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Joe Chialo: „Wir müssen die Regeln des Marktes akzeptieren”

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Diplomatenkind, CNC-Fräser, Türsteher, Metal-Sänger, Betreiber eines Labels beim größten Major der Welt und verantwortlich für unter anderem die Karrieren der Kelly Family und Santiano: Zu sagen, dass Joe Chialo ein abwechslungsreiches Leben geführt hat, käme einer Untertreibung gleich. Mit Musik hatte er dabei oft zu tun, die Politik wurde erst vor Kurzem zum Beruf. Nachdem er in den Neunzigern bei den Grünen war und im Zuge des Balkankriegs aus der Partei ausstieg, legte er sich im Jahr 2016 ein schwarzes Parteibuch zu. Schnell machte er bei der CDU Karriere und wurde zum Direktkandidaten für seinen Berliner Wahlkreis sowie Mitglied des „Zukunftsteams” um CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet bei der Bundestagswahl 2021 als Sprecher für die Themen Kunst und Kultur.

Das Rennen machten damals andere, Chialo aber hat seit Ende April dieses Jahres ein neues Amt inne: Er übernahm die Nachfolge von Klaus Lederer (Die LINKE) als Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt und wird in der laufenden Legislaturperiode unter Bürgermeister Kai Wegner bis 2025 die Kulturpolitik Berlins maßgeblich mitgestalten. Das umfasst in der Hauptstadt eine ganze Menge – unter anderem ihre Clubkultur. Einigen mag es in der hiesigen Kulturszene wohl kalt den Rücken herunter gelaufen sein, als Chialo vor Amtsantritt verkündete, dass die „kulturellen und wirtschaftlichen Aspekte noch besser miteinander verheiratet werden” müssten. Aber der Clubszene? Eigentlich sollte die auf Rückhalt vertrauen können, ist ihre ökonomische Zugkraft schließlich klar bezifferbar.

Doch folgte auf die überstandene Coronakrise sogleich eine weitere und sehen die Perspektiven düster aus: Inflation und Preissteigerungen allenthalben erschweren das vormals profitable Geschäft in der Breite und könnten langfristig für eine kulturelle Ausdünnung an der Basis sorgen. Höchste Zeit für ein Gespräch mit Chialo. Kristoffer Cornils traf den Senator zum Gespräch über seine kulturpolitischen Pläne, seinen Blick auf die derzeitige Krise sowie natürlich den umstrittenen Ausbau der A 100, für den sich seine Partei einsetzt und der für eine Reihe von beliebten Clubs das Aus bedeuten könnte.

GROOVE: Sie sind in der Musikwelt und auch der Clubkultur viel herumgekommen, waren unter anderem Türsteher im Nürnberger Mach1 und haben die Universal-Labels Airforce1 und Afroforce1 betrieben. Wie ist Ihre Beziehung zur Berliner Szene?

Deep! Die Berliner Clubkultur weiß mehr über mich, als andere über mich zu wissen glauben. (lacht)

Wie muss man sich das vorstellen: Ging es nach dem Feierabend bei Universal direkt rüber ins Watergate?

Meine Freunde M.A.N.D.Y. haben oft im Watergate aufgelegt – ich war regelmäßig dort. Aber nicht nur. Ich habe mich an den verschiedensten Orten… als Kultursenator sagt man „vergnügt”, damals haben wir es „zerscheppert” genannt. (lacht) Früher war es für mich unvorstellbar, ein Wochenende mal nicht auf dem Dancefloor zu verbringen. All das war ein Teil meines Lebens, ich war Raver. Das hat nicht im Mach1 angefangen, sondern noch früher, im Kölner Wartesaal. Das war mein Sehnsuchtsort. Paul van Dyk, WestBam, Mark Spoon, Sven Väth, Marusha – das ist die Generation von DJs, mit der ich sozialisiert wurde. Für mich waren House und Techno am prägendsten. Ich durfte dieses Jahr Rave The Planet eröffnen. Für mich war das eine Art Homecoming in eine Szene, deren Mitglieder ich noch von früher kenne.

„Paul van Dyk, WestBam, Mark Spoon, Sven Väth, Marusha – das ist die Generation von DJs, mit der ich sozialisiert wurde.”

