burger
burger

IckMachWelle auf dem Krake Festival: Die Durchmischung findet statt!  

Das Label KilleKill und das Festival Krake arbeiten im Rahmen des Projekts IckMachWelle mit Menschen mit Behinderungen zusammen. Das wird auch die nächste Ausgabe prägen, verrät Gründer Nico Deuster.


IckMachWelle wurde 2018 ins Leben gerufen. Wie kam es dazu?

Der Anstoß kam vom Musicboard Berlin, das nur noch Festivals fördern wollte, die Acts mit Behinderungen buchen. Mir sind spontan nur zwei eingefallen: Station 17 und 21 Downbeat. Ich habe tagelang gegrübelt, aber mehr kannte ich nicht. So wurde mir klar, wie wichtig es ist, Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, wahrgenommen zu werden. Ich bin auf die Veranstalter:innen der inklusiven Party-Reihe Spaceship im Mensch Meier zugegangen und habe sie gefragt, ob wir das zusammen umsetzen wollen. Wir haben einen Förderantrag beim Musicboard Berlin gestellt. Als der bewilligt wurde, standen wir zuerst da und wussten überhaupt nicht, was genau wir nun zu tun hatten. (lacht) Wir mussten Geräte auftreiben, also bin ich mit einem Einkaufszettel auf die Superbooth gerannt und habe Klinken geputzt. Das war toll, die Unterstützung war riesig und wir haben viele Spenden erhalten. In einem Gemeinschaftsraums unserer Partnerin, der Lebenshilfe e.V., haben wir dann jeden Donnerstag Sessions gemacht. 

Gesprächspartner Nico Deuster (Foto: Nico Deuster)

Wie liefen die ab?

Zuerst kamen alle auf einmal. Mein Gedanke war es anfangs, ihnen als Gruppe Unterricht zu geben, damit alle gleichzeitig etwas lernen. Schnell hat sich aber herausgestellt, dass das nicht funktionierte. Wie alle anderen Menschen auch waren die Teilnehmer:innen sehr unterschiedlich, hatten verschiedene Interessen und Bedürfnisse. Manche wollten DJs werden, andere wiederum produzieren oder rappen. Einige waren eher an Software interessiert, wieder andere brauchten einen haptischen und reduzierten Zugang zum Musikmachen. Darauf mussten wir uns individuell einstellen. Das war für uns ein langer Lernprozess. Mittlerweile sind wir gut aufgestellt und haben ein richtiges Studio, in dem wir Einzelunterricht geben. Dazu suchen wir immer passende Mentor:innen. Eine der Teilnehmer:innen will auflegen, spricht aber kein Deutsch. Deshalb mussten wir eine DJ-Mentorin finden, die brasilianisches Portugiesisch spricht! 

Das Programm umfasst noch mehr als nur die Workshops.

Ja, wir bieten auch Artist Management an. Wir helfen bei der Entwicklung von Social-Media-Profilen und beim Booking, organisieren Shootings für Artist-Fotos und produzieren aktuell sogar ein Musikvideo. Das sind alles Ressourcen, zu denen unsere Teilnehmer:innen so gut wie gar keinen Zugang haben. Viele von ihnen haben kein eigenes Telefon oder eine eigene Kreditkarte. Ein paar Tracks bei Bandcamp zu kaufen, kommt für angehende DJs gar nicht infrage, und eine Instagram-Followerschaft aufzubauen, ist auch nicht möglich, wenn überhaupt kein Account existiert. Es hat mir die Augen dafür geöffnet, wie abgeschnitten viele Menschen von unserer Kulturwelt leben und wie niedrigschwellig wir in unserer Arbeit also ansetzen müssen. 

Das ist auch ein großes Problem bei der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen: Kulturelle Projekte finden meistens abgeschottet von der Außenwelt statt – es wird ein bisschen Musik gemacht und nach Feierabend gehen alle ihrer Wege.

Genau! Und das ist eben das, was wir anders machen möchten. Du beschreibst einen sozialen beziehungsweise sozialpädagogischen oder auch therapeutischen Ansatz, wir wollen aber eigentlich das Gegenteil erreichen. Gestern noch habe ich ein tolles neues Wort gelernt: Teilgabe. Das ist es, was wir mit unserem Projekt ermöglichen möchten: Nicht allein die Möglichkeit, an etwas teilzuhaben, sondern auch aktiv etwas beizutragen. Menschen mit kognitiven Einschränkungen sind auf künstlerischer Ebene nicht weniger kompetent als andere, insbesondere Musik muss ja etwa nicht zwangsläufig etwas mit Intellekt zu tun haben. Das Problem besteht hauptsächlich darin, dass sie keinen Zugang zur Kulturwelt haben. Das ist nicht nur schade für sie, sondern ebenso für die breitere Gesellschaft. Denn natürlich haben sie auch etwas auszudrücken und in manchen Fällen sehr besondere Ansichten. Ein Beispiel ist der Künstler Schrunzel, der eine extrem scharfe Sicht auf die Wirkweisen unserer Gesellschaft hat. Er ist Autist und hat nicht einmal einen Hauptschulabschluss, spricht aber Arabisch und Altdänisch, hat Ahnung von Musik und Astronomie und schreibt gerade an einem Science-Fiction-Roman. Davon würde sonst niemand etwas mitbekommen.

