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August 2023: Die essenziellen Alben (Teil 2)

Murlo – Puckle (Coil)

Chris Pell geht die Dinge holistisch an. Als Betreiber von Coil Records beispielsweise legt der Produzent, DJ und Illustrator einen deutlichen Akzent auf die visuelle Gestaltung des Labelkatalogs, den vor allem sein eigenes Projekt Murlo prägt. Puckle kommt mit eigens mithilfe von 3D-Druck produzierten Mini-Skulpturen oder aber zumindest einer digitalen Sammlung der zugrundeliegenden Entwürfe und Erklärungen zur thematischen Welt, in der sein Zweitwerk zu kontextualisieren ist. Das erinnert in seiner Vorgehensweise an die bisweilen überbordende Art und Weise, wie Nathan Micay (früher Bwana) seine bisweilen überbordende Musik präsentiert.

Obwohl sich die beiden musikalisch recht unterscheiden, haben sie noch etwas anderes gemein. Denn wie Micay geht Pell die Dinge maximalistisch an. Stilistisch lässt sich seine Musik über ihre Vorbilder erschließen, beschrieben wäre sie damit allerdings noch lange nicht. Die hochglänzende Euphorie von PC Music, konzeptronische Ansprüche und die radikale Unbedarftheit eines Hudson Mohawkes stehen für die Haltung Pate, mit der Pell sich musikalisch austobt – nicht aber klingen die Resultate genauso wie sie. Und stattdessen, als habe jemand tief in den weirdesten Ecken des Hardcore Continuums gegraben, wilde Rhythmen mit schummrig-schönen Eso-Synths aufpoliert und beim Arrangement den Zufallsgenerator angeschmissen.

Puckle ist, kurzum, von einer seltenen und ausgesprochen freundlichen Radikalität. Sehr gegenwärtig, ein bisschen zukünftig. Kristoffer Cornils

Philipp Otterbach  – The Dahlem Diaries (Music From Memory)

Wie war das noch? Irgendwann werden wir alle jemanden kennen, der ein Corona-Album veröffentlicht hat. Das nennen die Leute zwar nicht mehr so, weil es niemand mehr hören kann und will und muss. Aber dann heißen die Dinger halt so ähnlich wie die neue Platte des Salon-des-Amateurs– und Knekelhuis-Kollegen Philipp Otterbach: The Dahlem Diaries. Das klingt zwar wie der ziemlich verrückte Titel eines nie veröffentlichten Tatort-Krimis, sagt aber genauso viel aus, wie es muss: Man kann sich den Berliner Bezirk Dahlem leisten, zumindest als Schauplatz für mehrere Tagebucheinträge. Darin, in den Diaries nämlich, erzählt man von einer schönen Zeit, die man bestimmt haben konnte, wenn man im Jahr 200 Riesen zockt und den SUV vor der Stadtvilla parkt.

Oder man nimmt ein Album auf, mit Gitarre und Freunden und so, und dann hört man sich das später alles an und merkt, dass da kein Nummer-1-Hit drauf ist, aber dass sich alles sehr gut bei Music From Memory machen würde. Gesagt, getan, gedroppt: Die Dahlem Diaries führen über ein Dutzend Songs genauso ziellos durch die Gegend wie unsere – ja, ja! – damaligen Corona-Streifzüge. Das ist schön, weil man nichts sucht und doch alles findet – vor allem Rezepte für Bananenbrot, neue Wege und sich selbst. Christoph Benkeser

RAMZi – Feu Follets (FATi)

Ende letzten Jahres nahm Phoebé Guillemot alias RAMZi noch die Strukturen von Pilzen zum Anlass, um auf dem Album Hyphea seltsam wuchernde Clubmusik zu züchten. Mit Feu Follets widmet sie sich auf ihrem Label FATi jetzt den Irrlichtern. Was als Konzept ein wenig helfen könnte, den kapriziösen Charakter dieser Miniaturen, die man formal unter die nichtssagende Kategorie Electronica fassen könnte, zu erklären.

