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Philipp Schultheis – Groove Podcast 378

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Foto: Presse (Philipp Schultheis)

Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Mix aus dem Groove-Podcast mit einem Stück von der Swedish House Mafia beginnt, aber Philipp Schultheis ist eben auch nicht alle Tage bei uns zu Gast. Der Veranstalter der Reihe Guilty Pleasures (hint, hint!) hat sich nach seinem Umzug von Frankfurt am Main nach Berlin vor allem im Umfeld von Marlon Hoffstadt und dessen Reihe Savour the Moment beziehungsweise als verlässlicher DJ im Salon zur Wilden Renate einen Namen gemacht, nachdem er zuvor mehr oder minder aus purer Geldnot mit dem Auflegen angefangen hatte. Sein Mix kompromiert eine ganze Clubnacht in zwei energetische und doch humorvolle Stunden, die neben dem einen oder anderen unerwarteten Smasher deutlich von Schultheis’ Leidenschaft für all things Italo und seinen formativen Cluberfahrungen im Offenbacher Robert Johnson geprägt wird.


Wie bist du zu elektronischer Musik gekommen?

Ich habe schon immer genreübergreifend Musik konsumiert: (Deutsch-)Rap, Disco, Indie-Pop, 80s, Klassik. Wenn ich jetzt Gemeinsamkeiten oder Wurzeln feststellen möchte, haben mich schon immer Synthesizer, sich aufbauende Frequenzen und melodische Loops begeistert. Mir fallen sofort “Juicy” mit einem Samplevon Mtumes “Juicy Fruit” und “Hypnotize” mit einem Sample von Herb Alperts “Rise” von The Notorious B.I.G. ein, beide koproduziert von P. Diddy. Sind glaube ich gute Zugangsvoraussetzungen für repetitive Passagen, oder? Aber um ehrlich zu sein, habe ich damals weniger daran gedacht, wenn ich mit anderthalbstündiger Busfahrt als Umland-Raver aus Remscheid ins Kölner Bootshaus gefahren bin. Meinen 18. Geburtstag habe ich dort 2011 zu einem noch ganz regulären DJ Set von Tim Bergling alias Avicii gefeiert. Als kommerzieller Progressive House à la Swedish House Mafia diesen EDM-/Big-Room-Charakter bekam, war uns das nicht mehr cool genug und das Gewölbe in Köln wurde unsere Top-Adresse. Das Tomorrowland war plötzlich eine Art Feindbild, während wir mittlerweile auch aus der Mode geratenen Deep- und Tech-House konsumierten.

Wie ging es von dort an weiter? Wann hast du mit dem Auflegen angefangen und in welchem Umfeld hast du dich damals bewegt?

2013 bin ich zum Studium nach Frankfurt am Main gezogen. Nach einigen Studentenpartys im Silbergold habe ich dann fast nur noch das Robert Johnson aufgesucht. Das war damals noch ab 21, wenn ich mich richtig erinnere. Über die regelmäßigen Clubvorlesungen Robert Johnson Theorie ist man irgendwie trotzdem reingekommen und das auch noch umsonst – Nächte mit MCDE, Mike Servito, The Blessed Madonna, Fort Romeau, Leon Vynehall, Nina Kraviz, Dixon, Ricardo Villalobos, Bicep. Und immer erste Reihe bei Lauer oder Gerd Janson. Ich habe keine Drogen konsumiert, war einfach begeistert. Habe aber nie diesen Schritt in den “Inner Circle” gehen können. Ich war eigentlich der einzige in unserem Freundeskreis, der das so glorifiziert hat. Meine Freund:innen wollten eigentlich nur zu guter Musik eine gute Zeit haben. Off-Locations wie Moselstraße oder Hafenstraße fand ich großartig. Als ich aus finanziellen Gründen mein Studium abbrechen musste, habe ich eine Ausbildung begonnen. Meine monatliche Miete war schon höher als das Gehalt. Also musste eine pragmatische Lösung her. Mein Ausbilder Kai Schmidt alias DJ SKAI hatte nebenher unterschiedliche Engagements in fancy Cocktailbars. Eigentlich spielte Musik hier keine Rolle, es musste aber ein:e DJ da stehen. Er hat mir dann im laufenden Betrieb das Auflegen beigebracht. Da habe ich unzählige Stunden gespielt. In einer sehr teuren Sake-Bar habe ich 110-BPM-Disco-Edits gespielt, während mir Richie Hawtin zunickte. Über SKAIs Veranstaltungsreihe Re:Fresh Your Mind, in die ich musikalisch eher weniger pass(t)e, habe ich dann regelmäßig das Warm-up spielen dürfen. Daraus hat sich einiges entwickelt. Ich habe sogar zu einer Tizian-Austellung im Städel Museum aufgelegt. Ich hätte nicht gedacht, dass aus der finanziellen Not mal Gigs in Vilnius, Sofia, Porto und Barcelona werden könnten.

