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Motherboard: März 2024

Von einer als Indie und DIY verstandenen zeitgenössischen Klassik, oder eben zeitgenössischem Jazz, ist der Schritt zu einem elektrischen und elektronischen Postrock nicht mehr weit. In der Stile und Schulen überschreitenden Jazzszene Kanadas kommt das ebenso oft vor wie in der Skandinaviens, speziell Norwegens, wo der Osloer und Trondheimer Gitarrist Kim Myhr seit vielen Jahren den Zuschreibungen trotzt. Seit Neuestem sogar als Bandleader mit dem Stavanger Kitchen Orchestra. Das halbelektrische Hereafter (Sofa, 23. Februar) handelt auf verfeinerte Weise von rohen Emotionen wie Trauer und Wut, von Verlust und Katharsis ohne die üblichen musikalischen Mittel, die bei einer 15-köpfigen Kombo definitiv zur Verfügung ständen, ausreizen zu wollen. Statt Überwältigung und Druck setzt Myhr meist auf Melancholie und Introspektion. Es sind Klänge für das Aufräumen nach dem Sturm.

Die akustisch-elektronischen, improvisiert-komponierten Klänge der Montréaler Saxofonist:in und Klarinettist:in Allison Burik liegen ebenfalls ganz wunderbar zwischen allen Kategorien. Ihr Debüt Realm (Allison Burik, 2. Februar) stellt sich weder eindeutig auf die Seite von Jazz oder Neoklassik noch auf die der kraftstrotzenden Indie-Improviser wie Colin Stetson oder Bendik Giske. Es ist eben ein Weder-noch aus dem Sowohl-als-auch heraus. Was Buriks Sounds so faszinierend macht, ist, dass sie in ihrer Archaik und Radikalität (wortwörtlich als Verwurzelung in den Landschaften des Nordens verstanden) dennoch als Folk-Pop funktionieren.

Steht der Sinn eher nach Klassik im elektronischen Sinn, ist Emmanuel De La Paix definitiv ein Name, den man sich merken sollte. Der junge Schweizer füllt sein drittes Album The Physics of Clouds (Straight To Your Brain/SevenScalesRecords, 14. März) mit fluffiger Electronica älterer Schule, gerne mit kleinen Verbeugungen in Richtung Shoegaze und Synthpop. Die Stücke spielen schon mal ins Erhabene, in die große Outdoor-Naturüberwältigung – die Erfahrung der Schweizer Berge scheint hier eine offensichtliche Referenz. Sie behalten allerdings immer einen verspielten und leichten Grundcharakter. Das lässt sie frisch und lässig wirken.

Electronica aus Songwriting, das ist eine Spielwiese, auf der sich der Berliner Producer Marten Rux seit über einer Dekade höchst souverän ausbreitet. Mit besonderer Betonung des „Spiel”, denn verspielt und immer ein klein wenig verpeilt klingen die Track-Songs aus Maultrommel, Percussion-Geklapper und warmen analogen Synthesizern seines jüngsten Albums Rekorder (YNFND, 1. März). Das entspannt unmittelbar ohne den Umweg über Rauchwaren, selbst wenn der Sound sich gerne mal an kräutervernebelten Instrumental Hip-Hop und Headz-Stoff anlehnt. Aber eben nur anlehnt, der Sound von M.RUX wirkt freier herumprobierend, ja, irgendwie einfach unzynischer, unschuldiger, beinahe naiv im bestmöglichen Sinn.

Der Berliner Modularstöpsler Hainbach hat ja mit jedem Recht einen Abo-Sitzplatz in guter Lage nahe des Motherboard-Zentrums. Obwohl es gar nicht so einfach ist, den Überblick zu behalten bei den zahlreichen Projekten und Kollaborationen, und nicht alle Veröffentlichungen hier erwähnt werden können. Da trifft sich gut, dass The One Who Runs Away Is The Ghost (Seil Records, 1. März) mal wieder auf der tollen, (relativ) jungen Frankfurter Ambient-Plattform Seil erscheint, die ich in diesem Rahmen schon immer mal und unbedingt empfehlen wollte. Das Album macht zudem noch doppelt Sinn und Freude: Als Soundtrack-Begleitung des feinsinnigen wie anrührenden gleichnamigen Dokumentarfilms des chinesischen Regisseurs Qinyuan Lei wie als für sich stehender Ambient.

Hanno Leichtmann / Valerio Tricoli drehen gerne das Thermostat runter. Dass Leichtmann anders kann, hat er früher vor allem als Static und jüngst als Chromacolor bewiesen. Im Duo mit Tricoli, das mit Cinnte le Dia (NI VU NI CONNU, 8. März) die dritte Fortsetzung im langen Format gefunden hat, sind Basis und Ergebnis schockgefrosteter Industrial-Dub, schon immer gewesen und immer noch genau das. Ein rauer, scharfkantiger Sound, bei dem man sich nach dem Hören fragt, ob jetzt eventuell doch mal eine Auffrischung der Tetanus-Impfung angebracht wäre. Ein reichlich aus der Zeit gefallener Sound, der alle zeitgenössischen Post-Club-Exkursionen oder modischen Hyper-Pop-Annäherungen meidet, stattdessen stur das einmal angefangene zu Ende bringt. In den nahbaren Momenten klingt das wie eines der durchnummerierten Alben von Stefan Betkes Projekt Pole, ansonsten eben wie ein vergessenes frühes Tape von Coil, also schon ein wenig wie Ambient, aber kälter, härter, krasser.

Ecstatic Data (Feral Note, 15. März) ist freie Knister-Rausch-Elektronik vom Producer Cosmin Nicolae, der um die vorvergangene Dekadenwende als Cosmin TRG den Berliner Post-Minimal-, Post-Detroit-Effizienztechno entscheidend mitprägte. Heuer bewegt er sich in unmittelbar psychedelischen Gefilden, die verwehte Echos von Dub und Glitch in die tiefe Zeit, in den Lebensraum des Anthropozän projizieren. Ein ambitioniertes Projekt, das doch sehr einfach und verspielt daherkommt.

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