Club TerraM (Terra Magica Rec.)
Eine neue Compilation des Münchner Vinyllabels Terra Magica Rec.: zehn hedonistische Tracks der Labelbetreiber und von befreundeten Künstlern wie dem Norweger Mikkel Rev oder Pyramid Of Knowledge aus Paris und Seoul. Alle bewegungsfreudig, trippig, voller rhythmischer Landschaften, die tief ins Trance-Land eintauchen und gelegentlich über dessen Grenzen hinausschauen.
Tracks wie „Ahhello” von Label-Mitbegründer Tom Sprenger und seinem Kumpel Listensport oder „Extraterrestrial Encounter” vom zweiten Terra-Magica-Macher Mirko Hecktor reichern Trance mit kosmischen Gitarren und lateinamerikanischen Takten an. Auch lässige Breaks und Madchester-Affekte, dezent, aber bestimmend versteckt in Tracks wie „Dancing Stars” oder „Daer”, dehnen Acid und Trance mit belebender Psychedelika aus. Da eher herkömmliche Goa-, Techno- und Trance-Emotionen, zu hören in Tadans „Metamorph”, „TranceSkeptisch Springen” von Hektisch Sprengen DJs oder Iro Akas „Deshaper”, ebenso frisch und unverkrampft antreiben, ist Club TerraM einer jener Vinyl-Label-Sampler, die das Zeug zum Sammlerstück haben. Michael Leuffen
Dream Dolphin – Gaia: Selected Ambient & Downtempo Works 1996-2003 (Music From Memory)
Mit der japanischen Ambient-Künstlerin Dream Dolphin hat das Reissue-Label Music From Memory (MFM) wieder einen Volltreffer gelandet. Bei 20 Alben in nur acht Jahren Schaffenszeit gab es eine Menge Material der Künstlerin zu sichten, die immer nur als Noriko bekannt war. Schon mit 16 Jahren fing sie an, ihre zwischen Ambient und Electronica angesiedelte Musik zu veröffentlichen. Ein Freund von MFM, Eiji Taniguchi, der bereits für Dream Dolphins Präsenz auf der 2021 erschienenen Compilation Heisei No Oto: Japanese Left-field Pop From The CD Age, 1989-1996 verantwortlich war, half nun mit dieser Zusammenstellung.
Dream Dolphins Musik ist inspiriert von Acts wie Yellow Magic Orchestra, Public Image Ltd oder The KLF, aber genauso von Filmen wie Kubricks 2001: A Space Odyssey. Themen wie Weltall oder Unterwasserwelten finden sich ständig wieder, genauso wie Referenzen auf das Übersinnliche, die Welt danach, Engel und so weiter. Diese mystische Komponente bereichert Norikos Musik ungemein, gibt ihr eine Dimension über das Akustische hinaus und wirkt deshalb so überzeugend, weil sich ihre Stimme meist in natürlicher Spoken-Word-Art mit elektronischen Soundscapes mischt.
Dabei inkorporiert sie in loser Manier Elemente aus Ambient, IDM, Techno, Trance oder gar Drum’n’Bass, ohne sich aber jemals an irgendwelchen Regeln festzuhalten. Stattdessen fließen ihre Tracks ganz eigentümlich und doch natürlich vor sich hin, wirken so sakral wie unterhaltsam — und sind besonders in dieser auf 15 Stücke kondensierten Werkschau besonders eindrücklich. Leopold Hutter
fabric presents Chaos In The CBD (fabric)
Das neuseeländische Brüderpaar Chaos In The CBD ist ein Synonym für classy House. Stilsichere Selektoren, gute Produktionen – auf Ben und Louis Helliker-Hales ist Verlass. Ihr Label In Dust We Trust ist ihr übliches Zuhause, diesmal kommt neue Musik von ihnen in Form eines Fabric-Mixes. Auf fabric presents zeigen die Brüder, welche hidden gems der House-Historie sie beeinflusst haben. Platten, die sie seit Jahren lieben, von denen viele aber nie digital veröffentlicht wurden und dementsprechend den meisten DJs bis jetzt unzugänglich waren. Fabric selbst nannte die Lizenzarbeit für dieses Projekt die anspruchsvollste in ihrer Compilation-Geschichte.
