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Klaus Lederer: Abgang eines Clubkulturkämpfers

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Mit dem Regierungswechsel im Roten Rathaus endet auch die Ära Klaus Lederers. Kein Kultursenator dürfte, auch abseits von Pandemie und Inflation als definierende Krisen seiner Amtszeit, prägender für die Clubkultur gewesen sein. Nicht nur die Hauptstadtszene blickt zurück auf einen Fürsprecher, dessen erweiterter Kulturbegriff und Herz für Subkulturen die Reputation des hiesigen Nachtlebens gestärkt hat.

Man soll ja nicht vom Beruf auf den Menschen schließen. Der Jurist Klaus Lederer, 49, ehemaliger Vorsitzender der Berliner Linken, ehemaliger rechtspolitischer Sprecher ebenjener im Abgeordnetenhaus – plötzlich Kultursenator, damals, 2016. Ob er das könne, raunte es, damals. Als kulturtechnischen Dilettanten beschrieben ihn Presseerzeugnisse, nicht mehr ganz damals, um dann im Umkehrschluss zu fragen, wie er es zu derartigen Beliebtheitswerten geschafft hat. Ein letztes Damals: Kulturpolitik sei nicht im Nebenjob zu machen, erklärte er im Tagesspiegel, noch vor seiner Ernennung.

Klaus Lederer hat gut lachen – der scheidende Kultursenator hat in Berlin viel umgesetzt (Foto: Presse)

Die Clubkultur florierte 2016 bereits, war allerdings (noch) kaum ein kulturpolitischer Faktor. Clubs galten als Publikumsmagnet, wurden mehr und mehr als Wirtschaftsfaktor wahrgenommen, bescherten den noch zwei Flughäfen reichlich Auslastung und Anwohner:innen suboptimal isolierter Etablissements neben dumpfen Bässen zusätzlichen Rollkoffer-Tinnitus. Das Wowereit’sche #armabersexy gab dem Nachtleben erstmals so etwas wie politische Beachtung. Dass Berliner Nächte aber nicht nur ausschweifend, laut und tags darauf verschwommenes Erinnerungsfragment sind, sondern wenn schon nicht selbst Kulturgut, immerhin reichlich Kulturgut bieten, ist Verdienst Lederers als Kulturklaus.

Die Verdienste des Kultursenators

Feiern bereitet Vergnügen, so weit, so selbsterklärend. Die Einordnung von Feierstätten als Orte der Vergnügung jedoch stellte sie baurechtlich auf eine Stufe mit Spielhallen, Sexkinos, Wettbüros oder Bordellen, die allesamt kein Anrecht auf Verortung in Wohngebieten haben. Klaus Lederer wirkte dem entgegen, mit seinem breiten Kulturbegriff, der auch unterrepräsentierte Sparten wie die Clubkultur mit berücksichtigte. Der passionierte Clubgänger stellte nicht nur den Mehrwert eines DJ-Sets heraus, sondern lobbyierte auch für Clubs als Orte der Zusammenkunft, des Eskapismus und des freien Ausdrucks in geschütztem Umfeld. Dass wir seit 2020 landes- und seit 2021 bundesweit vermehrt in Kultur- anstatt Vergnügungsstätten tanzen dürfen, ist dem beherzten Einsatz Lederers zu verdanken.

Immer daran interessiert, den Mehrwert unterrepräsentierter Szenen zu stärken: Klaus Lederer (Foto: Presse)

Kultur galt seit jeher als Aushängeschild der Hauptstadt. Lederer kämpfte wie kein anderer zuvor dafür, dass auch weniger gut gestellte Akteur:innen Zugang, Resonanz und Förderung bekamen. Maßnahmen wie die rechtliche Anerkennung von Clubkultur als solcher gaben einer (nach wie vor) von Verdrängung bedrohten Sparte Sicherheiten, Zugang zu neuen Gebieten und rechtliche wie finanzielle Unterstützung in Streitthemen wie Lärmschutz. Den kulturellen und gesellschaftlichen Mehrwert unterrepräsentierter Szenen zu stärken, war für Klaus Lederer die Quintessenz linker Kulturpolitik.

