Die Welt von Ben Baker Billington alias Quicksails aus Chicago besteht ebenfalls aus größten Teilen irregulärer Seltsamkeit, weniger aus Dub denn aus ungefähr allen anderen Ingredienzien der horizonterweiterten Freak Music und Eigenbau-Elektronik. So gibt Surface (Hausu Mountain, 27. Oktober) den Schaukasten dieser typischen Do-It-Yourself-Weirdness, die die äußersten Grenzen von Noise erreichen könnte, dann aber praktisch doch viel lieber im Garten des Zarten und Subtilen spielt. Folgerichtig sind die drei Tracks, die Billington mit dem ähnlich unvorhersehbaren Free-Jazz-Freigeist Patrick Shiroishi eingespielt hat, eben genau nicht die konfrontativen, sondern die geradeheraus schönsten des Albums. Es ist ein weiteres Indiz, dass faszinierende Schönheit aus ungezügeltem Experiment und schrankenloser, aber bewusst selbstbeschränkter Eigenwilligkeit viel öfter entsteht denn aus rigider Form.
Sonorer Akustik-Folk, Spielzeug-Electronica und Tape-Experimente sind jetzt nicht unbedingt die Genres, die ich mit der großen Welt des Gamings verbunden hätte. Für The Spookfish gehört tatsächlich alles zusammen. Hinter dem Alias verbirgt sich Multitalent Dan Goldberg aus einer Kleinstadt in Maine. Er verbindet die Welten nicht nahtlos, nicht als Melange, sondern stellt die Elemente neben- und ineinander. Bear in the Snow (We Be Friends, 7. September) kommt also nicht nur als blubbernde, fiepende Folktronica, sondern mit gleichem Recht als selbstgeschriebenes Jump’n’Run-Retro-Game von vergleichbar nostalgischem Lo-Fi/Lo-Res-Charme und ähnlich melancholischer Energie.
Es ist eine ganz nahe verwandte Art von dem Charme, den die jüngste Wiederentdeckung der deutsch-japanischen The Notwist/Tenniscoats-Connection zutage bringt. Die Indie-Tausendsassas Gratin Carnival um Bandleader Koreyuki Mitsunaga verbinden Akustik-Folk und leidenschaftlichen Amateur-Jazz auf die entspanntmöglichste Weise. Das im Eigenverlag in Japan schon 2020 erschienene vierte Album Such December (Alien Transistor, 10. Oktober) ist DIY im besten Sinne. Homerecording, Lo-Fi, immer ganz nah dran am Ohr. Weder von überzogenen Perfektionsansprüchen noch von Ideen potenzieller Verkaufbarkeit oder gar Verfügbarkeit eingeschränkt, ist das wahre freie Musik. Wie gut, dass es mit dem Label der Acher-Brüder noch eine Plattform gibt, die so etwas breit und international zugänglich macht.
Was uns emotional unmittelbar, wenn auch nicht geografisch direkt zu Budgee führt. Das Duo aus der schottischen Mini-Metropole Glasgow führt auf der Mini-LP Pell Mell (Fold/Sleeping Man Records, 27. Oktober) den universell freigeistig verstandenen Folk der Sechziger und Siebziger in unaufwendig wirkender Produktion in feinen Lo-Fi-Pop mit elektronischen Highlights über.
Dass es mehrere oder eher unüberschaubar viele Cover und Tribute des Werkes von Ryuichi Sakamoto geben würde, war absehbar, ja praktisch unvermeidlich. Erfreulich, dass dabei so Unverhofftes entstehen kann wie Micro Ambient Music (Micro Ambient Music, 21. Juli). Die von Ambient-Produzent Tomoyoshi Date (Illuha, Opitope) zusammengestellte Hommage auf fünf CDs sammelt 39 Originalbeiträge von tendenziell experimentellen Musiker:innen, vorwiegend aus der japanischen Elektroakustik- und Improv-Szene, und ein paar internationalen Freunden und ehemaligen Kollaborateuren. Gemeinsam ist den Hommagen neben dem persönlich-freundschaftlichen Bezug zu Sakamoto als Person und Musiker der extrem sparsame und nicht (oder nicht in erster Linie) musikalische Einsatz von Instrumenten und Geräuschen. Eine Art von Verwendung von Sound, die Sakamoto nicht fremd war, aber zu den weniger bekannten Aspekten seiner Arbeit zählt. Das zeigt umso schmerzlicher, wie sehr Sakamoto als Integrationsfigur und Weltenverbinder heute fehlt.
Eine gewisse Kargheit des Sounds und eine Spielweise außerhalb des (neo-)klassisch Erlaubten und Gewohnten zeichnet ebenfalls die Baba Soirée (Pingipung, 27. Oktober) der französischen und niederländischen Experimental-Veteranen Pierre Bastien & Michel Banabila aus. Bastien als Bastler mechanischer Loop-Maschinen und Trompeter, Banabila als Sample-Virtuose und digitaler Collagen-Schnitzler, sie wissen beide sehr gut, wie sich aus dem Abwegigen etwas durchaus Eingängiges konstruieren lässt, ohne allzu große Kompromisse einzugehen, was die gemeinsam entwickelte Soundästhetik angeht.