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Motherboard: Februar 2024

Der Betreiber des Berliner Label und Kunstzusammenhangs Undogmatisch, Mirco Magnani, versucht nichts weniger als eine musikalisch-intertextuelle Ehrenrettung des Übermensch-geschädigten Also sprach Zarathustra. Das epische Album Zarathustra – Der Große Mittag (Klanggalerie, 19. Januar) nimmt Nietzsches Auslegung der Lebensgeschichte des persischen Sehers und Religionsgründers her und dekonstruiert diese im Sinne einer Rekonstruktion der vermuteten originalen Ideen, die in einer Weisheitslehre und Anleitung zum guten Leben mehr und tendenziell anderes wollten als Nietzsches scharfe Kritik der christlichen Moral. Das Leben und Werk des Weltweisen war allerdings schon lange vor Nietzsche Anregung für die Philosophen der Renaissance und vom frühen 18. Jahrhundert an bis heute für Komponisten: Für Rameau, Händel, ja, sogar Mozart, den Spätromantiker Frederick Delius und bis heute am prominentesten für den milde avantgardistischen Bombast-Blockbuster von Richard Strauss. Mirco Magnani setzt Nietzsches Originaltexte, vorgetragen in vier verschiedenen Sprachen, über einen erfreulich pathosfreien musikalischen Begleittext, dessen Textur sich an Neoklassik, Post-Club und Dark Jazz anlehnt. Es ergibt sich je nach Sichtweise und Anspruch eine epische Klangerzählung oder Spoken-Word -Ambient.

In der an idiosynkratischen Komponist:innen und exzellenten Instrumentalist:innen nicht gerade armen Neutöner-Szene Kanadas ist India Gailey eine durch spezielle Eigenwilligkeit herausragende Figur. Die in Kjipuktuk/Halifax lebende Cellistin interpretiert nicht nur, sie schreibt die Stücke anderer fort und macht etwas Eigenes und Einzigartiges daraus, meist nur aus elektronisch geschichtetem Solo-Cello und gelegentlichem Einsatz ihrer Stimme. Der Ursprung der Stücke kann völlig verschieden sein und wird doch zu einer neuen Einheit im Werk Gaileys. Auf Problematica (People Places Records, 23. Februar) reicht das von zeitgenössischer Elektroakustik und algorithmischer Komposition über freie Improvisation bis hin zu Pop und Jazz, von so verschiedenen Autor:innen wie Sarah Rossy, Andrew Noseworthy, Fjóla Evans oder Thanya Iyer.

Sogar in der sehr offenen Neutöner-Szene Kanadas gibt es offenbar noch Randfiguren, die die ganze Sache noch einmal spannender und seltsamer machen. Marc Couroux ist so einer, als crossmedial arbeitender Künstler, Musiker und Dozent hat er die Xenopraxis für zeitbasierte Künste entwickelt. Wie der Name schon andeutet, ist das eine kompositionelle Methode und praktische musikalische Arbeitsweise, die dazu dient, die Dinge fremd werden zu lassen, dem direkten kognitiven Verständnis zu entziehen, sie aber doch in einem kontinuierlichen Fluss zu halten. Das massive, über 70 Minuten lange Piano- und Mehrwerk In A Sentimental Mood (Halocline Trance, 9. Februar) ist eine Meditation über die Formlosigkeit, greift an genau die Stelle, an der Minimal Music zu pulsierender Psychedelik und Free Jazz zu kleinteiligem Ambient wird. Nur dass sie durch die Xenopraxis eben noch ein gerütteltes Maß schräger und amelodischer (aber nicht unbedingt sehr atonal) daherkommen als üblich.

Die Kombination aus schweizerischer kompositorischer Feinmotorik und kanadischer instrumenteller Präzision ergibt zusammen was? Presque Rien, fast nichts, auf die beste vorstellbare Weise. Wenn also das Montrealer Quatuor Bozzini das String Quartet No. 4 (Collection QB, 23. Januar) von Jürg Frey interpretiert, gelingt ein Fest der akustischen Beinahe-Stille, die zur leisesten Party der Welt wird. Freys Streichquartett agiert milde modernistisch, mikrotonal und maximal subtil im Freiraum der Traditionen, die Olivier Messiaen, Morton Feldman und Alvine Lucier einmal geöffnet haben.

Ebenfalls aus Kanada und weitab jeglicher Szenezusammenhänge agierend, hat sich C. Diab ein Werk erspielt, in dem sich Elektronik, Saxophon und eine bogengestrichene E-Gitarre zu einem dichten Improv-Drone-Postrock fügen, der vielleicht nicht unbedingt sehr originell, dafür aber umso individueller und fein ausgearbeitet daherkommt. Imerro (Tonal Union, 16. Februar) fügt sich in dieses Werk nahtlos ein. Ob in einer heißen Sommernacht in der kanadischen Wildnis improvisiert wie der verlinkte Beispieltrack oder nach und nach aus zahlreichen Spuren geschichtet, finden die Stücke aus einem intimen Beginn zu erhabener Größe und Epik in mitternächtlicher, doch gänzlich unbitterer Melancholie.

Das kleine Tape-Label Muzan Editions im japanischen Osaka ist eine globale Top-Adresse, wenn es um die Wechselwirkungen oder Nachwehen von Cluberfahrungen und Ambient geht. Milde experimentell, mit gelegentlichen Exkursionen in deepe Techno-Gefilde, sind die ungefähr gleichmäßig von lokalen wie internationalen Künstler:innen bespielten Tapes ein Beispiel für offene Geschichte(n), die die Welt besser machen. Und Humor haben sie auch noch. Die Muzan-Supergruppe The NRG etwa, die vergessenen kleinen Brüder von The KLF aus Sheffield, oder der große Rock’n’Ambient-Swindle der gefühlten Neunziger? Egal, Stadium Ambient (Live in Japan) (Muzan Editions, 5. Januar) ist einfach groß und macht Spaß.

Das künstlerisch herausragendste Album der Muzan’schen Winterkollektion kommt allerdings von der Japanerin Yumi Iwaki. Ihr zweites Album Spin a Tale (Muzan Editions, 15. Februar), will sich stilistisch und inhaltlich nicht fixieren lassen, verfremdete Pianopassagen, collagierte Field Recordings und kleinteilige Noise-Splitter verschmelzen zu einem tiefen, intimen und doch raumgreifenden Sound. Damit möchte ich aber die anderen beiden etwas unauffälligeren Alben nicht kleinmachen, sie sind eben auf andere Weise gut: Ryan J Raffa & Nico Rosenberg etwa verstehen Ambient und Drone auf On Thin Air (Muzan Editions, 15. Februar) ziemlich klassisch. Das Album ist eine freundliche und erfreuliche Hommage an die Soloarbeiten Ryūichi Sakamotos aus den Achtzigern, ja, eigentlich generell an japanischen Ambient dieser Zeit, an Kankyō Ongaku selbst. Der belgische, in Deutschland lebende Producer Daniel[i] steht für die cluberfahrene Seite von Muzan, die es eben auch gibt. Zwischen Deep-Techno und Dub-Techno bleiben die Tracks auf In Flux (Muzan Editions, 15. Februar) allerdings jederzeit Ambient, die Beats und Bässe verhalten sich schüchtern, drängen sich niemals in den Vordergrund, verzichten auf jede Art von Druck und Punch, was das Hörerlebnis auf der entspannenden Seite lässt.

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