Joe Chialo

Mittlerweile sind Sie in ihr beruflich unterwegs, neben Rave The Planet etwa auf der Fête de la Musique. Ihr Amt haben Sie vor gut drei Monaten aufgenommen, seitdem will schätzungsweise ständig jemand irgendwas von Ihnen. Wie lautet Ihr Zwischenfazit?

Es ging von Null auf 1.400 Umdrehungen im Schleudergang. Die Arbeit ist unglaublich herausfordernd… und macht zugleich wahnsinnig Spaß. Ich arbeite von Montag bis Montag, am Wochenende stehen Veranstaltungsbesuche an. Theater, Opernhäuser, Events der Freien Szene, es geht quer durch die Bank. Wir sind ja aber auch für gesellschaftlichen Zusammenhalt verantwortlich. Dazu gehören Veranstaltungen mit Ehrenamtlichen oder etwa Diplomatinnen und Diplomaten, um Werbung für die Berliner Kultur zu machen. Darüber hinaus kommen viele Einladungen, die ich gar nicht alle wahrnehmen kann, weil die Zeit es nicht ermöglicht.

Joe Chialo by Hans-Christian Plambeck
Foto: Hans-Christian Plambeck

Die wichtigste Partnerin innerhalb der Clubszene ist die ClubCommission. Wie müssen wir uns die Zusammenarbeit vorstellen?

Wir haben einen offiziellen Termin zur Preisverleihung des Tags der Clubkultur am 7. September. Ich war aber auch schon im Rahmen der Fête de la Musique im Sage in Kreuzberg und habe mich mit den Jungs dort unterhalten, die derzeit unheimliche Ängste ausstehen. Sie sind sich nicht sicher, ob ihr Vermieter auf sie zugehen wird. Da gibt es noch Gesprächsbedarf, aber ich habe wie auch Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann meine Bereitschaft zum Dialog signalisiert. Ebenfalls hat es mich gefreut, dass ich Pamela Schobeß vom GRETCHEN kennengelernt habe, und zwar stilecht an der Theke. Sie ist großartig! Wir haben uns lauthals unsere jeweiligen Sichtweisen entgegengeschleudert und verabredet, das in einer freien Minute und in aller Ruhe fortzuführen.

„Es wird davon ausgegangen, dass Clubs viel Geld hätten, es schon irgendwie schaffen und am besten still sein sollten. Das ist falsch.”

Joe Chialo

Es wird häufig gesagt, ihr Vorgänger Klaus Lederer habe große Fußstapfen hinterlassen. Beliebt war er unter anderem, weil er sich den Institutionen wie der Freien Szene gleichermaßen zugewandt hat. Wo möchten Sie an seine Arbeit anknüpfen, was wollen Sie anders machen?

Was Klaus Lederer hinterlassen hat, habe ich nie als große Fußstapfen betrachtet. Das ist eine Formulierung, die sich die Medien ausgedacht haben. Meine persönliche Agenda als Senator unterscheidet sich von seiner, wie sich die LINKE von der CDU unterscheidet. Ich bin nah am C angesiedelt. Die Bedürfnisse der Künstlerinnen und Künstler stehen für mich im Vordergrund. An dieser Stelle gibt es eine Kontinuität zur Arbeit meines Vorgängers. Bei mir kommt stützend das Unternehmertum hinzu. Denn zwischen den Institutionen und der Freien Szene gibt es mit Blick auf die Clubs noch etwas anderes: Die Expertise, die Erfahrungen als Unternehmer. Wir haben in der Pandemie beobachtet, dass sie zu kurz kommen. Es wird davon ausgegangen, dass sie viel Geld hätten, es schon irgendwie schaffen und am besten still sein sollten. Das ist falsch. Das Unternehmertum eines Clubs hat Wertschätzung verdient, seine kulturelle Leistung für die Stadt muss gesehen werden. Wer einen Club aufmacht, benötigt weniger Mittel als vielmehr Strukturen. Bei Lärmschutzklagen oder der Verdrängungsthematik müssen sie von der Politik den Rücken gestärkt bekommen.

Ihr Budget dafür scheint üppig. In diesem Jahr stehen Ihnen 803, im nächsten Jahr 947 Millionen Euro zur Verfügung, 2025 wird es eine Milliarde sein. Stellt das angesichts von Inflation und Kostensteigerung tatsächlich einen Zuwachs oder nicht eher einen Ausgleich dar?

