Ebenfalls befreit von den Zwängen, einer bestimmten musikalischen Sprache wie etwa der freien Improvisation gehorchen zu müssen oder gar in ein Genre wie Ambient-Jazz passen zu wollen, spielt das australische Trio Panghalina auf. Lava (Room40, 2. Februar), das gemeinsame Debüt der in dieser Kolumne keineswegs unbekannten Helen Svoboda, Bonnie Stewart und Maria Moles, holt spannende neue Ausdrucksformen aus der ungewöhnlichen instrumentalen Kombination von akustischem Bass und zwei Schlagzeugen, aus einer offen fließenden Kompositionsweise zwischen Improvisation und festen Strukturen und nicht zuletzt aus vulkanischer Aktivität als Quelle der Inspiration. Dass daraus gerade nicht die metaphorisch naheliegenden feurigen Free-Jazz-Explosionen entstehen, sondern in immenser Zurückhaltung brodelnde Stille, ist eine weitere tolle Eigenschaft dieses exzellenten wie wegweisenden Albums. Hier liegt definitiv eine Zukunft von Ambient.
Die Viskosität von Lava, die brodelnde Intensität aufgerauter Drone-Flächen charakterisiert ähnlich die Arbeit der Schweizer Sound-Art-Künstlerin Annie Rüfenacht. It’s Not Quiet In The Void (Everest Records, 29. Januar), ihr Solodebüt als Annie Aries, zeigt auf, wie vielgestaltig und dynamisch mahlströmend geschichtete Noise-Partikel werden können und wie emotional einleuchtend, zugänglich und leichtverständlich avancierte Elektroakustik gelingen kann. Aber Vorsicht, der Abgrund, in den Rüfenacht hinunterstarrt, starrt gerne mal zurück.
Schweizer Schroffheit, alpine Abgründigkeit, das erhabene Dröhnen sturmumtoster Gipfel, das ist ebenfalls das Spielfeld des neuen Duoprojekts von Noémi Büchi und Manuel „Feldermelder” Oberholzer. Als digital-elektronisches wie elektroakustisches Improvisationsprojekt ist Musique Infinie bestens geeignet zur dramatischen Stummfilmvertonung wie auf dem subtil schwirrenden und erhaben polternden Earth (Hallow Ground, 7. Februar), kann aber nicht weniger überzeugend zu selbstgenügsam flirrendem Synth-Glitch und finsterem Noise-Drone werden wie auf I (-OUS, 8. Dezember 2023).
Das Debütalbum der israelischen Produzentin Maya Shenfeld hat Electronica weitgehend naturbelassen (also im Stil der Neunziger), aber höchst inspiriert fortgeschrieben. Zwei Jahre später agiert die in Berlin lebende Shenfeld hörbar selbstbewusster und raumgreifender. Under The Sun (Thrill Jockey, 23. Februar) wagt sich in benachbarte und entferntere experimentelle Stile und Genres von Drone und Neoklassik bis zu dunkel grummelndem Post-Techno. Was bisher nur unterschwellig als subtile, mikrotonale Textur, als spezieller Detailblick und Sorgfalt in der Produktion hörbar war, nämlich die Ausbildung als klassische Instrumentalistin, ein Studium der elektroakustischen Komposition und eine überaus nachvollziehbare Verehrung der Sound-Art-Avantgardistin Pauline Oliveros, findet nun direkten Ausdruck in den Stücken. Vom tieffrequenten Grummeln der Feldaufnahmen eines Steinbruchs zu Chorälen ist diesen glücklicherweise nichts fremd, ihre innere wie äußere Struktur ist frei und offen.
Gavin Miller hängt am seidenen Faden? Das behauptet zumindest der eine Tracktitel der jüngsten EP seines Soloprojekts worriedaboutsatan. JÆJA (This Is It Forever, 12. Januar) umfasst nur zwei Stücke, die aber haben es in sich. Der umtriebige Producer aus der nordbritischen Mittelstadt Bradford packt in die jeweils 15 Minuten dauernden Stücke ungefähr alles, was an Ideen in krautigem Techno so möglich ist. Angetrieben von einem motorischen Bass über einem hintergründig geraden Beat, mäandern die Stücke irgendwo zwischen moody Postrock und durchaus tanzbarer Warm-Up-Electronica im balearischen Sinne. Sie haben wie praktisch alle Stücke Millers ein ganz spezielles Flair des Hand- und Hausgemachten. Miller ist eben einer diese Menschen, die ihr ganz eigenes Qualitäts-Ding durchziehen, abseits der Metropolen und abseits aller Trends. Was auch für die meist beatlosen Stücke des Duoprojekts Marta Mist mit Sophie Green von den Yorkshire-Postrockern Her Name is Calla gilt. Deren jüngster Eigenrelease Slowly (Marta Mist, 18. Oktober 2023) überzeugt nicht nur durch exquisiten Flamingo-Content auf dem Cover, sondern ebenso mit reichlich diversen und immer eigenwilligen Ambient-Sounds.