)

Der Brite DMX Krew ist seit Mitte der Neunziger für klassischen analogen Detroit-Achtziger-Electro im UK-Gewand und verschrobene Synth-Boogie-Disco bekannt. Auf seinem Label Breakin‘ Records kamen damals eher die geraderen Dancefloor-Breaks und auf Aphex Twins Rephlex die verfrickelteren Nummern heraus.

Nicht verwunderlich, dass sein neues Album als Breaks-Leistungsschau jeglicher Couleur in extrem verspulter Synth-Ästhetik verblüfft. So ist „Spiral Dance” ist eine Bossa-groovendes House-Monster. „Escape to 92” ist entspannt-dunkle 808-Balearic-Disco und irgendwie auch Brit-Jazz, der kurz vor Chillwave rangiert. „Idea Two” clickt und bleept. „Desperate Measures” ist Synth-Booty-Bass. Und „FM Assembly” knallt über den Drummachine-Nachbau des Funky-Drummer-Break-Loops ab und an echt James Browns „Ah”-Sample. „Perfection” macht dann schleppend-hinkenden Irgendwie-Baile-Funk mit Horror-Synth-Layern platt. Ein sensationell seltsames Album. Mirko Hecktor

Kiwanoid – Vanatühi (Mille Plateaux)

Kunst existiert bekanntlich um der Kunst willen. Sie kann, aber muss nicht Funktionen dienen, selbst wenn Kunst ein Nichtsein proklamiert, existiert sie als Negation. Wie ist es mit dem Großteil heutiger Musik, der Hörer:innen überall verfügbar per Stream – kuratiert ausgehend vom Geschmack – erreicht? Musik als durchkommerzialisierte Ware dient der Bestätigung des Selbst, des Geschmacks, einer Wohlfühl-Blase, um eine möglichst lange Verweildauer zu generieren. Wer den Riss in dieser Blase sucht, sollte sich auf Vanatühi des estnischen Multichannel-Künstlers Kiwanoid einlassen. Alle 20 Tracks, jeweils in einer anderen Sprache, sind Übersetzungen des Begriffs, der auf estnisch so viel wie „Nichts” bedeutet.

Der Vanatühi (Der alte Leere) ist laut Wikipedia eine Figur aus der estnischen Mythologie. Jedes der 20 Stücke ist anders. Was die Musik vereint, ist der kompositorische Ansatz von Kiwanoid. Klicks, Störgeräusche und Low-Fi-Techno-Schnipsel verschmelzen zu un(-er-)hörten Sound-Landschaften, Welten hinter der Welt. Eben noch harmonisch anmutend, dann disharmonisch, rhythmisch, polyrhythmisch. Das vermeintlich geübte Ohr wird immer wieder überrascht, indem es enttäuscht, herausgefordert und überfordert wird. Ob das nichts ist, was wir hier hören, bleibt den Interpretierenden überlassen. Es dürfte sich aber offenbaren, dass Vanatühi kein ganz einfaches Werk ist.

Kiwanoid setzt seit vielen Jahren darauf, mit Brüchen zu überraschen. Ob dahinter mehr als eine philosophische Versuchsanordnung steht, das Ganze etwa in einem Techno-Pagan-Kontext zu sehen ist, mag jede:r selbst entscheiden. Spannend, herausfordernd und überraschend ist das Album auf jeden Fall. Liron Klangwart

Multiples – Two Hours Or Something (STOOR)

Jochem „Speedy J” Paap und Anthony „Surgeon” Child treffen sich schon seit einer Weile zu gemeinsamen Gigs mit viel Analog-Equipment und Improvisation, jetzt haben sie dieses Konzept über zwei Tage in Paaps Studio zelebriert und dabei elf Stücke aufgenommen. Diese rein improvisierten und nicht weiter nachbearbeiteten Tracks auf Two Hours Or Something ergeben allerdings kein typisches Techno-Album, keine Bassdrum übernimmt hier die Führung und das Ziel ist nicht der Dancefloor. Aber hoppla, wer definiert eigentlich Techno? Und war dieses Genre nicht auch einmal ein Versprechen für die Zukunft, ein Befreiungsschlag aus den kommerziellen Irrwegen der versiegenden Achtziger-Musikkultur? Das mittlerweile selbst wieder zu einer Formel geronnen ist, zu einem Geschäftsmodell, und irgendwann zu einem Mosaiksteinchen unter vielen im Musikmuseum.

