Foto: Presse (Marcel Fengler)
Die Geschichte Marcel Fenglers ist unentwirrbar mit der Genese von Berliner Techno-Kultur verbunden. Seinen Anfang nahm er als Breakdance- und Hip-Hop-Enthusiast, freundete sich aber schnell mit dem New Dance Sound of Detroit an, als dieser auf Berliner Dancefloors aufschlug. Seitdem hat er den Sound des Berghains sowie dessen Labels Ostgut Ton für eine gute Dekade mitgeprägt und zugleich seine Spuren auf der internationalen Szene hinterlassen. Mit Index Marcel Fengler lancierte er in den frühen Zehnerjahren auch ein eigenes Label und feierte Ende letzten Jahres schließlich (mit leichter Verspätung) dessen zehntes Jubiläum. Sein Beitrag zu unserem Groove-Podcast beweist allerdings, dass Fengler große Pläne mit dem Label hat. Im Interview bestätigt sich dies: Neben einer Reihe von Veröffentlichungen aufstrebender Künstler:innen, die von Remixen altgedienter Legenden flankiert werden, können wir uns nicht nur auf eine neue EP, sondern ebenso das erste Album von Marcel Fengler seit gut einem Jahrzehnt einstellen.
Mit Index Marcel Fengler hast du Ende letzten Jahres mit einer umfassenden Compilation den zehnten Geburtstag des Labels gefeiert. Aus welcher Motivation heraus hast du sie zusammengestellt?
Zunächst mal bin ich sehr glücklich darüber, dass mein Label nach all den Jahren immer noch solch eine fantastische Unterstützung genießt und ich freue mich riesig, diesen Meilenstein mit einer solchen Compilatoin entsprechend feiern zu dürfen. Auf der anderen Seite kann ich es kaum glauben, wie schnell doch diese zehn Jahre an mir vorbeigerauscht sind. Das Label ist von mir ja ganz am Anfang eigentlich als eine Plattform entworfen worden, um meine eigenen Tracks zu veröffentlichen. Darüber hinaus war es mir wichtig, den gesamten Produktionsablauf selbst zu gestalten – von der Produktion der Tracks, der Kreation des Artworks bis hin zur Herstellung und dem Vertrieb des Vinyls beziehungsweise der digitalen Alternativen. Das hat sich dann relativ schnell geändert und ich habe neben eigenen Produktionen auch Musik von Künstler:innen veröffentlicht, die zur musikalischen Idee des Labels gepasst haben. Über die Jahre ist dann ein Portfolio aus Artists mit ganz unterschiedlichen Profilen entstanden. Neben mittlerweile etablierteren Namen wie FJAAK, VRIL, Zenker Brothers oder Somewhen war es mir gleichzeitig immer wichtig, die Balance zu halten und neuen, talentierten Acts eine Plattform zu bieten. Dieser Ansatz ist grundsätzlich auch in der 10 Years Index Marcel Fengler wiederzuerkennen. Neben Künstler:innenn, die bereits auf dem Label veröffentlicht haben, sind aber natürlich auch solche zu finden, die zukünftig dort vertreten sein werden. Insofern wirft die Compilation zum einen einen Blick in die Vergangenheit, richtet zum anderen aber den Fokus auch nach vorn, um die Zukunft des Labels musikalisch abzubilden.
Mit dabei sind neben bekannteren Artists wie Etapp Kyle oder Dasha Rush auch recht unbekannte Namen. STEYA, Cratan oder Rodiaz etwa haben erst vor Kurzem damit angefangen, ihre Musik zu veröffentlichen. Warum war es dir ein Anliegen, sie dabei zu haben?
In erster Linie, weil sie trotz einer vielleicht etwas kürzeren Vita verdammt gute Tracks produzieren und ich diese extrem abfeiere. Darüber hinaus passt ihr Sound wunderbar zur IMF-DNS, wobei alle von ihnen auf ganz eigene Art und Weise musikalisch überzeugen. Das für sich stehende, eigenständige Wirken der Artists hatte für mich im Kontext des IMF-Release-Plans schon immer eine sehr große Bedeutung, ist aber im Rahmen einer Compilation nochmal umso wichtiger. Wie bereits gesagt: Die Balance im Sinne einer gewissen Ausgewogenheit und Vielfalt spielte für mich grundsätzlich schon immer eine große Rolle. Ich bin wirklich sehr froh darüber, sie alle dabei haben zu dürfen.
Du selbst bist auch auf der Compilation vertreten – und zwar nicht alleine. Wie kam es zu der Kollaboration mit The Advent und wie gestaltete sich euer Arbeitsprozess?