Wenn wir von über einer Milliarde Euro reden, dann sprechen wir von einem Rekord. Ich bin aber nicht hier, um Rekorde zu brechen. Die Kernfrage lautet: Was müssen wir tun, um die Kultur in der Stadt zu erhalten? Mein Vorgänger und Monika Grütters [bis 2021 Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, d.Red.] haben die Kultur dieser Stadt und deutschlandweit mit Maßnahmen gerettet, wie sie auf europäischer Ebene beispiellos waren. Anders als in der Coronakrise stehen wir jetzt vor einer anderen Herausforderung. Vor dem Hintergrund von Inflation und Energiekrise wird gefragt, ob die Anhebung einen Ausgleich darstellt oder es sich um mehr handelt. Die Anhebung ist der Ausgleich und ein Aufwuchs! Wir haben die Honoraruntergrenzen und Mindestgagen angehoben und sind beim Ausgleich der Tariferhöhungen mit 13 und 26 Millionen Euro an unsere Grenzen gegangen, um den neuen Herausforderungen entgegenzutreten. Wir leben in einer Zeit, die – mit Blick nach vorne gerichtet – nicht unbedingt besser wird. Es ist wichtig, schon jetzt mit diesem Kraftpaket, das wir ausgehandelt haben, resiliente Strukturen zu entwickeln für die Jahre 2026 und 2027, in denen das Budget wieder kleiner wird. Das ist mein Imperativ in der Zusammenarbeit mit unseren Partnerinnen und Partnern, um sicherer durch die Krise zu gehen.

In einem offenen Brief kritisierte die Koalition der Freien Szene, dass vom Berliner Haushalt nur drei Prozent auf die Kultur eingeplant wurden.

Bei so einem Haushalt werden die Zahlen immer und je nach Perspektive interpretiert. In unserer Interpretation sind es nicht drei Prozent des Gesamthaushaltes, sondern so viel Geld wie noch nie. Das ist ein großer Erfolg. Während der Pandemie haben wir Mittel in einem sehr großen Umfang zur Verfügung gestellt, um einer der größten Krisen unserer Zeit zu begegnen. Deshalb hinkt der Vergleich mit den vorherigen Haushalten. Wir müssen uns mit den Realitäten der Jahre 2018 und 2019 auseinandersetzen, wenn wir Vergleiche ziehen. Und in den kommenden zwei Jahren werden wir an den Strukturen arbeiten müssen, um die Kultur widerstandsfähig zu machen.

„Berlin ist eine junge Stadt, und deshalb muss man den jungen Leuten auch das Recht zum Feiern geben. Wer sich ein- oder zweimal pro Woche in einer urbanen Lage gestört fühlt, sollte Akzeptanz zeigen.”

Joe Chialo

Was heißt das hinsichtlich der Clubszene?

Neben uns ist Franziska Giffey bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe eine weitere Zuwendungsgeberin. Wir möchten gemeinsam das Monetäre und Kulturelle miteinander verheiraten. Dazu wollen wir Zusammenhalt schaffen und demonstrieren. Unter den Künstlerinnen, Künstlern, Partnerinnen und Partnern soll keine beklemmende Unsicherheit aufkommen, weil niemand weiß, wer eigentlich zuständig ist. Wir arbeiten deshalb gemeinsam an der Lösung von Raumproblemen. Die Kulturbrauerei etwa steht vor großen Herausforderungen. Dazu kooperieren wir strategisch und auch langfristig mit der Senatsverwaltung WEB.

Die Raumproblematik ist mannigfaltig. Die baurechtliche Anerkennung von Clubs als Kulturstätten wurde 2021 auf Bundesebene beschlossen, aktuell scheint sich aber wenig zu tun.

Die Anerkennung ist das eine. Das andere Problem besteht darin, dass große Anstrengungen gegen die Aufnahme in die Baunutzungsverordnung unternommen wurden. Das aber wäre eine Maßnahme, die faktische Verdrängung zu verhindern. Kai Wegner hat sich damals im Bundestag als Vorsitzender des Bauausschusses dafür sehr stark eingesetzt. Wir haben den Ehrgeiz, das mit einer Bundesratsinitiative zu flankieren und vorwärts zu bringen. 

Laut dem Berliner Koalitionsvertrag ist eine emissionsrechtliche Privilegierung von sogenanntem Kulturlärm vorgesehen. Was heißt das?