Die Stücke scheinen in ihrer unaufgeregt bewegten, harmonisch zugewandten Art wenig mehr zu wollen, als mit ihren Frequenzen zu erfreuen. Wobei man das „Wenig” gleich wieder streichen könnte, schließlich ist es keine Kleinigkeit, mit Musik für Freude zu sorgen. Und in Nummern wie dem Titelstück findet sich eine vornehm diskrete Komplexität mit den einander einhakenden Synkopen und den melodischen Schleifen, die sich ebenfalls zu einer größeren Figur zusammenfinden. Auf den ersten Eindruck mag das alles wie hingeworfen wirken. Wenn man mit gleichschwebender Aufmerksamkeit bei der Sache bleibt, gewinnt die Platte immens dazu. Und tanzen ist hier und da durchaus auch drin. Tim Caspar Boehme

The Black Dog – Spanners/ Black Dog Productions – Bytes (Warp)

Die Daten sagen 8. März 1993 für Bytes und 16. Januar 1995 für Spanners. Nun veröffentlicht Warp diese beiden Alben von The Black Dog wieder. Bytes erschien vor 30 Jahren als Compilation: Die damaligen Black Dog Ken Downie, Ed Handley und Andy Turner produzierten die Stücke in unterschiedlichen Konstellationen und gaben sich längst vergessene Namen wie Close Up Over oder Balil. Lediglich das hier auftauchende Pseudonym Plaid sollte später von Turner und Handley weitergeführt und zu einem der großen Namen britischer Electronica werden.

Als I.A.O. waren The Black Dog bereits auf Warps epochaler Compilation Artificial Intelligence aufgetaucht, und auch Aphex Twin hatte bereits auf dem Label veröffentlicht, unter dem Namen Polygon Window. Es ist einfach, zu sagen, dass diese Musik heute immer noch frisch klingt. Die Frage ist: Worin bestand die Frische dieser rhythmisch oft noch in der Ursuppe, in der es keinen Gegensatz aus Breakbeat und geradem Beat gab, verhafteten Musik vor 30 Jahren? Und was hat sie gehalten?

Auf Bytes fällt vor allem eine Qualität auf, die Viskosität. Was fest ist, wird infrage gestellt; was dicht ist, mit Luft gefüllt. So entsteht eine Art gut gelaunter Paranoia. „Jauqq” klingt wie eine Rumba-Party in einem frühen Computerspiel, „Carceres Ex Novum” wie ein Holzstück, das lieber im Fluss untergehen würde, als die ganze Zeit an der Oberfläche zu treiben, so halbnass.

Zwei Jahre später gab es dann bereits The Black Dog als Gruppenname. Spanners klingt selbst heute noch bisweilen futuristisch, etwa im maschinenhaften Intro von „Chase The Manhattan”, das in einen sphärischen Gleitflug wechselt. Oder im helllichten „Chesh”, das klingt wie Harfenmusik für einen Raumschiff-Club in einer dann doch gut ausgegangenen Zukunft. Auf Spanners setzen The Black Dog die Arbeit am Stückaufbau fort; wo Bytes nur in einigen Stücken mit der formalen Zweiteilung eines Tracks spielt, geht das Trio hier auf unterschiedliche formende Elemente wie Eintönigkeit, Chaos, Zwischenspiel. Und „Raxmus” ist ein wundersüßes Downbeat-Stück. Christoph Braun

Tomu DJ – Crazy Trip (NO BIAS)

Dies ist seit Feminista von 2021 schon das dritte Album von Tomu DJ. Alles kurze Angelegenheiten, keine halbe Stunde dauert etwa dieser Crazy Trip. Miss Tomu hat gerade pumpende, ekstatische Beats genauso gern wie zittrig nervöse Breaks oder aber ziemlich zurückgelehnte Produktionen, die weniger zum Tanzen als vielmehr zum, ja, was eigentlich anregen.

Der Titeltrack ist so eine freundliche Exkursion, mit kleinen Melodien, dezentem rhythmischen Rauschen im Hintergrund, zu dem irgendwann ein sanfter Reggaeton-Riddim dazukommt. Insgesamt geht es gleichwohl bevorzugt energisch zu, in so einer für Tomu DJ ziemlich einmaligen Mischung aus Euphorie und Melancholie, wie sie besonders großartig in der Single „Bedroom DJ” für verträumtes Ausrasten sorgt durch diesen fast wütend harten Beat mit seinen zickigen Hi-Hats, während leicht desorientierte, flötenartige Melodien im Hintergrund säuseln. Weil es so schön ist, gibt es zum Abschluss noch einmal die instrumentale Version des Titels. Am Traurigsten an der Sache stimmt, dass alles rasch wieder vorbei ist. Doch die Chancen stehen sicher nicht schlecht, dass es bis zur nächsten Platte nicht allzu lange dauert. Tim Caspar Boehme

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