Eine deiner musikalischen Vorlieben ist zweifellos Italo Disco, ein sich quasi ständig im Revival-Modus befindliches Genre. Was fasziniert dich gerade an diesem Sound?

Die Frage beantwortet sich ja schon fast von selbst. Ich habe das Gefühl, dass mit Italo aus einer diskutablen Nachahmungsidee von schwarzem US-Disco ein Genre entstanden ist, dessen Übergange bis heute fließend sind. Es gibt zeitlose Musikstücke in dieser Nische, auf die sich alle, von House bis Techno, von Party bis Nerd, einigen können. Von Realkeepern wie Italo Moderni, Slow Motion oder Pinkman Records über populäre Ansätze wie Bordello A Parigi, Correspondant, Permanent Vacation und Running Back bis hin zu popkulturellen Auswüchsen wie Italo Trance, die zum Beispiel auch das von mir geschätzte französische Label Ritmo Fatale bedient. Jonas von DJ Heartstring sagte mir letztens auf einer Party, dass er ja auch quasi Italo spiele, nur ziemlich schnell. Das fand ich lustig. Solange eine eingängige Melodie und ein prägnanter Synthesizer zum Einsatz kommen, ist der Begriff Italo sehr dehnbar geworden. Ich denke, dass Proto, New Wave, Eurodance, Hi-NRG und so weiter für viele gleichermaßen Italo darstellt. Manche nehmen es sehr ernst, andere schätzen es mit einem Augenzwinkern. Ich befinde mich wohl irgendwo dazwischen!

Seit deinem Umzug von Frankfurt nach Berlin warst du vor allem in der Renate und insbesondere bei den Savour the Moment-Nächten von Marlon Hoffstadt hinter den Decks zu erleben. Wie würdest du deine Beziehung zum Club beschreiben?

Ich habe wirklich schon unzählige Male in der Renate oder in der Else gespielt, egal zu welcher Zeit, an welchem Tag oder auf welchem Floor. Silvester 2018/19 vor Hercules and Love Affair war irre. Oder sechs Stunden auf dem E&S DJR-400 nach Kamma und Masalo, das war richtig harte Arbeit. Der rote Floor macht mir musikalisch besonders Spaß. Viele Leute an der Tür, an der Bar und in der Crowd habe ich zur Hochphase unserer handyfreien Veranstaltungsreihe fast monatlich getroffen und hatte eine richtig gute Zeit. Durch die Pandemie hat sich alles etwas relativiert. Viele Menschen haben sich umorientiert oder arbeiten in anderen Clubs. Dass ich ohne Marlon offensichtlich nicht so auf dem Radar des Clubs bin, ist aber völlig okay. Die Besitzer:innen und das Booking-Team haben auch gewechselt. Vielleicht habe ich mich aber auch einfach im Laufe der letzten Jahre von besonders fröhlicher Disco-Musik hin zu einem etwas erwachseneren Sound entwickelt.

Bei Savour the Moment hast du am liebsten die Closings gespielt. Was reizt dich an den längeren, abschließenden Sets und wie bereitest du dich auf solche vor?