Die meisten Clubs müssen sich mit Lärmbeschwerden aus der Nachbarschaft herumschlagen. Wir denken, dass wir die Clubs politisch davor schützen müssen. Die ClubCommission hat in den vergangenen Jahren tolle Arbeit geleistet. Die Frage ist nun, wie wir die daraus gewonnenen Erkenntnisse zum Schutz der Clubräume nutzen können. Ein wichtiger Punkt sind technologische Entwicklungen. Sie könnten zukünftig dabei helfen, das Clubleben so perfekt aufzugleisen, dass die Freude am Feiern gewahrt wird und die Lärmemissionen nach außen reduziert werden. Im Sage wird gerade ein Verfahren getestet, bei dem die Musik auf der Tanzfläche laut ist und daneben eher leise – eine großartige Technik. Eins ist aber auch klar: Berlin ist eine junge Stadt, und deshalb muss man den jungen Leuten auch das Recht zum Feiern geben. Wer sich ein- oder zweimal pro Woche in einer urbanen Lage gestört fühlt, sollte Akzeptanz zeigen. Kultur ist die Währung dieser Stadt, und die Clubkultur gehört dazu. Sie bringt Menschen zusammen, um die tollsten Stunden ihres Tages zu verbringen, und zwar in Zeiten, in denen viele nicht mehr zueinander kommen oder miteinander reden. Als angenehmen Nebeneffekt haben wir noch den Wirtschaftsfaktor: Clubkultur ist ein Touristenmagnet, der die Hotellerie, das Transportgewerbe und natürlich die Clubs selbst stützt. Das alles dürfen wir nicht kaputtregulieren.

Die Konsequenzen dieser wirtschaftlichen Aufwertung stellen für die Szene ein zweischneidiges Schwert dar. Neben dem Sage scheint derzeit die Re:mise Probleme mit dem Vermieter zu haben. Sollte sich eine Regierung einmischen?

Wenn wir um Hilfe gebeten werden, ist es unsere Pflicht, nach einer Lösung zu suchen. Wir können moderieren und Lösungskorridore bereitstellen, die es ohne unsere Hilfe vielleicht nicht geben würde. Fakt ist aber auch, dass es Situationen geben wird und bereits gegeben hat, in denen uns manchmal die Hände gebunden sind und waren. Die Maria am Ostbahnhof, Cookies und so weiter: Das sind Clubs, die es nicht mehr gibt. Dafür sind Neue entstanden. Das ist ein natürlicher Prozess, den es immer schon gegeben hat. Es gibt aber auch Clubs, die das Gesicht der Stadt prägen und um deren Überleben gekämpft werden muss.

„Ich kann mir auch keinen Flug nach Hawaii buchen, wenn ich mir das nicht leisten kann. Und ich kann nur die Clubs besuchen, die ich mir leisten kann.”

Joe Chialo

Zu den 2.000 bestehenden Kulturräumen im Besitz des Landes sollen 500 neue hinzukommen, bis zum Jahr 2030 soll sich die Anzahl nochmal verdoppeln. Was könnte das für Clubs bedeuten?

Wir haben in Berlin ein Raumproblem für Kulturschaffende. Das betrifft nicht nur Clubs, sondern auch die bildenden Künste, Proberäume, Ateliers und so weiter. Das von uns angestrebte Ziel von 5.000 Kulturräumen ist anspruchsvoll. Das machen wir nicht alleine, sondern arbeiten etwa mit dem bbk berlin, dem Atelierbüro, PROSA und der GSE gGmbH zusammen, um das Raumproblem einzudämmen. Wir haben einige Liegenschaften, es hängt aber auch von den für die Entwicklung der Räume notwendigen Mitteln ab. Bei einer angespannten Haushaltslage ist das ein komplexes Thema. Für mich heißt das in Bezug auf die Clubs, dass wir versuchen können, Rahmenbedingungen zu schaffen, die funktionieren. Das tun wir etwa am ehemaligen Flughafen Tegel, wo Feiern stattfinden können. Zusammen mit der ClubCommission und den jeweiligen Stakeholdern sind wir an vorderster Front dabei, um dafür Lösungen zu finden.

„Wir werden in Berlin nicht so etwas wie Clubsozialismus einführen.”

Joe Chialo

Das Projekt free open air spaces soll bis nächstes Jahr umgesetzt werden. Was soll es beinhalten?

