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Wonderfruit 2022: Ein Gefühl von Verbundenheit und Dankbarkeit

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Ein internationales Festival mit Staraufgebot im elektronischen Bereich und dazu ausgesuchte Live-Musik – mitten in Südostasien in der Woche vor Weihnachten. Das seit 2014 stetig wachsende Wonderfruit vereint genau diese Qualitäten und hat sich zum veritablen Mitmischer auf dem globalen Festival-Spielfeld entwickelt.

Geschickt von Vorbildern wie dem Burning Man oder der Fusion abgeschaut, propagiert das ambitionierte Projekt im thailändischen Pattaya die Idee von einem besseren Morgen, getragen von Kunst und Musik. GROOVE-Ostasien-Korrespondent Peter Marley berichtet von dem Festival, das die regionale Szene mit Akteur:innen aus den umliegenden Ländern und global aktiven Künstler:innen vernetzt.

Der Badeort Pattaya befindet sich am nördlichen Zipfel des Golfs von Thailand, er ist etwa 100 Kilometer von Bangkok entfernt. Bis in die Sechziger war Pattaya noch ein verschlafenes Fischerdorf, heute ist die Stadt hauptsächlich für Sextourismus bekannt. Genau hier hat das Wonderfruit auf einem ausgedienten Golfplatz im Landesinneren sein Zuhause gefunden, auf mehreren Hektar hügeliger Feldlandschaft – im Wonderfruit-Sprech liebevoll „the fields” genannt.

Das Wonderfruit-Gelände: „the fields”. (Foto: Muanprae Wannasri)

Das Festival wirkt weitläufig und einladend, mit Gräsern, Wasserflächen und sogar einem Fernblick auf die Skyline Pattayas, deren gläserne Wolkenkratzer abends im Sonnenuntergang schimmern. Bei aller Weite ist das Gelände überschaubar, sobald man sich mal orientiert hat. Nie wird man darüber fluchen, dass der Lieblingsact gerade am anderen Ende der Location auflegt, Gewaltmärsche zu Unzeiten bleiben aus. Die Besucherzahlen sind im Vergleich zur letzten Ausgabe 2019 stark gestiegen, um etwa die Hälfte auf über 30.000. Bis zuletzt war unklar, ob logistisch alles glattgehen würde. Außer einigen Schlangen an Bar und WC schienen die „fields” das Mehr an Gästen aber mit Leichtigkeit zu schlucken. Selten fühlte sich ein Dancefloor zu voll an, auch die vielen kleineren Attraktionen am Rande wirkten lebendig.

Manche Gäst:innen tauchten immer wieder in die 3D-Matrix von Pattaya ein, anstatt sich komplett dem Flow des Festivals hinzugeben.

„99 hours of music” versprach das Programm – ein Durchlaufen der Musik von Donnerstag bis Montag. Tatsächlich fand meist ein Reset in den Morgenstunden statt, sodass die Party erst am späten Nachmittag zu brodeln anfing. Ein Grund: Der Großteil der Besucher:innen zeltete nicht am Festivalgelände, sondern nächtigte abseits in privat gebuchten Unterkünften. Das führte leider dazu, dass viele den Tag außerhalb des Geländes verbrachten, und so dem ehrgeizigen Tagesprogramm mit seinen vielfältigen Workshops und Talks deutlich weniger Aufmerksamkeit zugutekam.

Den Tag verbrachte man am Boden… (Foto: Wonderfruit)

Die Spannung war deshalb geringer als auf einem Festival, auf dem die Gäst:innen durchgängig campen und Tag für Tag tiefer in den gleichen energetischen Strudel geraten. Es fühlte sich eher an wie vier Tage Party in Folge, mit Hotel und Duschen dazwischen. Das mochte zwar Komfort bieten, schadete aber dem Community-Spirit, weil manche Gäst:innen immer wieder in die 3D-Matrix von Pattaya eintauchten, anstatt sich komplett dem Flow des Festivals hinzugeben.

… oder in der Bastelstunde. (Foto: Chonlathorn Lukkhanachewin)

Trotzdem war die Stimmung, gerade an den ersten beiden Abenden, bemerkenswert gut. Das Wonderfruit ist eben auch das regionale Klassentreffen aller Feierfreunde aus Südostasien. Damit konnten sich viele Cliquen das erste Mal seit Corona wieder in voller Mannschaftsstärke beim Feiern treffen. Es lag ein spürbares Gefühl von Verbundenheit und Dankbarkeit in der Luft, das an den Wochenendtagen dem Vibe einer „Party-Crowd” wich, die vielleicht nur für ein oder zwei Nächte aus Bangkok angereist und mehr auf Abfahrt als auf Gemeinschaftsgefühl aus war.

Und alle: yeah! (Foto: Muanprae Wannasri)

Musikalisch gab es mit einem diversen Angebot aus lokalen wie internationalen Bands und DJs viel zu hören. Die Ambition dieses Line-ups findet man in Asien so schnell nicht wieder. Während kleinere regionale Festivals wie Equation (Vietnam), Labyrinth (Japan) oder auch Organic (Taiwan) mehr auf Underground-House oder Techno setzen, ist beim Wonderfruit auch für unbedarfte Raver vieles dabei.