Doch es hat sich gelohnt. Das erste Mal sind diese gesammelten Stücke, die zwischen 1990 und 2007 erschienen sind, nun in hoher Qualität verfügbar. Auf 23 Tracks tragen Chaos in the CBD von Balearic House hin zu shuffliger Percussion, warmen Basslines und jeder Menge verträumter Melodien. Der Mix beginnt ohne Intro und geht direkt los, was bei dieser zurückgelehnten und locker-flockigen Mischung aber kein Problem darstellt.
Circa 80 Minuten Laufzeit reichen den beiden DJs, um ihre Lieblingsstücke zu zeigen, inklusive einer neuen Eigenkreation in der Mixmitte. „Higher Elevation” ist ein reduzierter Groover mit dezent eingestreuten Piano-Akzenten: genau die Sorte Track, die man sich bei Sonnenauf- oder -untergang am Meer wünschen würde. Wie es den beiden stets gelingt, diesen Vibe scheinbar mühelos zu treffen, versteht man nach diesem Mix ein wenig besser. Leopold Hutter
Federation Of Rytm I (Mutual Rytm)
Techno-Musik! Hart im Kern. Die Stuttgarter Erfolgsproduzenten SHDW & Obscure Shape veröffentlichen zum bereits zweiten Mal eine Werkschau ihres Labels Mutual Rytm. Darunter finden sich einige gefeierte Namen wie Glaskin oder Mark Broom, dazu auch weniger bekannte wie Chontane oder Alarico.
Hart im Kern meint hier: oft mit einfachen Mitteln gemachter, doch ausproduzierter Sound mit maximalem Drive zur Tanzfläche. Unter den Stücken finden sich überraschend viele Hits, etwa das upliftende „Space Shark” von Stef Mendesidis, das Querflöten-besetzte „Beat The Glock” von Chlär, Stojches hart schlagendes „Philadelphia” und das ungeheuerlich schiebende „Faliekant” von Steve Redhead. Auch die „Summer Night” von Invexis zeichnet liebenswürdig ein Sternenzelt. Hart, laut, aufregend: Hier stellen SHDW & Obscure Shape ein Fanal in die Halle. Techno! Zum Tanzen! Christoph Braun
My Dear (My Dear)
Denis Stockhausen, Berliner mit Wohnsitz Köln, gehört seit Jahren fest zum Team des Kompakt-Imperiums. Seit 2012 veranstaltet er im Kölner Club Gewölbe seine Partyreihe My Dear und begrüßte dort neben Kompakt-Lieblingen und verehrten Künstler:innen aus Deutschland wie DJ Koze, Ellen Allien, Kobosil oder Ada auch internationale Stars wie Laurent Garnier, Seth Troxler, Tale Of Us oder Miss Kittin. Einige von ihnen haben sich nun mit exklusiven Tracks für My Dear, die erste Label-Compilation, bei ihm bedankt.
DJ Koze lässt mit „Blissda” sanfte Arpeggios tanzen, die – befeuert von lässigen Claps – langsam in einem typischen Koze-House-Brummer aufgehen. Fantastic Twins überrascht mit zauberhaftem Witch-Vocal-Electro und Superpitcher, der hier einen Remix zum DAMH-Track (alias David Hassert und Ada) „Black Night” abliefert, unterstreicht, was für ein einmaliger Dance-Pop-Produzent er doch ist. Weiteres exklusives Material zu dieser charmant den klassischen Kompakt-Pop-Geist beschwörenden Compilation stammt von Pom Pom, Jürgen Paape, Robag Wruhme oder dem Berliner Rising Sun. Michael Leuffen
Place: Tunisia curated by Azu Tiwaline and Shinigami San (Air Texture)
Das Label Air Texture veröffentlicht Ambient-Compilations. Dabei kommen in der Regel jeweils zwei DJs als Kurator:innen zum Zug. In diesem Falle waren es Azu Tiwaline und Shinigami San (beide mit Wurzeln in Tunesien), deren Auswahl einen Einblick in den elektronischen Underground ihres Heimatlandes ermöglicht. Jeweils eigene Tracks der beiden hört man auch.