Es gibt aus meiner Sicht nicht so viele Künstler:innen, die es geschafft haben, sich trotz ihres langjährigen Schaffens einerseits musikalisch immer treu zu bleiben und andererseits kontinuierlich abzuliefern. Luke Slater ist für mich so ein Beispiel, genauso wie ein Ben Sims oder Surgeon. Und natürlich ist auch Cisco ist für mich mit Sicherheit einer von ihnen. Wir haben uns über die letzten Jahre immer mal wieder auf Gigs getroffen. Musikalisch hat uns immer schon viel miteinander verbunden. Auf der Produktionsebene hat es dann im Rahmen eines anstehenden Releases von Rover Ranger auf IMF nochmal so richtig geklickt. Cisco war unser Wunschkandidat als Remixer und hat für einen Track gleich mehrere Versionen eingereicht. Am Ende werden zwei Remixes von ihm auf der Veröffentlichung erscheinen. Und obwohl ich ja selbst bis auf die wirklich wundervolle und inspirierende Zusammenarbeit mit Efdemin im Rahmen unseres DIN-Projektes im Produktionsbereich bisher nicht unbedingt viele Kollaborationen eingegangen bin, markierte das den Startpunkt für unseren gemeinsamen Track auf der Compilation. Diesen haben wir uns dann gegenseitig solange hin und hergeschickt, bis Sounds und Sequencing uns einfach maximal begeistert haben. Es war mir auf jeden Fall eine große Freude und wer weiß – vielleicht war es ja nicht die letzte Zusammenarbeit.
Du selbst hast dich mit Solo-Veröffentlichungen in den vergangenen Jahren zurückgehalten. Welche Rolle spielt das Produzieren derzeit in deiner Arbeit?
Ja, das stimmt wohl, die letzte Solo-EP ist wirklich schon länger her. In den letzten Jahren sind von mir eher vereinzelt Tracks auf Compilations oder Remixe erschienen. Aber natürlich spielt die Produktionsarbeit eine herausragende Rolle. Wie mit vielen Dingen im Leben unterliegt aber auch diese Arbeit gewissen Phasen, in denen man sich manchmal super inspiriert fühlt und alles ineinandergreift und manchmal eben nicht. Für mich ist das dann immer der perfekte Zeitpunkt, nach entsprechend Inspiration zu suchen und neue Dinge auszuprobieren oder zum Beispiel an bestimmten Abläufen im Produktionsbereich zu arbeiten. Ehrlicherweise habe ich wahrscheinlich auch ziemlich hohe Ansprüche an mich selbst, wenn ich etwas von mir veröffentliche, weil man aus meiner Sicht mit jeder Produktion ja quasi etwas der Nachwelt hinterlässt. Insofern ist Zeit für mich oft ein guter Filter. Dazu gab es in den letzten Jahren auch privat ziemlichen Gegenwind hinsichtlich intensiver und auch komplexer Pflegeaspekte meiner beiden Eltern, der dazu führte, im allgemeinen Schaffen, aber insbesondere im Produktionsbereich kürzer treten zu müssen. Aber Familie ging and geht für mich nun mal immer vor. In Kürze wird nun aber eine neue Solo-EP von mir auf IMF erscheinen und ich freue mich schon sehr darauf.
Neben einigen Remixen erschien neue Musik von dir vor allem auf Charity-Compilations, etwa zur Unterstützung der Proteste in Kolumbien im Jahr 2021 oder humanitärer Hilfe für die Betroffenen des Ukrainekriegs. Warum ist es dir wichtig, derlei Projekte zu unterstützen?
Ein Engagement für Dinge, die man aus Überzeugung vertritt, halte ich nicht nur für immens wichtig, sondern auch für absolut notwendig. Ich finde gerade in Zeiten von steigender medialer Vernetzung und Wirkungsmöglichkeiten in diesem Bereich ist es umso wichtiger, sich als Künstler auch politisch zu positionieren. Musik kann dabei eine starke Botschaft vermitteln und Menschen verbinden. Ich finde es natürlich gut, wenn ich meinen Teil dazu beitragen kann, auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam zu machen und Unterstützung für diejenigen zu mobilisieren, die Hilfe benötigen. Insbesondere in den Fällen von Kolumbien und der Ukraine war es für mich wichtig, meine Stimme zu erheben und Solidarität zu zeigen. In Kolumbien gibt es seit vielen Jahren soziale und politische Konflikte, die zu Gewalt und Unterdrückung führen. In der Ukraine gibt es seit Jahren einen Konflikt, der mittlerweile in einem heimtückischen und völlig sinnlosen Krieg unzählige Menschenleben gefordert hat. Ich möchte meine Musik nutzen, um auf diese Probleme aufmerksam zu machen und gleichzeitig Menschen zu helfen, die von diesen Konflikten betroffen sind.
Als DJ warst du zuletzt häufiger in den USA unterwegs, hast mehrfach im New Yorker Basement gespielt. Wie nimmst du die dortige Szene wahr?