Wir wollen die Leute darin unterstützen, niederschwellig Feiern zu organisieren. Wir brauchen Nachwuchs, und wie soll jemand einen Club eröffnen, ohne zuvor Erfahrungen gesammelt zu haben? Es gibt einen Verbund, in dem Menschen zusammenkommen, um zu diskutieren, wie etwas wo passieren kann. Auch dafür wollen wir Rahmenbedingungen setzen.

Was heißt das konkret?

Das hängt von den Bedarfen ab, die an uns herangetragen werden. Es geht darum, Räume zu generieren und mit den jeweiligen Bezirken zusammenzuarbeiten.

Derzeit hat die Szene insgesamt mit Preisexplosionen zu kämpfen. Alles wird teurer, paradoxerweise stellt selbst die Erhöhung des Mindestlohns ein Problem dar, weil das auf die Eintrittspreise umgelegt werden muss.

Was meinen Sie damit? Für wen ist das ein Problem? Für die Gäste oder die Clubbetreiber?

Für die Menschen, die es sich nicht mehr leisten können, in den Club zu gehen…

(schnalzt mit der Zunge)

… und für die Clubs, die größere Preise aufrufen müssen.

Ich kann mir auch keinen Flug nach Hawaii buchen, wenn ich mir das nicht leisten kann. Und ich kann nur die Clubs besuchen, die ich mir leisten kann. Da müssen wir nüchtern bleiben. Das Problem liegt bei den Clubbetreibern, die Lohnsteigerungen bei sich einpreisen und entscheiden müssen, ob sie diese Preise weitergeben möchten.

Sicherlich. Aus Betreibersicht stellt sich allerdings auch die Frage, wie man das Feiern sozialverträglich gestalten kann. Das Mensch Meier wird zum Jahresende dicht machen. Unter anderem wurde die Entscheidung damit begründet, dass sich immer weniger Menschen den Clubbesuch leisten können. Ist es aber nicht erstrebenswert, dass die Clubkultur auch den sozial schlechter gestellten Menschen dieser Stadt zugänglich ist?

Klar ist es das, aber die Politik kann nicht jede Party unter diesem Gesichtspunkt bewerten. Das ist in der Freiheit der Wirtschaft begründet. Wenn jemand die Idee hat, an einer bestimmten Location eine bestimmte Form von Musik zu spielen, um damit eine bestimmte Crowd für sich zu gewinnen, dann passiert das erst mal unter Ausschluss der Politik. Wenn eine Feier sozialverträglich sein soll, gibt es dabei sicherlich auch marktwirtschaftliche Mechanismen zu berücksichtigen. Das Angebot und die Kalkulation müssen darauf ausgerichtet sein, dass es funktioniert. Wir können nicht einfach in die Freiheit des Marktes eingreifen. Wir können Dumping-Preise und Ausbeutung verhindern, aber die gestalterische Kraft einer solchen Unternehmung muss für sich wirken können. Wir sind nicht für das unternehmerische Geschick eines jeden Clubbetreibers verantwortlich.

„Es ist auch mein Ansinnen, für den Erhalt von Berlins wunderbarer Clublandschaft zu kämpfen. Dazu braucht es eine Lösung, nicht aber emotionales fingerpointing.”

Joe Chialo

Die Panke wird oft als Beispiel für einen Club herangezogen, der sozialverträgliche Preise aufrufen kann. Möglich ist das dank institutioneller Förderungen…

… und es gibt das Berghain, das keine institutionelle Förderung erhält, weltweit bekannt ist und den geilsten Sound der Berliner Clublandschaft hat. Das eine wie das andere hat seine Berechtigung in dieser Stadt. Wir werden aber nicht so etwas wie Clubsozialismus in Berlin einführen. Wir müssen die Regeln des Marktes akzeptieren: Dort stützen, wo es Sinn ergibt, und dort Freiheiten gewähren, wo Investitionen wieder reinvestiert werden. Das macht Berlin spannend und lebendig.

Über einigen Clubs hängt seit Jahren ein großes Damoklesschwert. Die ClubCommission zählt 21 Clubs und Kultureinrichtungen, die vom geplanten Ausbau der A 100 bedroht sind. Die rot-rot-grüne Regierung hatte das Projekt ausgesessen. Wie stehen Sie dazu?