Etwa die düstere, von Field Recordings und Drums gespickte Ambient-Passage von Azu Tiwaline (zuletzt 2020 bei Livity Sound), die die Atmosphäre ihrer Heimat in der Wüste einfängt. Shinigami San wiederum gibt mit „Higgs” einen wilden, farbenfrohen und ausgefallenen Track ab, wie ihn wohl nur ein multidisziplinärer AV-Künstler mit einem Doktortitel in Filmwissenschaften abliefern kann.
Die übrigen 21 Stücke reichen von trippigem Minimal über Neunziger-Acid-House bis hin zu basslastigen Breakbeats. Die Bandbreite ist enorm und von hoher Qualität. Anstatt sich auf eine lokale oder genrespezifische Nische zu beschränken, wollten die beiden Kurator:innen möglichst viele verschiedene Hintergründe einbinden. Soundtrack-Produzent:innen, etablierte Musiker:innen sowie experimentelle Projekte sind allesamt vertreten.
Das Ergebnis ist eine gelungene Melange, mit Highlights wie dem gewichtigen Dub Techno von DJ Mourad oder dem verschwommen Trip-Hop von Near Stoic. So unterschiedlich die Tracks sein mögen, so gut ist ihre Qualität. Eine Chance, viele Perlen jenseits des eigenen Tellerrandes zu finden. Leopold Hutter
Running Back Mastermix –- Wild Pitch Club by Ata & nd_baumecker (Running Back)
Zu den bekanntesten Frankfurter Plätzen zählt die Konstablerwache. Dieser innerstädtische Hotspot und Drogenumschlagplatz hat es schon das eine oder andere Mal in die Popkultur geschafft. Am Platz ist seit 20 Jahren das Nachtleben ansässig, ein Ableger des aus dem Sponti-Milieu heraus entstandenen Konzertclubs Batschkapp. Im Keller des Nachtlebens befindet sich ein recht kompakter Club. Ab November 1993 war dieser Keller mit seinem sehr präsenten Soundsystem jeden Donnerstag der Ort, an dem bis 1999 die Partyreihe „Wild Pitch Club” stattfand.
Ausgedacht haben sie sich Ata und der 2017 viel zu früh verstorbene Heiko M/S/O. Die beiden waren damals in der Frankfurter Szene so gut wie überall. Ihnen gehörte der Plattenladen Delirium, sie betrieben das Label Klang Elektronik (und später Playhouse), machten in Clubwear und waren als DJs unterwegs. In den „Wild Pitch Club”-Nächten lebten sie ihren Enthusiasmus für House-Musik US-amerikanischer Prägung aus. Zunächst noch gemeinsam mit Roland Leesker, doch schon bald stieß Andy Baumecker dazu.
Zunächst tat sich gar nicht mal so viel. Im Club trafen sich an den Donnerstagen Leute, die ihr Geld nachts verdienten, ob in der Gastronomie oder als DJs. So gut sich die Rhein-Main-Szene auch repräsentierte, es sah nicht danach aus, als ob der „Wild Pitch Club” eine Zukunft hätte. Getanzt wurde zunächst wenig. Doch dann stand irgendwann Kerri Chandler auf dem Flyer. Der Laden war ab diesem Abend voll. Es kamen weitere Gäste. Larry Heard, Theo Parrish, DJ Sneak, Cajmere und viele mehr. Auch Gerd Janson machte sich immer wieder donnerstags auf den Weg nach Frankfurt.
Die neue Folge der Running–Back–Mastermix-Serie ist eine Herzensangelegenheit. Es gelang, Ata und nd_Baumecker für die Idee zu gewinnen. Und irgendwann hatte man auch für zwei Dutzend Tracks Lizenzen beisammen, was nicht so einfach war. Auf dem Wunschzettel der beiden stand so einiges, was sich nicht realisieren ließ. Aber auch ohne Masters-At-Work-Dubs oder Mood-II-Swing-Tracks ist die von Ata und Andy Baumecker zusammengestellte Compilation mit Produktionen von Ralph Falcon, Dwayne Jensen, Drivetrain, Jovonn, Benji Candelario, Louie Balo, Chris Brann und Kings Of Tomorrow ein wirklich gutes Reenactment von all dem, für das der „Wild Pitch Club” jahrelang stand.