Surgeon und Speedy J stemmen sich dagegen – oder machen vielleicht einfach nur, worauf sie Bock haben, ohne allzu viel Reflexion und Absicht, unterlaufen einfach Erwartungshaltungen und vermeintliche Regeln. Es groovt, aber weder gerade noch in vorgestanzten Breakbeat-Mustern, und man sieht die verdutzten, aber auch empört-erregten Verfechter des Techno-Reinheitsgebots auf den Dancefloors förmlich vor sich, wenn sie mit dieser Art von blubbernder und ratternder Eigenständigkeit konfrontiert werden. Aber genauso auch die feiernden, die euphorisch ausrastenden Körper, die kaum glauben können, dass noch einmal neue Formen und Variationen in dieser altehrwürdigen und oft schon totgesagten Institution Techno möglich sind. Mathias Schaffhäuser

Panthera Krause – Aside The Aeons (KANN) 

Der Leipziger Produzent Panthera Krause ist schon eine Weile unterwegs. Zunächst mit seinem Projekt Marbert Rocel, als Panthera Krause erkundet er seit gut zehn Jahren seine Vorstellungen von House. So war das auch noch auf seinem Debütalbum It’s a Business Doing Pleasure With You von 2019, jetzt hat er sich mit einer etwas anderen Platte zurückgemeldet.

Der Klang gibt sich gern künstlich-digital und luftig, einen Beat braucht er die meiste Zeit über gar nicht. „New-age-dark-side-pool-album”, nennt er die Sache passend, und bei den Äonen kann man frei rätseln, ob die Erdgeschichte im großen Maßstab oder ganz allgemein Zeitalter gemeint sind. Große Bögen und langer Atem sind jedenfalls reichlich vorhanden. Der Verzicht auf Tanzkonventionen und ein gesteigertes Interesse an New-Age-Ambient lässt sich spätestens seit der Pandemie ja als eine Entwicklung unter Clubmusikern beobachten. Bei Panthera Krause hat das, was er auf Aside The Aeons zu hören gibt, aber eine besondere Qualität. Die Sounds sind nicht einfach cheesy, sondern mit merklich viel Liebe zusammengefügt. Die Sache könnte sogar für Verächter:innen der esoterischen Spielarten von elektronischer Musik ihren Reiz haben. Und mit Titeln wie „The Diary of Alef Thau” gibt Panthera Krause zu erkennen, dass ihn auch optisch Abgedrehtes wie der gleichnamige Science-Fiction-Comic von Alejandro Jodorowsky und Arno inspiriert hat. Hat schon Klasse. Tim Caspar Boehme

Peggy Gou – I Hear You (XL Recordings)

Das Album heißt I Hear You, deshalb wachsen Peggy Gou zwei große Trichter aus den Ohren. Sieht ein bisschen so aus wie bei der Prinzessin von Star Wars, ihr wisst schon. Jedenfalls sind diese zehn Tracks von Peggy Gou in ihrer Gesamtheit ein Debüt und also zwangsläufigstes ihr persönlichstes Album. Quasi eine neue beste Freundin, die total gut zuhören kann und zwischendurch immer wieder dasselbe sagt: I Hear You! Weil das ja stimmt. Ich hör’ dich, ich hör’ euch – meine großen Ohren hören alles! Auch den ganzen Café-del-Mar-Shit, der schon damals so nervig war wie Sand in der Speedo. Aber gut, irgendwer steht da auch drauf, klar. Außerdem gibt es sicher noch ein-zwei-oder-drei andere Lieder auf der Platte, wo Pianoloops nicht der Zeitlosigkeit nachklimpern. Muss man zwar erst finden, aber doch: Gibt es. Die Nummer mit Lenny zum Beispiel, die ist schon sehr gut, was hauptsächlich am bigdickenergetischen Kopfstimmengesäusel von Kravitz liegt. Vielleicht aber hätte Peggy Gou einfach öfter mal die Ethno-Pumpgun aus der Louis-Vuitton-Handbag zaubern sollen, das klappt auf „Seoulsi Peggygou” nämlich am allerbesten. Christoph Benkeser

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