Ich habe die Club-Szene in den USA immer als sehr lebendig und vielfältig wahrgenommen. Insbesondere in Städten wie New York City, Los Angeles oder Chicago gibt es eine große Auswahl an Clubs und Veranstaltungen, die verschiedene Stilrichtungen und Subgenres abdecken. Mittlerweile würde ich sagen, dass der massive Trend hin zu sehr harten und Industrial-geprägten Formen von Techno auch vor dem US-amerikanischen Markt natürlich kein Halt gemacht hat. Es ist nicht so, dass es diese Formen vorher nicht gab. Aber ich glaube, ich trete niemandem zu nahe, wenn ich sage, dass zumindest in meiner Wahrnehmung es jetzt nicht unbedingt von der breiten Szene abgefeiert wurde. Aber ähnlich wie in anderen Teilen Europas und vielleicht sogar der Welt füllt man damit mittlerweile auch dort riesige Venues. Das Basement in New York ist für mich persönlich ein absolutes Highlight. Quasi fast ein bisschen wie ein Gegenentwurf zum beschriebenen Trend, weil dort immer noch eine tolle Mischung und Vielfalt an Musik ihren Platz findet. Darüber hinaus wird der Club von zwei herzlichen Menschen geführt. Das ist schon wirklich außergewöhnlich und jedes Mal eine große Freude, dort spielen zu dürfen.
Was war die Idee hinter deinem Mix für unseren Groove-Podcast?
Der Mix enthält bereits Bekanntes von der 10 Years Index Marcel Fengler-Compilation als auch eine Reihe meiner aktuellen und etwas zurückliegenden Favourites. Darüber hinaus gibt es natürlich bisher unveröffentlichtes Material zu hören, das aber auf IMF erscheinen wird. Insgesamt werdet ihr also einen Mix hören, der zum einen eine ordentliche Portion Sommer-Vibes versprüht und dabei in erster Linie die verschiedenen Facetten anstehender IMF-Releases präsentiert. Gleichzeitig ist es mir natürlich immer wichtig, das der Mix eine persönliche Note und Identität à la Fengler hat.
Was sind deine Pläne für die Zukunft?
Vor allem wird es unheimlich viel geiles neues Zeug auf IMF geben. Zum einen kommen einige neue EPs an den Start, die insgesamt einem neu ausgerichteten Konzept folgen. Ich hatte in den letzten Jahren mehr und mehr das Gefühl, das es so eine Art Zäsur zwischen etwas Altem und Neuen gegeben hat, quasi ein definiertes “Vorher” und “Nachher” von etwas im Techno. Davon bin ich, ehrlich gesagt, kein großer Fan. Denn ich denke, dass beides unzertrennlich miteinander verwoben ist und nicht getrennt voneinander gegenübergestellt werden kann. Um also meine eher verbindende Sichtweise der Dinge auch auf musikalischer Ebene konzeptuell auf IMF umzusetzen, werden zukünftig Releases von sehr talentierten Produzent:innen mit Remixen von etablierten Acts ergänzt. Wie bereits erwähnt, gibt s zunächst eine neue EP von mir mit einem genialen Remix von SHDW & Obscure Shape. Darauf folgt ein massives Release von Rove Ranger mit Remixen von The Advent sowie eines von Rodiaz mit einem Remix von Slam. Außerdem ist das erste Release von STEYA in Planung, auf das ich mich ebenfalls sehr freue. Darüber hinaus wird es zeitnah ein digitales Compilation-Konzept auf IMF geben, das den Fokus fast ausschließlich auf Tracks von jüngeren Artists legt, die mich wirklich schwer begeistern. Dazu wird es begleitend ein passendes Event-Konzept geben, das die bisherigen Marcel Fengler Invites-Events als auch IMF-Showcases ablösen beziehungsweise miteinander verbinden wird. Und zu guter Letzt arbeite ich jetzt schon etwas länger an meinem zweiten Solo-Album, das ebenfalls auf IMF escheinen wird. Es steht also in diesem Jahr einiges an und ich freue mich sehr drauf.
Stream: Marcel Fengler – Groove Podcast 380
01. Emika/Renslink – Just Like That (Edit)
02. David Löhlein – Skyra
03. Luis Miranda – Tikis Mikis (DJ Dextro Remix)
04. Coyu – Mecanismo Do Groove
05. Sons Of Hidden – Principles Of Rhythm
06. Marcel Fengler & The Advent – One Shot
07. Rey Brennan – Defender
08. Isaiah – When You Touch Me With Your Eyes (The Chronics Remix)
09. Sigvard – Mesmeric
10. Steve Redhead – Star Steel
11. Ocirala – I Want To Link Your Brains
12. Ill Communication – 1200 mg
13. Marcel Fengler – Unleashed
14. Lars Huismann – Dusty Lick
15. ONYVAA & Mattia Trani – Body Smile
16. Kenji Hina – Drilling
17. Not A Headliner – Dragoon
18. Jay York – Halsey
19. Arthur Robert – Into The Unknown