Andy Baumecker und Ata lassen in ihrem Mix die Reise mit zwei bassigen Miami-Tracks von Ralph Falcon beginnen, völlig grandios ist der abgespeckte Garage-Banger „Every Now and Then”. Irgendwann kommt Italo-Deep-House ins Spiel, von dort aus geht’s mit dem mächtigen Stomper „The Cure” von Angel Moraes weiter. Bonus-Beats leiten über zu Vocal-Produktionen von Joi Cardwell oder Kings Of Tomorrow, bis die so zielstrebig wie tight gemixte Compilation nach über anderthalb Stunden mit Stücken von Chris Branns Wam Kidz und Tronic Pulse ausklingt. Mit sehr viel Liebe. Holger Klein
Sven Väth – What I Used To Play (Cocoon)
Im Februar des letzten Jahres hat Sven Väth mit Catharsis sein erstes Album seit nahezu 20 Jahren veröffentlicht, mit What I Used To Play folgt eine Retrospektiv-Compilation, die auf die erste Dekade seiner nunmehr über 40-jährigen und alleine deshalb schon hierzulande einzigartigen DJ-Karriere zurückblickt. Eine Playlist mit 120 Tracks habe er in Pandemiezeiten in seinem Londoner Musikzimmer zusammengestellt, um schließlich diese Anthologie von 36 Essentials, die in Form einer exklusiven 12×12-Inch-Box und einer ebenso limitierten Dreifach-CD-Edition erhältlich ist, daraus zu destillieren, lässt Väth mitteilen.
Die Rückschau auf die Ursuppe der Clubmusik fällt komplett überraschungsfrei aus: What I Used To Play versammelt nahezu ausschließlich unwidersprochen anerkannte Klassiker – von Anne Clarks „Our Darkness” bis zu Yellos „Bostich”. Sich zur Profilierung mit verfeinerter Kennermiene über eine Selection ausgefallener, obskurer Raritäten zu beugen, überlässt der 58-Jährige anderen. Mit Logic Systems „Unit” (1981), New Orders „Blue Monday” (1983) und „Your Love” (1987) von Frankie Knuckles feat. Jamie Principle sind mindestens drei Tracks enthalten, die als Conditio-sine-qua-non-Marke die Form der ihnen folgenden Entwicklungslinien in ihren maßgeblichen Umrissen vorgezeichnet haben.
Bemerkenswert ist die Mannigfaltigkeit auf Väths Achtziger-Dancefloor: Minimal und Synth-Wave haben dort ebenso einen Platz wie Hip-Hop (Whodini: „Magic’s Wand”), Electrofunk (Rocker’s Revenge mit „Walking On Sunshine”), Dub (Sly & Robbie: „Make ‘Em Move”), Electro (Liaisons Dangereuses: „Los Niños Del Parque”), Italo-Disco (Klein & MBO: „Dirty Talk”), EBM (A Split-Second, Meat Beat Manifesto), New Beat (Lhasa: „The Attic”) und Balearic („Sueño Latino”), aber auch Indie-Pop (The The: „Giant”) und Avantgarde-Legenden (The Residents: „Kaw Liga (Prairie Mix)”). Und mit Model 500s „No UFOs” (1985), A Guy Called Geralds „Voodoo Ray” (1988) und Bobby Konders „Nervous Acid” (1992) sind selbstredend auch einige Techno- und House-Meilensteine vertreten. Auch, dass er sich einst, 1986, um genau zu sein, mit 16 Bit („Where Are You?”) und Off („Electrica Salsa”) selbst in die Geschichte einschrieb, hat Väth nicht vergessen.
Des Weiteren die (für ihre Einordnung als Pop-Musik nicht unwesentliche) Tatsache, dass die Stimme noch genreübergreifend ein verbindliches, im Mix zentrales Element der Musik war. Schließlich die frappierenden Differenzen im Alterungsprozess des disparaten Materials. Monumental-Ausgabe mit fast kanonischem Anspruch – näher an Marcel Reich-Ranicki war Väth jedenfalls noch nie. Harry Schmidt