Zumindest in der Renate finden die Closings ja morgens statt. Es ist ein gutes Gefühl, ausgeschlafen in eine durchzechte Nacht einzutauchen und dann irgendwie verantwortlich zu sein: Schaffe ich es, die müde Tanzfläche abzuholen und die eine oder den anderen vielleicht noch mal zum Nachlegen zu bewegen? Wenn die Leute bleiben und Bock haben, erfahre ich ganz einfach Selbstwirksamkeit. Ein Sekt auf Eis morgens um zehn Uhr ist auch nicht zu unterschätzen. Die Energie der Tracks, von mir und den Tanzenden muss aber einfach passen. Das lässt sich schwer vorbereiten. Ich höre vor dem Gig alle Promos durch und kaufe neue Musik. Ich bereite dann über rekordbox-Playlists passender Musik vor, von denen ich weiß, dass sie eine Stimmung harmonisch bedienen. Ich habe bisher jedoch noch nie ein Set so gespielt wie es ursprünglich vorbereitet war. Wenn daraus mal drei, mal acht Stunden werden, fordert und fördert mich das auch persönlich, weil ich privat die unspontanste Person bin, die ich kenne.

Im Jahr 2019 hast du die Veranstaltungsreihe Guilty Pleasures in der Berliner Paloma Bar gestartet, die Pandemie hat dem Ganzen aber nach nur wenigen Ausgaben einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die letzte fand dann im Jahr 2021 statt. Hast du Pläne, die Serie zu reaktivieren?

Ja, auf jeden Fall. Wenn Tom und Finn [Haefele und Johannsen, Booker der Paloma Bar, Anm. d. Red.] das lesen sollten: Ich würde gerne wieder Guilty Pleasures kuratieren, der Floor oben in der Paloma hat eine tolle Größe dafür.

In deiner Bio ist zu lesen, du wärst “(noch) nicht” als Produzent aktiv. Verspürst du einen gewissen äußeren Druck oder aber inneren Drang, dich selbst am Produzieren zu versuchen?

Marlon hat mir mal einen Ableton-Zugang besorgt und viele Freund:innen haben zu meinem Geburtstag zusammengeschmissen, um mir ein Keyboard zu schenken. Ich habe jedoch das Gefühl, der Tiefe an Musiktheorie, technischer Übung und Kreativität, die es braucht, um etwas Hörbares zu produzieren, nicht gerecht werden zu können. Das Musikhören beziehungsweise Auflegen ist für mich ein sehr zeitintensives Hobby neben einem Nine-to-Five-Job und viel Interaktion mit meinem sozialen Umfeld. Die klischeehaften drei Monate im Studio einschließen, die es angeblich bräuchte, passen aktuell nicht in meinen Lebenstil. Ich könnte mir schon vorstellen, das irgendwann endlich mal anzugehen. Aber ja, ich denke schon, dass es einen äußeren Druck in der “Industrie” gibt, Content zu produzieren, um dann in regelmäßiger Frequenz Postings abzusetzen, dadurch sichtbarer zu sein und somit auch kontinuierlich Bookings zu bekommen. Aber es wäre doch schade, wenn ich nur dafür Musik machen würde, oder? Ich finde die Bandprojekte von Stella Zekri, Stella and the Longos, und Avalon Emerson, Avalon Emerson & the Charm, richtig cool. Vielleicht lerne ich ja noch ein Instrument und verwirkliche mich zusätzlich in einer Band, statt zu produzieren?

In jedem Fall hast du zuletzt über Musik geschrieben, in deiner Masterarbeit nämlich. Worum ging es in dieser genau?