DJ Locati in seinem Studio (Foto: Presse)
DJ Locati in seinem Studio (Foto: Presse)

Eine Teilgabe, wie du es nennst, wollt ihr auch beim Krake ermöglichen. Wie geht ihr das an?

Indem wir es nicht als inklusive Veranstaltung deklarieren, sondern als ganz normale Party, bei der IckMachWelle-Künstler:innen ins Programm eingegliedert werden. Das stellt eine Bereicherung dar, auch musikalisch. Choolers Division werden bei der Eröffnung spielen, eine belgische Rap-Gruppe, die auf internationaler Ebene sehr erfolgreich ist. Im elektronischen Bereich gibt es noch nicht viele Künstler:innen, aber darin besteht ja genau unsere Arbeit und wir haben schon einige spannende Acts aufbauen können. Wir sprechen darüber hinaus auch über unser Netzwerk gezielt Gäste an, die wir einbinden. Wir bieten ein spezielles, deutlich reduziertes Ticket für Menschen mit Behinderung an. Es reicht eine E-Mail an uns, dann können sie inklusive Betreuung für fünf Euro bei uns rein. Darüber haben wir lange diskutiert, sind aber der Meinung, dass Menschen mit Behinderung so viel Diskriminierung erfahren haben, dass wir ihnen das ermöglichen sollten. 

Da Menschen mit Behinderungen aus der breiteren Gesellschaft ausgeschlossen werden und deshalb für viele andere Menschen überhaupt keine Berührungspunkte mit der Thematik und keine Sensibilisierung für den Umgang mit Behinderung vorhanden sind, kommt es oft zu Unsicherheiten. Wie waren eure bisherigen Erfahrungen auf den vorangegangenen Veranstaltungen?

Wir sind auf sehr viel Interesse gestoßen. Natürlich hast du aber Recht: Die meisten haben sich mit dieser Thematik noch nie befasst. Der Wille ist natürlich da, aber die konkrete Umsetzung kann schwierig sein. Manche finden unsere Künstler:innen durchaus spannend, doch insbesondere auf Veranstalter:innen lastet ein finanzieller Druck, der für viele ein Hinderungsgrund darstellt, sie zu buchen. Denn sie haben noch keine entwickelten Profile und ziehen kein großes Publikum an. Wir würden sie natürlich nicht umsonst spielen lassen, was automatisch die Frage aufwirft, ob sich die Veranstalter:innen das leisten können. Es sollen genauso jedoch keine Almosen-Gigs werden. Eine Lösung für dieses Problem haben wir noch nicht gefunden. Natürlich fragen wir uns auch, wie wir unsere Künstler:innen promoten. Kommunizieren wir ihre Behinderungen? Das mag sich vielleicht aktuell gut verkaufen, aber wahre Inklusion bedeutet ja, dass es schlicht keine Rolle spielt. Es gibt noch viel Bewegung in diesem Gebiet. Es wird konstant über Diversität gesprochen – das sollte auch Behinderung miteinschließen. Ich habe aber das Gefühl, dass die Diskussionen darum noch sehr getrennt voneinander geführt werden. Deshalb muss mehr Bewusstsein für solcherlei Problematiken geschaffen werden, um die allgemeine Debatte noch stärker um diesen Aspekt zu erweitern.

Denkst du, das Thema ist besonders in der Clubszene ein blinder Fleck?

Das ist es auf gesamtgesellschaftlicher Ebene, insbesondere in einer ansonsten sehr diversen Szene wie dieser. Zu Ausschlüssen führen im Clubkontext natürlich körperliche Einschränkungen. Aber auch kognitiv eingeschränkte Personen haben es in einer komplexen und potenziell linken, das heißt auch sehr diskursorientierten Szene nicht immer leicht. Natürlich würden sie sich mit den Inhalten der Subkultur befassen, zuerst aber müssen sie dafür reingeholt und an die Thematiken herangeführt werden. Dazu muss ich ganz klar sagen, dass ich selbst für dieses Problem vor meiner Arbeit mit IckMachWelle überhaupt kein Bewusstsein hatte. Ich realisiere laufend, welche Ausmaße die Hürden eigentlich haben. Wir reden etwa von Menschen, die in Werkstätten arbeiten und sich Eintrittspreise von 20 Euro nicht leisten können. [Der durchschnittliche Stundenlohn für die Arbeit in einer Behindertenwerkstatt beträgt 1,46 Euro, knapp ein Zehntel des gesetzlich festgelegten Mindestlohns, Anm. d. Red.] Und selbst wenn sie das Geld haben, müssen sie eine Türselektion durchlaufen, für die sie cool aussehen müssen. Dazu kommen andere Dinge wie die Uhrzeiten, die nicht mit Fahrdiensten oder Betreuungsangeboten vereinbar sind. Wir versuchen, das niedrigschwellig zu durchbrechen, und zwar nicht nur mit unserer Arbeit im Studio. Auch zu unseren KilleKill-Partys und dem Krake kommen Menschen mit Behinderungen. Viele sind es noch nicht, aber sie bilden hoffentlich die Vorhut für mehr. 