Die Crowd hatte was nachzuholen. (Foto: Muanprae Wannasri)

Das elektronische Spektrum glänzte mit Highlights wie Circle of Live, einem Trio aus Frank Wiedemann (Âme), Sebastian Mullaert und Kai Campos (Mount Kimbie), die über sechs Stunden live jammten. Dorian Concept glänzte auf der Polygon Stage, einer beeindruckenden Konstruktion aus LED-Dom und Surround-Soundsystem, für die viele Künstler:innen eigens ihr Set eingemappt hatten. Im Praxistest war davon zwar nicht viel zu hören, die Atmosphäre im von Nebel und Licht geschwängerten Inneren des Floors war trotzdem eine der intensivsten Erfahrungen des Festivals. Besonders Fans von Bachstelzen, Kater Blau und Garbicz kamen hier musikalisch auf ihre Kosten.

Der Fokus lag zwar klar auf Tanzmusik und DJs, doch erst die vielen abwechslungsreichen Konzerte ließen das Programm richtig bunt und vollständig wirken.

Die Panorama-Bar-Residents Tama Sumo und Lakuti durften gleich zweimal ran. Ein Sonnenaufgangsset auf der dafür prädestinierten Solar Stage entließ die Wachgebliebenen mit einem dicken Grinsen in den Sonntagmorgen. Am nächsten Abend gab das Dreamteam ein schweißtreibendes Set in der Forbidden Fruit zum Besten – einem nach Clubatmosphäre ausgerichteten Floor, für den eigens ein Kachelboden verlegt worden war.

Hier präsentierte die in Hanoi ansässige queere Partyreihe Snug ein regionales Showcase samt befreundeter DJs und Dragshow. Snug-Host Ouissam mischte auch beim finalen Set des Wochenendes mit; gemeinsam mit der Crew von More Rice, einem Vinyl-Label aus Bangkok, arbeiteten sich die Publikumslieblinge bei ausgelassener Stimmung bis zum Mittag durch alle Schattierungen von Disco und House. Zuvor hatte DJ Tennis mit einem wilden vierstündigen Ritt den Morgen eingeläutet.

So schmeckt die Verwunderung. (Foto: Muanprae Wannasri)

Ebenfalls im Gedächtnis bleiben das House-Feuerwerk von Nightmares on Wax, der mit souligen US-Klassikern und techy Disco-Remixen einen der größten Dancefloors des Festivals zum Beben brachte, oder das eklektische Set des britischen Producers Howie B (verantwortlich für Hits von U2, Björk oder Tricky), der am ersten Abend zwischen Funk, Trip-Hop und Techno wechselte und sichtlich Spaß daran hatte, das Publikum immer wieder aufs Neue zu überraschen.

Nicht nur DJs, sondern auch Bands aus der Region spielten auf. (Foto: Chonlathorn Lukkhanachewin)

Der Fokus lag zwar klar auf Tanzmusik und DJs, doch erst die vielen abwechslungsreichen Konzerte ließen das Programm richtig bunt und vollständig wirken. Neben kleineren Gruppen aus Indonesien, Singapur oder Japan traten auch thailändische Künstler:innen auf, die regionale Folk-Elemente mit elektronischen Produktionen mischten: etwa die Alternative-Band Venn, deren träumerischer Sound den Donnerstagabend einläutete. Das Thai-Dub-Urgestein Gap T-Bone spielte außerdem auf einer Bühne, die sich um einen alten Linienbus schlängelte und damit den Volksfesten aus der nordöstlichen Isaan-Region Thailands nachempfunden war.

Dancing on the Linienbus. (Foto: Chonlathorn Lukkhanachewin)

Trotz allem Lob will ich auch Kritik üben – zum Beispiel an der halbherzig durchdachten Öko-Umsetzung des Festivals. Zwar positioniert sich das Wonderfruit als nachhaltig und lehnt seit einigen Jahren den Gebrauch von Wegwerf-Plastik ab. Das ist zu begrüßen, zumal in Asien immer noch ein erschreckend unbewusster Umgang mit dem Material herrscht – viele Menschen hier verbrauchen am Tag an das Dutzend Becher, Tüten etc. Doch hat es einen faden Beigeschmack, wenn der vom Festival verkaufte Wonder-Cup mit fast 20 Euro zu Buche schlägt. Außerdem werden Softdrinks, Wasser und Bier weiterhin in winzigen Dosen verkauft, die wiederum Berge von Müll produzieren. Warum nicht gleich aus großen Behältnissen in den Kund:innenbecher füllen?

Viele Expats und die High Society Asiens war damit beschäftigt, die Party auf Instagram zur Schau zu stellen.

Die hochgradige Kommerzialisierung des Festivals wird aber nicht nur bei der fehlenden Nachhaltigkeit deutlich. Sie zeigt sich auch in den Getränkepreisen bis hin zum Sponsoring einzelner Bühnen. Wer erst an der Abendkasse eines der 400 Euro teuren restlichen Tickets erstanden hatte, konnte dazu gleich das Glamping-Paket mit Aircondition für 1500 Tacken buchen.

Wer konnte sich das Wonderfruit leisten? (Foto: Muanprae Wannasri)

Bei solchen Preisen stellt sich die Frage nach der Demografie des Festivals. Locals aus Pattaya können sich das Festival nicht leisten, ebenso wenig die Nachbarn aus wirtschaftlich schwächeren Regionen wie Malaysia. Dafür kamen unverhältnismäßig viele Expats und die High Society Asiens, die mehr damit beschäftigt war, die Party auf Instagram zur Schau zu stellen, als tatsächlich an ihr teilzunehmen. Eine No-Photo-Policy, wie sie das Waking Life ab nächstem Jahr durchsetzen möchte, wäre hier vollkommen undenkbar.

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