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Festival-Roundtable: Der große Reality-Check (Teil 1)

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Mitglieder dreier in drei verschiedenen Ländern aktiven Festivals, die unterschiedlicher kaum sein könnten und verschiedenen Generationen angehören, setzten sich mit Kristoffer Cornils und Maximilian Fritz an einen Tisch.

Im großen Festival-Roundtable sprachen Fritz Windish und Ewa Tomko vom polnischen Garbicz, Bernhard Steirer vom österreichischen Stadtfestival ELEVATE und Michael „Mitch” Kastens von den PollerWiesen in NRW über den verkorksten Neustart des Vorjahres und Perspektiven für eine Branche, in deren Getriebe es knirscht.

Im ersten Teil des Roundtables erfahrt ihr unter anderem, wieso das Garbicz zuletzt einen großen Schuldenberg angesammelt hat, wie schwierig es aufgrund steigender Gagen zuletzt war, manche Künstler:innen überhaupt noch zu buchen, und wie sich das jeweilige Publikum über die Pandemie hinweg entwickelt hat.

GROOVE: Fritz, Ewa, ihr seid mit 800.000 Euro Schulden aus der letzten Ausgabe des Garbicz rausgegangen. Wie kam dieses Minus zustande?

Fritz: Die Gründe sind mannigfaltig. Wir hatten zwei Jahre geringe Einnahmen und haben in Polen keine Coronahilfen erhalten, mussten aber die Pacht für das Gelände ebenso wie unsere Festangestellten bezahlen, obwohl die nichts zu tun hatten. Hätten wir sie nicht bezahlt, wären sie irgendwann weggegangen und wir hätten an neuralgischen Punkten wie dem Sicherheitspersonal oder der Buchhaltung ein Problem gehabt. Im ländlichen Polen ist es nicht so einfach, an gutes Personal zu kommen. Insgesamt sind in unser Budget wenige Puffer eingebaut – wir müssen ausverkauft sein, um die Kosten zu decken. Bei unseren Ticketpreisen fehlt eine Menge Geld, wenn wie im letzten Jahr 300 Tickets nicht verkauft werden. Das kam dadurch zustande, dass das Unternehmen hinter unserer Festival-Software pleite ging und sich ein Fehler bei der Umstellung auf ein anderes System ergab. Dazu kamen steuerliche Probleme und andere Mehrausgaben. Es ist sehr kompliziert. Im Jahr 2019 waren wir fast bei Null mit unseren Investitionen, über die letzten zwei Jahre hat sich das aber wieder angesammelt.

„Wir sind zugleich zu groß und zu klein, um Gewinn zu machen”

Fritz Windish

Ihr habt eure Ticketpreise angehoben und das öffentlich transparent gemacht, musstet euch aber scharfer Kritik stellen. Hattet ihr damit gerechnet?

Fritz: Es ist ja nicht so, als würden wir das gerne machen! Wir würden gerne klein und preiswert bleiben, so funktioniert aber so ein Festival leider nicht. Wir sind zugleich zu groß und zu klein, um Gewinn zu machen, und können nicht mehr Tickets verkaufen, weil das Gelände das nicht hergibt. Also müssen wir die Ticketpreise anheben, um die Inflation und andere Kosten abzufangen. Natürlich könnten wir uns verkleinern, aber dann würden wir nur mit unseren Freund:innen eine Party feiern. Wenn wir nur drei Bühnen hätten, würden da jedes Mal dieselben Residents spielen. Das ist nicht unser Anspruch. Der liegt darin, sich zu erweitern und zu diversifizieren. Wir wollen das Gelände langfristig für die Öffentlichkeit nutzbar machen. Wir haben auch eine Verpflichtung gegenüber unserem Team, das dieses Gelände über Jahre hinweg aufgebaut hat. Dazu muss leider an der Preisschraube gedreht werden. Das trägt das Publikum. Aber dahinter steht niemand und macht sich die Taschen voll – die Gewinne werden nicht privatisiert. Viel geht in die Region und in regionale Firmen.

Fritz Windish vom Garbicz
Fritz Windish, Mitgründer des Garbicz (Foto: Franziska Brodhun)

Hattet ihr bei den PollerWiesen mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, Mitch?