Dass wir vermehrt in Kultur- anstatt Vergnügungsstätten tanzen dürfen, ist dem beherzten Einsatz Lederers zu verdanken.

Auch in der Zäsur, die die Coronapandemie bedeutete, trieb dieses Anliegen den zum Amtswechsel dienstältesten Senator der scheidenden rot-grün-roten Regierung besonders an. Seine Senatsverwaltung schüttete Hilfsfonds für Künstler:innen und Veranstaltungsorte aus, zahlreiche Instanzen innerhalb der elektronischen Musikszene konnten so zumindest einen Teil ihrer laufenden Kosten decken. Die Senatsförderung von United We Stream kam DJs wiewohl Spielstätten zugute. Und in enger Abstimmung mit der Clubcommission zeigte sich Lederer offen für experimentellen Clubbetrieb unter Berücksichtigung von Hygieneregeln.

Dass der Tag der Clubkultur zur festen Instanz geworden ist und im Jahr 2023 bereits zum vierten Mal 400.000 € unter 40 Preisträger:innen verteilt, ist ebenfalls nicht zuletzt Lederer zu verdanken. Ursprünglich zur Unterstützung der Clubs in Pandemiezeiten erdacht, widmet sich die mit Workshops, Lesungen und natürlich Tanzlustbarkeiten umfangreiche Veranstaltungsreihe mittlerweile insbesondere der Repräsentanz queerer und PoC-Identitäten im Clubkontext.

Was der Neue anders macht

Was die Zukunft bringt, ist ungewiss. Die kulturelle Unbeflecktheit Klaus Lederers stellte sich, nach anfänglich skeptischer Betrachtung, nicht als Makel, sondern vielmehr als Stärke des scheidenden Senators heraus. Sein unverstellter Blick als Konsument sah Kultur in ihrem Nutzen und Selbstzweck als unbedingt förderungswürdig – unter seiner Ägide wuchs der Kulturetat um 63 Prozent auf stolze 803 Millionen Euro. Es wird sich zeigen, ob sein Nachfolger ähnliche Ambitionen zeigt oder vom Förderer zum Forderer wird.

Auch Lederer wird darauf schauen, was der neue Kultursenator Joe Chialo umsetzt (Foto: Presse)

Der neue Kultursenator Joe Chialo betont zwar, er wolle Clubs, Bühnen, Museen und gar Gaming als Ganzes betrachten, was als Novum dargestellt wird, derweil aber zumindest in Ansätzen der Herangehensweise seines Vorgängers folgt. Dann jedoch möchte der ehemalige Kelly-Family-Manager eben auch das Kulturelle mit dem Wirtschaftlichen „noch besser verheiraten.” Und eine Erklärung, inwieweit die Schneise der Bituminierung, auch bekannt als 17. Bauabschnitt der von der CDU „Klimaautobahn” getauften A100, sich mit den Interessen der Clubkultur verträgt, bleibt der Neue auch noch schuldig; seine übergeordnete Stadtregierung möchte die Schnellstraße durch den Ausläufer des Treptower Parks, die Else, die Wilde Renate, das ://about blank sowie Friedrichshains Osten mitsamt Oxi, Void und Club Ost fräsen.

Für Verwünschungen ist er zu sehr Staatsmann oder kulturbeflissen – oder beides.

Eigentlich ist nichts davon ein Problem Klaus Lederers, nicht mehr. Er ist nun wieder schlichter Abgeordneter und kulturelle Privatperson. Für Verwünschungen ist er zu sehr Staatsmann oder kulturbeflissen – oder beides. Zumindest so lange die Autobahn nicht gebaut wird, die ihm den Besuch im ://about blank, erklärtermaßen einem seiner Lieblingsclubs, verunmöglichen würde. Dann klebt er sich mit Zeit-Journalist Jens Balzer fest. Und auch wenn dieser und alle anderen bedrohten Clubs bitte bestehen bleiben sollen, wäre das doch die schönste Pointe: Klaus Lederer, einst Kultursenator, plötzlich sprichwörtlicher Kulturkämpfer.

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