IckMachWelle Künstler beim Auftritt (Foto: KilleKill)

Ihr setzt zunehmend auf Durchmischung und wollt Begegnungen ermöglichen.

Ja. Nehmen wir die Suche nach unseren Mentor:innen als Beispiel: Die sollen sich nicht einfach mit den Teilnehmer:innen hinsetzen und ihnen Ableton erklären. Es geht um Bindungsarbeit. Jemand wie der Galerist Thomas Mahmoud lädt die Künstler:innen zum Beispiel zu sich ein und manche treffen sich auch privat miteinander. Zu ihren Auftritten kommt jemand wie Hanni von der Band Pisse, einer unserer Mentor:innen, privat mit seiner Freundin. Die Durchmischung findet statt! Um das zu ermöglichen, ist es wichtig, dass die Veranstaltungen nicht als Events beworben werden, bei denen nur Menschen mit Behinderungen ihren Spaß haben sollen. Uns geht es um die andere Stoßrichtung: Wir wollen sie in die Clubwelt reinholen. Bei einem Festival wird also einfach ein gemischtes Programm erstellt. Die IckMachWelle-Künstler:innen werden voll bei einem Festival eingebunden, das einen bestimmten Namen hat und einen bestimmten Anspruch repräsentiert. 

Über KilleKill veröffentlicht ihr ab April auch Musik von euren Künstler:innen.

Der Punkt, an dem etwas Veröffentlichungswürdiges vorliegen würde, musste irgendwann kommen. Wir haben zuerst darüber nachgedacht, ob wir zu dem Zweck ein neues Label gründen. Aber das wäre totaler Quatsch gewesen, genau das wäre eben nicht inklusiv! Es hätte eine Schublade für Künstler:innen mit Behinderung aufgemacht. Deshalb kommt die Musik auf KilleKill heraus. Es wird eine Compilation mit zehn Stücken von verschiedenen Projekten als eine Art IckMachWelle-Werkschau geben. Dazu kommen drei Solo-Releases wie ein Multimedia-Release von Schrunzel sowie zwei clubtaugliche 12inches von der Grupe Wellenbrecher inklusive einem Remix von The Hacker und von Bläck Dävil mit Remixen von Gesloten Cirkel und Rhyw sowie einem kollaborativen Track mit DJ Normal 4. Die Veröffentlichungen kommen zwar in recht kurzer Abfolge, aber es war uns wichtig, den Zusammenhang zu verdeutlichen.

Was plant ihr noch für die kommende Ausgabe?

Am 21. Juni eröffnen wir das Festival mit einem Auftritt von Choolers Division, einem Film-Screening und einem Panel. Dann geht es ab Samstagmittag im ://about:blank weiter. Tagsüber spielen Pisse, 21 Downbeat und Wellenbrecher. Ab 22 Uhr startet das Clubprogramm mit Drag Syndrome aus England, einer Drag-Show von Menschen mit Trisomie 21 auf dem MDF-Floor. Darauf folgt ein elektronisches Clubprogramm im Krake-Stil mit DJs wie unter anderem unserer Resident Alienata. Der Fokus liegt auf Electro, es wird düster und doch bunt. Draußen im Garten wird es einen Ambient-Floor mit Sitzgruppen geben, eine richtige Chillout-Area. Weiter geht es dann am nächsten Tag mit zwei Showcases. 

Krake: 21. und 24. bis 25. Juni

Festivalpass 26 Euro, Sonntagsticket 20 Euro

Line-up: Alienata, Choolers Division, Pisse, Schrunzel, Wellenbrecher, u.a.

Berlin 

In diesem Text

Weiterlesen

Features

Zehn Jahre Institut fuer Zukunft: „Wir hatten keinen Bock drauf, dass uns alte Leute sagen, wie wir Spaß haben sollen”

Groove+ Zum zehnten Geburtstag zeichnet das Team des IfZ ein ambivalentes Bild des Clubs – und blickt der Zukunft trotzdem optimistisch entgegen.

Der Club Macadam in Nantes: „DJs sollen bei uns am Können gemessen werden”

Groove+ Der französische Club zeigt, dass man für anständiges Feiern am Sonntag keineswegs zwingend nach Berlin fahren muss. Was ihn sonst ausmacht, lest ihr im Porträt.

Paranoid London: Mit praktisch nichts sehr viel erreichen

Groove+ Chicago-Sound, eine illustre Truppe von Sängern und turbulente Auftritte machen Paranoid London zu einem herausragenden britischen House-Act. Lest hier unser Porträt.