Mitch: Bei uns stand alles still. Die große Herausforderung der ersten zwei Pandemiejahre war: Unser Team brennt für das, was wir mit den PollerWiesen machen. Wir wollen Menschen tolle Emotionen erschaffen. Wir konnten uns dank Überbrückungshilfen und Kurzarbeitergeld über Wasser halten und öffentliche Programme wie Neustart Kultur und andere Fördergelder haben uns sehr geholfen. Von uns ist zwar viel Personal abgewandert, aber die meisten konnten wir beim Neustart wieder davon überzeugen, bei uns anzuheuern. Das unternehmerische Risiko hat sich aber verändert. Tausend, zweitausend nicht verkaufte Tickets pro Ausgabe machen für ein Festival wie unserem den Unterschied zwischen existenzieller Bedrohung und einer Weiterführung unseres Vorhabens. Einen Teil der bereits verkauften Tickets konnten wir zum Glück auf das Jahr 2022 übertragen. Die hatten wir aber zum alten Preis verkauft. Außerdem gab es hohe No-Show-Quoten, viele Ticketinhaber:innen sind nicht erschienen, was sich auf die Getränkeverkäufe ausgewirkt hat. Zudem sind die Produktionskosten enorm angestiegen. Wir besitzen nichts selbst und sind nur auf Dienstleister:innen angewiesen. Dazu gehören auch Fachkräfte für den Aufbau oder Thekenpersonal. Auch in diesem Bereich sind die Kosten deutlich gestiegen, was angefangen mit der Ukraine-Krise bis hin zu einem generellen Personalmangel viele Gründe hat. Auch das Material ist teurer geworden – Toiletten oder Absperrmaterialien etwa. Und selbst wenn die für einen festen Preis reserviert werden konnten, waren die Transportkosten dafür allein schon wegen der Spritpreise eine unbekannte Größe. Das hat vieles unkontrollierbar gemacht.

„Es gibt Kids, die zwei Jahre lang mit ihrer Boombox im Park saßen und sich nun fragen, warum sie in den Club gehen sollten, um zwölf Euro für einen Gin Tonic zu bezahlen.”

Bernhard Steirer

Fritz: Vielen ist nicht bewusst, was in den Ticketpreisen so drinsteckt. Der Preis für die Toiletten hat sich bei uns verdoppelt! Wir haben auch gefragt, warum wir statt 30.000 plötzlich 60.000 Euro für Dixie-Klos bezahlen mussten!

Bernhard: Wir beim ELEVATE mussten die Mehrkosten zum Glück nicht an unser Publikum weitergeben. Dabei haben uns auch verschiedene Förderprogramme geholfen, unser Standort in der Stadt war aber ebenso entscheidend. Viele der Partnerinstitutionen und Spielorte, mit denen wir zusammenarbeiten, werden von der öffentlichen Hand verwaltet und entsprechend unterstützt. Flüge oder Hotels haben aber natürlich auch mehr gekostet und die Getränkepreise sind gestiegen. Das alles bewegte sich aber in einem Rahmen, der für uns noch nicht existenziell bedrohlich ist. Für uns wird die diesjährige Ausgabe der ultimative Reality-Check. Einerseits ist die Rezession jetzt da. Und es gibt Kids, die zwei Jahre lang mit ihrer Boombox im Park saßen und sich nun vielleicht fragen, warum sie in den Club gehen sollten, um zwölf Euro für einen Gin Tonic zu bezahlen.

Bernhard_by_Johanna Lamprecht
Bernhard Steirer, Mitgründer des ELEVATE (Foto: Johanna Lamprecht)

Mitch: Es gibt Menschen, die ihre ersten Berührungspunkte mit einem Rave unter einer Autobahnbrücke hatten. Die sind noch nie in einer Schlange für eine offizielle Veranstaltung gestanden. Die mussten wir erreichen.

Mitch Kastens (Foto: Privat)
Mitch Kastens von den PollerWiesen (Foto: Privat)

Fritz: Die Zeit zwischen 16 und 18 Jahren ist sehr wichtig. Du guckst dir von anderen ab, wie so ein Rave funktioniert – wie bewegt man sich zur Musik, wie verhält man sich überhaupt? Da ist nun aber plötzlich ein Loch. Die Menschen stehen im Club und fragen sich, was da eigentlich abgeht. Die ältere Generation hat zum Teil den Absprung geschafft, was in manchen Fällen ganz gut sein kann. Aber es fehlt eine Leitkultur. Auf dem Dancefloor herrscht Sodom und Gomorrha! Uns stellt sich die Frage, wie wir das Rave-Erbe mit all seinen Werten verwalten und weitergeben können.

„2020 habe ich sogar irgendwann angefangen, Gästelistenanfragen zu vermissen!”

Mitch Kastens

Mitch und Fritz hatten es schon angesprochen: Im Jahr 2022 wurden immer wieder hohe No-Show-Quoten gemeldet. Die Gründe dafür sind, angefangen mit gesundheitlichen Bedenken bis hin zu wirtschaftlichen Aspekten, mannigfaltig. Gab es nicht auch ein Überangebot in der Festivalbranche wie im Live- und Club-Bereich?

Mitch: Wir alle haben unseren Lebensalltag über die Pandemie hinweg verändert. Viele haben Abstand genommen und gehen nicht mehr jedes Wochenende aus. Das Bedürfnis ist bei vielen vielleicht gar nicht mehr da und ich glaube, das ist ein weiterer Grund, der relativ schwer wiegt und über den selten gesprochen wird. 

Bernhard: Die Situation im Jahr 2022 war singulär. Das war vielleicht die höchste Veranstaltungsdichte, die es – bedingt durch die ganzen Verschiebungen – in der gesamten Menschheitsgeschichte je gegeben hat! Besonders im Live-Bereich war das merklich. In der ersten Jahreshälfte waren all diese Konzerte gut besucht. In der zweiten hat es schon nicht mehr so gut funktioniert – vor allem auf der mittleren Ebene. Insgesamt war ich aber beeindruckt, wie gut das Publikum dieses Überangebot angenommen hat. Das erfüllt mich mit Vertrauen in die Branche. Ich habe die Hoffnung, dass die dadurch entstehende Konkurrenz im heurigen Jahr nachlässt, weil sich alles wieder einpendelt.