Die Musikindustrie hat in den letzten zwei Dekaden einen Wandel vom Besitzmodell physischer Tonträger hin zum Zugangsmodell Streaming durchlaufen. Egal, was wer jetzt gerade bevorzugt: Musik als immaterielles Gut braucht ja eigentlich nur eine Form des Transports an die Rezipierenden. Dieser Transport hat in seiner Wertschöpfungskette durch die neuen Konsumpräferenzen jedoch ziemlich gelitten. Die Musik an sich auch, Pop-Songs sind ja durchschnittlich nur noch zweieinhalb Minuten lang. Ich habe eine Kommunikationsstrategie zur späten Einführung einer nischigen Streaming-Plattform für meinen Arbeitgeber entworfen, die “fair” ist und Zugangs- und Besitzmodelle verbindet. Ich würde jetzt aber zu sehr ins Detail gehen. Streaming-Plattformen sollten in meinen Augen mindestens eins der Kritierien erfüllen, um nachhaltig für alle Beteiligten erfolgreich sein zu können: A) Transparentes, gerechteres Ausschüttungsmodell für Künstler:innen. Ich glaube, das ist allen klar. B) Grünes Streaming. Ich glaube, wir sind uns zum großen Teil der Server-Farmen und der nötigen Kühlung nur selten bewusst, wenn wir streamen. C) HiFi-Qualität für unkomprimierten Musikgenuss, wie es mittlerweile bereits einige Plattformen anbieten. D) Partizipationsmodelle, in denen Hörer:innen zum Prosumer:innen werden. Also zum Beispiel könnte ich ja anteilig nur für Taylor Swift zahlen, wenn ich nur diese höre und nicht Beyoncé oder Ed Sheeran [auch bekannt als “user-centric-“Modell, wie es SoundCloud anbietet, Anm. d. Red.]. Ich möchte hier gar nicht als großer Streaming-Kritiker auftreten – Vinyl ist aus Öl! Es braucht in meinen Augen einfach eine Nachjustierung. Ich freue mich, wenn jemand dazu mit mir diskutieren möchte!

Was war die Idee hinter deinem Mix für unseren Groove-Podcast?

Inspiriert von Euren Fragen habe ich versucht, einiges meiner Antworten im Mix widerzuspiegeln. Ich habe circa 80 passende Lieder in eine Playlist gepackt und dann während des Auflegens entschieden, welche es werden. Ich habe beim ersten Versuch einen Übergang total verhauen, dieser Mix ist der zweite Versuch. Ich spiele gerne mit Stimmungen, Tempo und einem gewissen Schmunzeln, was bestenfalls mich und mein Gegenüber beim Auflegen oder Hören verbindet. Ich hab versucht, auf eine sehr komprimierte Art und Weise Warm-up, Peak-Time und Closing in zwei Stunden zu quetschen und Facetten meiner Musikauswahl zu zeigen, ohne dass die Harmonie verloren geht. Ich hoffe, das ist mir gelungen.

Was sind deine Pläne für die Zukunft?

Robert Johnson oder Panorama Bar, was sonst?

Stream: Philipp Schultheis – Groove Podcast 378

01. Swedish House Mafia – Leave The World Behind [Axtone]
02. Gorillaz – Stylo (feat. Mos Def and Bobby Womack) [Virgin]
03. Alba – Philomena [Private Records]
04. Italo Brutalo – Trust Doesn’t Rust [Bungalo Disco]
05. Salon Bitter – Shame (Franz Scala Remix) [Salon Bitter]
06. Jaures – Cba Quake [Die Orakel]
07. Kluentah – Muskelbein [Public System]
08. Apollon Telefax – Shine [Sinchi]
09. Mala Ika – Fueralarm [Slow Motion]
10. DJ Oetker – Only Rod Can Save Us [Mothball Record]
11. Perdu – Interlinked [Nocturne]
12. Totally Enormous Extinct Dinosaurs – When the Lights Go (Paula Tape Remix) [Nice Age Music]
13. Frederik Neu – Liberated (Jakob Mäder Remix) [Midnight Operators]
14. Black Spuma – No No No [Permanent Vacation]
15. Lauer – Frizzante [Bordello A Parigi]
16. Venice Arms – Dancing Is A Stranger [Permanent Vacation]
17. Soul of Hex – Sunday Sunday [Funnuvojere Records]
18. Louis de Tomaso – Disco Anthem [Polari Records]
19. Karassimeon – Messa Nera [Ritmo Fatale]
20. TERR – States Of Mind [Phantasy Sound]
21. David Caretta – Disco Dance [Space Factory]
22. Baldo – Ride The Night [Permanent Vacation]
23. Marc Satseg – Back To My Soul [Spaceless Records]
24. Nyra – Euphoria Dance [Correspondant]
25. DJ City – Desperate Lovers [Permanent Vacation]
26. Arcydaro – Radio Innocents [Correspondant]
27. Soft Cell – Memorabilia [Some Bizarre]

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