Ivy Lab – Mild Snake EP (Sneaker Social Club)
Die ersten Takte von Ivy Labs neuer EP könnten Menschen mit schwachem Nervenkostüm auf der Suche nach interessanter Musik zu vorschnellem Kapitulieren verleiten. Was zur Folge hätte, dass ihnen eine sehr vielschichtige und bei aller Massivität trotzdem auch verspielte Veröffentlichung entgehen würde. Ivy Lab haben Spuren in der Drum’n’Bass-Geschichte hinterlassen – vor allem auf Critical Music –, sind aber seit mittlerweile fast zehn Jahren in Sachen Hip-Hop-getriebener Elektronik unterwegs.
Auf ihrem ersten Release für Sneaker Social Club lassen sie aus diesen Wurzeln neu gekreuzte Triebe sprießen, die eindeutig britische Breakbeat-Tradition erkennen lassen, aber eben nicht einer puristischen Schule angehören. Und wenn die gereizten Nerven dann doch bis zum Ende der EP durchgehalten haben, werden sie mit den beiden besten Stücken des Fünf-Trackers belohnt, in denen die amtlichen Grooves inspirierte Harmonie- und Arrangement-Ideen krönen. Mathias Schaffhäuser
Nadia Struiwigh – Voxis Ohlun EP (Blueprint)
Deine Kopfhörer-Geräuschbelastung hat das Limit überschritten, sagt dein schlechtes Gewissen. Deine Ohren funktionieren sowieso nicht mehr richtig, sagt Nadia Struiwigh. Deshalb klickt man bei ihrem Debüt auf Blueprint, den Qualitätsverursachern von Hörstürzen aller Art, solange auf den Lauter-Knopf, bis es nicht mehr lauter wird, und dann noch zwei-, dreimal – zur Sicherheit, dass es nicht doch noch lauter geht.
Voxis Ohlun ist nämlich Augen-auf-ich-komme-Musik für die Augen-zu-ich-tanze-Fraktion. Viermal Boah-ist-das-gutes-Zeug für die nobel-blasierten Peaktimejünger:innen und das Gefühl, dass da jemand genau weiß, wie man sich untenrum frei macht, also: mit den lieben Frequenzfallen tun muss, damit das nicht matscht, sondern richtig klatscht! So ein kundenorientiertes Sounddesign hat übrigens den Vorteil, dass man seinen Kopfhörer stundenlang in den Subwoofer stecken kann, ohne mit einer ausgeprägten Aspirin-Sucht in die Woche zu starten. Allein dafür sollte Nadia Struiwigh eine Auszeichnung erhalten, auf der steht: Die Kopfhörer-Geräuschbelastung hat das Limit überschritten, aber alles ist sooo gut abgemischt, da ist das ganz egal! Christoph Benkeser
Sister Zo & Sam Binga – Cabbage Juice EP (Pineapple)
Einmal Gehacktes, bitte. Mit „Chop Dat” beamen Sister Zo & Sam Binga auf ihrer EP Cabbage Juice auf Pineapple gute 20 Jahre zurück in die Hochzeit des damals gefeierten UK-Bass-, Jungle-, Beat-Hypes. Auch die krachige Covergestaltung erinnert an die Phase des hyperinflationären Outputs so mancher Künstler:innen und Labels. Die in Kansas City geborene Zoey Shopmaker hat mit DJ und Producer Sam Binga einen passenden Counterpart für die Kreation einer solchen Bass-Reminiszenz wie „Cop Dat” gefunden. Nicht so straight, mehr broken und beatlastig ist der ebenfalls auf der EP befindliche Remix von „Chop Dat” von Amy Kisnorobi & Sam Binga. Auch hier ereilt den geneigten Zuhörer ein Déjà-vu an die goldenen Nullerjahre. „Smells Like” geht mehr in die Richtung von pumpendem Tech-House, und „Won’t Do It” rundet die EP mit einem weiteren Bass-Monster ab. Liron Klangwart
Spekki Webu – Tenzan EP (Blue Hour Music)
Krass detailverliebt. Nie verkrampft. Stets ganz unten stampfend. Da, wo das Speed fließt. Mit pulsierendem Spannungsaufbau und driftenden Melodien. Der Techno des Niederländers Spekki Webu ist Hexerei. Straight from the rave heart. Vollpsychedelisch. Schneller als die anderen, und doch so langsam. Dub ist eine Größe, aber nicht der Dub, der im Plattenladen steht. Neunziger-Acid-Trance schwirrt umher. Seine letzten beiden Veröffentlichungen präsentierten noch Drones und Ambientmomente. Auf Tenzan ist für Langsamkeit kein Platz. Hier gibt es schnelle, brillant geschichtete Suspense. Die Kick stets antreibend. Alle klassischen Techno-Stilmittel sind da, wirken aber nie antiquiert. Ein berauschender Beleg für die ewige Jugend des Genres. Gleich viermal. Manisch, tribalistisch. Voll digital. Für dunkle Partys mit sinnlichem Beleuchtungspersonal. Hat da wer Berghain gesagt? Nein, Draaimolen. Oder doch The Third Room in Essen? Überall werden – wenn gespielt – „Okada”, Horizon”, „Solaris” und „Eion” die Tänzer:innen in atmosphärische Höhen peitschen. Niemals müde, immer fließend, der fesselnde Seelen-Techno des Spekki Webu. Michael Leuffen
Stolen Velour – Jasper (Kindergarten)
Rohe Musik mit verschwommenen Kanten, gibt es dafür eigentlich schon einen Namen? Musik, wie sie das Brooklyner Label Kindergarten veröffentlicht; mit passenden, organisch-hyperkünstlichen Formen in quietschneonbunten Farben. Den Klang also, den auch der britische Produzent Jonas Jones alias Stolen Velour verlautbart.
Das Titelstück quetscht eine Bassline in Würfelform und macht sich hernach einen Spaß aus dem Variieren von Klangfarben von Dunkelbraun über Durchsichtig hin zu fluoreszierendem Gelb bei gebrochenen Beats im 134er-Tempo. Im Remix macht Sobolik daraus einen ziemlich hysterischen Rave-Kracher. „I Know, I Know” klingt sphärischer und schielt ein wenig auf TikTok mit seinen Mikro-Melodien und Stimmenschippseln. Wie nahe das Stück an der Klangkunst liegt, macht jedoch Despina im Remix mit ultrafuturistischen Bässen und einem ganzen Kontinent sich abwechselnder Dynamiken deutlich. „Ulysses” schließt diese unterhaltsame EP mit gut gelaunten Broken Beats. Christoph Braun