Mitch: Ich war im Jahr 2022 auf so vielen Veranstaltungen wie nie zuvor. Aber wir kommen natürlich aus der Branche und es ist Teil unserer Identität. Auf Veranstaltungen zu sein war ein Teil unseres Lebens, der weggebrochen ist. 2020 habe ich sogar irgendwann angefangen, Gästelistenanfragen zu vermissen!

(Gelächter)

2022 entstanden auch viele neue Festivals mit oft sehr ähnlichen Line-ups. Manche DJs scheint es mehrfach zu geben.

(Gelächter)

Mitch: Hier im Raum Köln hatte ich nicht das Gefühl, dass es ein größeres Angebot gegeben hätte. In den Niederlanden haben sie sich den Clash of the Giants geleistet, da haben sich die Großen ausgebreitet. Viele Kleine sind aber nicht dazugekommen. Der Festivalmarkt war aber schon vor der Pandemie komplett aufgeblasen.

„Natürlich war es schön, mit 500 Leuten in Garbicz an einer langen Tafel zu essen! Aber das lässt sich nicht nachhaltig durchhalten.”

Fritz Windish

Fritz: 2018 war es viel schlimmer!

Ewa: Mit Festivals ist es ein bisschen so wie mit Instagram, wo alle Fotograf:innen werden können. Sehr viele neue Kollektive bestehen aus Menschen Anfang zwanzig, die sich für Festivals in Schlössern einmieten. Überall in Deutschland! Im Umland von Hamburg sind fünf neue solcher Festivals entstanden. Da bezahlt man 200 oder 300 Euro und bekommt alles geboten. Das ist, glaube ich, die Zukunft: Die Leute wollen lieber im familiären Rahmen feiern.

Ewa Tomko by Nora Vary
Ewa Tomko vom Garbicz (Foto: Nora Vary)

Mitch: Das stimmt. Bei uns sind sehr viele illegale Open-Airs aus dem Boden geschossen. Da gibt es Instagram-Accounts, die mittlerweile eine größere Followerschaft haben als wir, vor allem weil die Location nur per Direktnachricht bekanntgegeben wird. Das hat mir klargemacht, dass etablierte Dinosaurier-Festivals wie unseres sehr unflexibel sind. In Hauruckaktionen ein ganzes Festival zu organisieren und zu bewerben ist nicht möglich. Aber das sind keine Veranstaltungen, die in großem Umfang auf dem Markt angekommen wären. Es nutzt sich ja schnell ab. So was läuft zwei Jahre lang. Eine größere, etablierte Marke mit festem Standort wird eher selten daraus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das eine kritische Masse des Festivalpublikums abgegriffen hat.

Fritz: Bei den PollerWiesen oder Garbicz hat es natürlich auch so angefangen, bevor es institutionalisiert wurde. Aber man muss immer den nächsten Schritt gehen, sonst funktioniert es nicht mehr. Es ist notwendig, sich zu professionalisieren, was Geld kostet. Es muss immer mehr bezahlt werden und plötzlich muss man Eintritt nehmen. Und dann hört man, dass früher alles billiger und besser gewesen sei. Diese Verklärung der Vergangenheit findet statt. Natürlich war es schön, mit 500 Leuten in Garbicz an einer langen Tafel zu essen! Aber das lässt sich nicht nachhaltig durchhalten. Zur Zeit erneuert sich alles und man möchte nicht, dass die ganzen Menschen dieselben Fehler machen, die wir auch gemacht haben. Ich wünsche mir, dass es eine Verbandsstruktur für Festivals gibt. Damit solche Dinge besprochen werden können, dass es Richtlinien gibt und sich übergreifend geholfen werden kann. Wie bringen wir den jungen Leuten bei, dass sich die Kultur gerade erneuert und sich die Strukturen professionalisieren? Das Problem ist, dass alles sehr regionalspezifisch ist. Jedes Festival, das ich kenne, hat Probleme mit den Strukturen vor Ort.

„Es war immer wieder zu hören, dass die Pandemie zu mehr Regionalität führen würde: mehr lokale Bookings, weniger Flüge. Ich habe damals schon nicht daran geglaubt und hatte damit leider Recht.”

Bernhard Steirer

Mitch: Die Klubkomm, unser Verband für Clubs und Veranstaltungen in Köln, diskutiert bereits mit der Stadt über feste Open-Air-Flächen. Wie Fritz eben schon sagte, bringen wir die Expertise mit. In den unterschiedlichen Kommunen ist es immer anders. Hier in Köln ist man nicht darauf angewiesen, dass junge Menschen durch Festivals in die Stadt gezogen werden. In Dortmund sieht das aber schon wieder anders aus. Dort gibt es Bürgerinitiativen, die sich gegen die Lautstärke beschweren. Es hat sich aber auch eine gegründet, die unser Festival unbedingt im Revierpark haben möchte!

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