Es geht nicht darum, wie ich dazu stehe, sondern welcher Herausforderung wir uns als Stadt stellen müssen. Wir haben in Berlin ein Verkehrsdilemma. Die Menschen, die in den Außenbezirken leben und in der Innenstadt arbeiten, müssen jeden Tag unfassbar lange Wege auf sich nehmen. Hinter diesen vielen Einzelschicksalen scheint mir keine große Lobby zu stehen. Dafür wird ein Ausweg gesucht.

Und der öffentliche Nahverkehr kommt dafür nicht infrage?

Grundsätzlich ist es so, dass dieses Thema beim Bund liegt. Das muss an anderer Stelle entschieden werden, nämlich bei Verkehrsminister Volker Wissing. Wir kommen ins Spiel, wenn die Entscheidung gefallen ist. Liegt meine Sympathie bei den Clubs? Natürlich! Das Thema muss ganz klar aus dieser Perspektive beleuchtet werden und es muss eine Lobby für die Clubs aufgebaut werden. In dieser Rolle sehe ich mich auch, verwahre mich aber vor einem simplen Schwarz-Weiß-Denken. Es gilt, einen Interessenausgleich zu erzielen, und dabei kann niemand wirklich gewinnen. Eine Lösung für ein dermaßen komplexes Problem sollte allen Menschen in Berlin das Gefühl geben, abgeholt worden zu sein. Dafür braucht es Zwischentöne, und dazu gehören nicht nur die Clubgänger, sondern auch die hart arbeitenden Menschen, die jeden Tag einen langen Arbeitsweg zurücklegen müssen. Das ist nicht einfach. Deshalb würde ich gerne von hochemotionalen Fragestellungen Abschied nehmen. Das Problem muss in seiner Komplexität erfasst und erörtert werden. Und nicht im Stile von: (schlägt auf den Tisch, mit verstellter Stimme) „Die Clubs kommen weg, was sagste dazu!?” Davon müssen wir wegkommen.

Es ist natürlich aber ein hochemotionales Problem, weil es höchst existenziell ist.

Natürlich! Dass wir mit solchen Problemen umgehen können, haben wir nicht zuletzt im Fall der Uferhallen bewiesen. Wir haben es versachlicht, um die unterschiedlichen Interessenlagen auf den Tisch bringen zu können. Das muss mit den Clubs ebenfalls passieren. Es ist wichtig, dass Berlin seine Identität als Clubstadt bewahrt. Wie das in Zukunft aussehen kann, darüber müssen wir uns unterhalten, und zwar mit den handelnden Personen. Wir sitzen bei der A 100 aber nicht auf dem Fahrersitz, das Lenkrad liegt hier beim Bund.

Ja…

Nee – ja! Einfach nur: Ja! (lacht) Das lerne ich auch gerade: Es gibt Zuständigkeiten, und wer zuständig ist, sitzt am Hebel. Wir haben die Mittel, uns einschalten zu können, sind aber nicht der Taktgeber.

Natürlich sitzt der Bund schon irgendwie am längeren Hebel …

Nicht irgendwie, die entscheiden das! Safe! Es ist auch mein Ansinnen, für den Erhalt von Berlins wunderbarer Clublandschaft zu kämpfen. Dazu braucht es eine Lösung, nicht aber emotionales fingerpointing.

Welche Möglichkeiten sind denn vorstellbar? Die CDU Berlin hat einen Umzug der Clubs vorgeschlagen, der angesichts des auch von Ihnen angesprochenen Raumproblems schwierig umzusetzen scheint. Und auch wenn die Verlängerung unterirdisch stattfindet, werden sie von den Bauarbeiten betroffen sein.

Das sind unterschiedliche Ansätze, die diskutiert werden. Im zweiten Fall ist das in Zeiten immer enger werdender Haushaltsmittel natürlich auch eine Kostenfrage. Es wird noch eine Weile dauern, bis wir uns auf einen Lösungskorridor einigen können. Das wird eines meiner Themen sein, wenn ich im September mit der ClubCommission zusammenkomme. Das sind meine Ansprechpartner, die auch gehört werden müssen. Ich zeichne erstmal ein realistisches Bild ab, kein aktivistisches mit Wut dahinter. Wut allein ist eine starke Motivation, bewirkt aber am Ende meistens gar nichts.

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