Sam Goku – Things We See When We Look Closer (Permanent Vacation)
Beim Münchner Haus Permanent Vacation pflegt man seit Alters her eigentlich eine Vorliebe für entspannte Spielarten von House, darunter gern diverse Disco-Neubelebungen, Stichwort Wolfram. Doch gab es daneben immer die ruhigeren Platten irgendwo weiter draußen, mit mehr oder weniger Beat. Den Zodiac Free Arts Club etwa, auch den entspannungsgesegneten schottischen Lord Of The Isles hatte man schon im Programm.
Wer an diese Seiten von Permanent Vacation denkt, wird sich vermutlich weniger über den Labeleinstand Sam Gokus wundern, der mit Things We See When We Look Closer sein zweites Album herausgebracht hat. Der Produzent Robin Wang, wie er bürgerlich heißt, wohnt ebenfalls in München, auf die Zusammenarbeit mag sich das positiv ausgewirkt haben. Man könnte jetzt sagen: „Ach ja, ein weiteres Downtempo-Album im Katalog.” Stimmt erst einmal. Doch Sam Goku hat einiges mehr im Angebot als ausgeschlafene Rhythmen zu abgehangenen Akkorden. Auf seiner Klangpalette finden sich Ambient, Field Recordings oder sogar Techno im herkömmlicheren Sinn. Und dann ist da noch eine weitere Seite, die wenig mit Genrekonventionen zu tun hat, dafür umso mehr mit einem Gespür für, man könnte sagen: Magie.
Und dann ist da noch eine weitere Seite, die wenig mit Genrekonventionen zu tun hat, dafür umso mehr mit einem Gespür für, man könnte sagen: Magie.
Dass Sam Goku ein chinesisch-deutscher Musiker ist, erklärt womöglich eine Vorliebe für wiederkehrende chinesische Sprachsamples, die nach öffentlichen Durchsagen klingen, oder Perkussion, die man, einer klischeegeprägten Wahrnehmung folgend oder mangels alternativer Beschreibungen, als „asiatisch” bezeichnen könnte. Bestimmte Beckenklänge, überhaupt das ganze Schlagwerk, das sich unter die im Club gebräuchlicheren Beats mischt, geben seinen Produktionen, ob sie jetzt zum Tanzen oder für weniger eindeutige Zwecke gedacht sind, einen eigenen Charakter, der zum verbindenden Element der stilistisch recht unterschiedlichen einzelnen Nummern wird. Da beginnt bei ihm die Zauberei.
Sam Goku führt alles in einem großen Fluss zusammen, der permanent in Bewegung und naturgemäß nie derselbe bleibt.
Bei der Rede von Magie besteht immer die Gefahr, dass man einer bestimmten Inszenierung, der Musik etwa, oder, bei sich selbst, Fantasien beziehungsweise Projektionen auf den Leim geht. Doch bedeutet „Magie” ja zunächst einmal nicht mehr als ein bestimmtes Vermögen, das man Worten, Handlungen oder in diesem Fall der Musik zuspricht. Was man verstehen könnte als die Kraft, einen beim Hören in andere Zustände zu versetzen. Das ist prinzipiell mit jeder Musik – gut, vielleicht mit fast jeder Musik – möglich, doch das Zusammenspiel von Geräusch, Sprache und im weitesten Sinn tribalistischen Rhythmen bei Sam Goku verleiht dem Ganzen etwas Mysteriöses, das nicht an die Wiederholung bewährter musikalischer Muster denken lässt, sondern an etwas – großes Wort – Neues. Und Sam Goku führt alles in einem großen Fluss zusammen, der permanent in Bewegung und naturgemäß nie derselbe bleibt. Im Ergebnis hört man das Album als ein zusammenhängendes Ganzes, dessen Teile wie unterschiedliche Facetten einer übergeordneten Idee wirken.
Ein bisschen mag die Klangwelt auf Things We See When We Look Closer, um einen Vergleich zu riskieren, in ihren drumcomputerfreien Momenten an die ähnlich verführerischen Synthesizer-Exerzitien des britischen Duos Téléplasmiste auf ihrem Album To Kiss Earth Goodbye erinnern. Wobei diese Herren mit ihren bemerkenswerten Kreationen vermutlich sogar magische Zwecke im engeren Verständnis verfolgen. Bei Sam Goku ist die Sache offener, ohne einen zu vermutenden esoterischen Hintergrund. Auch das ist ein großer Vorzug seiner Platte. Tim Caspar Boehme