Avanciertes Bassfrequenzfurzen und Splitter-Jazz. Nein, wir reden nicht mehr von Kate NV, sondern diesmal von der in den Niederlanden lebenden Kanadierin Carmen Jaci. Die schafft auf Happy Child (Noumenal Loom, 2. März) einen regenbogenquietschbunten Reigen von brillierendem Blubbern, Glibber, Glitzern und Flittern, dessen Freigeistigkeit und Produktionsqualität einiges mit Angel Marcloid, Giant Claw, Foodman und, genau, Kate NV gemeinsam hat und an den Avatar-Pop von PC Music wie den Ultra-HD-Futurismus des Labels Orange Milk erinnert, aber doch eine ganze Schippe lieblicher und verspielter ankommt als alle Referenzen.
Direkt daran anschließen können wir die jüngste Entdeckung der tschechischen Tape-Spezialisten vom Genot Centre. Der Ungar Fausto Mercier bringt auf Misinput Tycoon (Genot Centre, 19. März) die (dis)integrierten Schaltkreise seines Laptops zum Schwingen und beinahe sogar zum Tanzen. Der Sound ist ultra-HD, was ganz spannend mit der Lo-Fi-Ästhetik des Tonträgermediums kollidiert. Glasscherben splittriger Samples, wie direkt aus Nachrichten und Pop-Mainstream des Dudelradios gezogen, finden knapp nicht zusammen zu aufgeladenen Tracks, die am Anfang selten wissen, wie sie sich gegen Ende anhören. Eine andere und erfreulich eigene Art der disruptiven Soundproduktion.
Selbst wenn uns so manch prominent tradierte Ursprungserzählung etwas anderes weismachen will, hat Ambient im heutigen Verständnis doch viele Quellen, viele Anfänge und noch mehr Entwicklungslinien. Besonders wichtig und immer noch fruchtbar ist einerseits die japanische Environmental Music der Achtziger, die aus minimalistischer Synthesizer-Monophonie und klöppelnder Percussion einen distinkten und höchst individuellen Stil gebaut hat, der bis heute inspiriert, sowie der globale Fusion Jazz der Siebziger, der als Fourth World und Weltmusik mehr oder öfter auch mal minder respektvoll die Aneignung nichtwestlicher Musiktraditionen in Ambient übersetzen wollte.
Nun, mangelnden Respekt vor fremden Traditionen kann man den heutigen Zusammen- und Weiterdenker:innen von Kankyō Ongaku und World Music definitiv nicht vorwerfen. Für einen der Dauergäste dieser Kolumne, den enigmatischen Japaner Meitei / 冥丁, gilt sogar das exakte Gegenteil: seine in Collage-Ästhetik zusammengefügten Soundscapes beziehen sich explizit und implizit auf japanische Musik- und Denktraditionen in der vollen Absicht, diese in die heutige Zeit zu übersetzen und neu verständlich lebbar zu machen. Für die EP SHITSURAI / 室礼 (Kitchen Label, 4. Februar) ist es das spezifische japanische Empfinden der Jahreszeitenwechsel, das er in karge und für ihn ungewöhnlich instrumentierte Piano-Soundscapes legt, die von Weite und Stille erzählen.