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Die Platten der Woche mit A+A, Amir Alexander, Force Placement, Move D und Rhyw

A+A – 060 (AD 93)

Während der italienische Produzent Guglielmo Barzacchini unter seinen Pseudonymen TSVI und Anunaku besonders für einen an englischen Breakbeats geschulten Sound steht, ist Avalon Emerson schwieriger zu greifen. Ähnlich wie ihre DJ-Sets kommen Emersons Produktionen oft verspielt, verspult und unberechenbar daher. Eine interessante Kombination aus Avalon und Anunaku also, die nun unter A + A auf dem Londoner Label AD 93 (vormals Whities) debütiert, wo beide bereits solo veröffentlichten.

Die simpel nach Katalognummer 060 benannte EP ist eine erfreuliche Verschmelzung beider Interessengebiete, gibt vier verschiedene Geschmäcker einer in sich geschlossenen Welt von schwebenden Synths, viel Sternen-Geblinke und bassigem Unterbau, der alles trägt. Dabei ist „Eternal September” die zugänglichste Nummer, mit Vocal-Schnipseln, blubbernder Bassline und generell einem eher zuckrigen Pop-Feeling, dabei doch dem UK-House zugewandt und durchaus Dancefloor-tauglich.

„Felice” reduziert das Reizpensum und konzentriert sich auf entgegengesetzte Paare aus schiebender Bassline und melodisch-kosmischen Synth-Schwaden, ein angenehmer Moment der Schwerelosigkeit. Darauf folgt der intensivste Track der EP; „North Star” treibt mit peitschenden Hi-Hats und unermüdlicher Kickdrum Richtung Himmel, während schwirrende Arps und die aus dem Opener bereits bekannten Vocal-Samples dem Track die Seele verleihen.

Auf dem letzten Stück „Rite At The End” wird dann zum Breakbeat gewechselt, hallende Stab-Akkorde füllen den Raum zwischen den Schlägen, und wieder sind es verschleierte, melancholisch wirkende Hauche von Stimmen, die eine dem frühen Morgen zuträgliche, verklärte Stimmung erzeugen. Vielleicht inspiriert von Biceps Hit „Glue”?

Im Fazit also eine durch die Bank überzeugende Platte, voll mit guten Tracks für jeden Anlass. Daumen hoch und gerne mehr von diesem neuen Produzententeam. Leopold Hutter

A+A – 060 (AD 93)


Amir Alexander – Love Notes To Brooklyn EP (Smallville)

Der Chicagoer Vanguard-Sound und Anunnaki-Cartel-Gründer, DJ und Musikproduzent Amir Alexander, ist seit den Zehnerjahren eine feste Größe für souligen Vocal House, ausgefeilte, psychedelisch-verhallte Deep-House-Produktionen und Chicago-Protohouse-Reminiszenzen.

Nicht nur deshalb ist es logisch, dass er seine neue 12-Inch dem 2022 verstorbenen New Yorker DJ, Autor und Love-Notes-Labelgründer Nathaniel J. Whelton widmet. Wie mit Love Notes verbindet Alexander mit dem Hamburger Label Smallville, auf dem die Platte nun erscheint, eine Vergangenheit. Sein erster Deutschland-Gig fand nämlich auf einer Smallville-Labelnacht im Hamburger Golden Pudel Club vor zehn Jahren statt.

Aber nun zur Platte: „That Feeling!” verwendet UK-Garage-artige, lethargische, heruntergepitchte männliche Vocal-Snippets, die den wirr-verspielten, paranoid-delayten Detroit-Basslauf und klassisch treibenden Jackhouse-Groove synkopisch-geshufflet entspannen. Diven-House-Fetzen fazen sich auf „The Deepness” qualvoll über tief eingefilterte Pianochords und stehlen göttlich Zeit und Raum. Um gleich danach mit dem Titeltrack melancholisch, trotzdem gut gelaunt und optimistisch von universeller Liebe in besseren Zeiten zu träumen.

Öffnet da gerade Robert Owens zusammen mit Larry Heard, Photek und Coldcut die Himmelspforte? Mirko Hecktor

Amir Alexander – Love Notes To Brooklyn EP (Smallville)

Force Placement – Aerobicide (Evar)

Heast, dreh den Bass auf! Force Placement, Producer-DJ aus L.A., haut auf Evar eine Platte raus, die einem die Raverbrille von der Schnauze klatscht. Mit Aerobicide knattern sieben Teile über den Plattenteller, die den Prüfstand für Subwoofer mit Bauchklatscher-Bässen zerlegen. Ob Force Placement die Acid-Suppe verdickt („Balloon Animals”), die Beats durchs Presswerk schickt („Upsetter”), mit Electro den Wanst der Detroit-Dandys streichelt oder dank Remix-Ratatata von Martyn Bootyspoon den Dancefloor auseinanderschraubt – Aerobicide fickt alles, jeden und vor allem deine Bluetooth-Box. Könnte man mit Bässen heizen, niemand müsste frieren!

Wer glaubt, dass der Lappen von der GROOVE nur Blödsinn labert: Checkt den „Upsetter”-Mix von DJ Manny. Was der Teklife-Typ auf seiner MPC anstellt, ist Mayhem! Übrigens: Sollte jemand aus Versehen die eigenen Speaker durchnudeln, Evar Records gewährt keine Garantie! Handle with care, aber schieb’ an, das Teil! Christoph Benkeser

Force Placement – Aerobicide (Evar)

Move D – Pandemix Live Jams Vol. 5 (Source)

Als Producer und mit seinem Label Source Records war David Moufang alias Move D Anfang der Neunziger ein Early Adopter der elektronischen Tanzmusik in Deutschland. Sein Debütalbum Kunststoff von 1995 gilt vielen als zeitloser IDM-Klassiker. Seitdem hat er sich mit einem weiteren Dutzend Alben und rund 50 EPs hinreichend etabliert.

Dass Moufang Anfang 2022 Source wiederbelebte, war – nach mehr als 15 Jahren Funkstille – dennoch eine Überraschung. Die vier bislang erschienenen Pandemix Live Jams zeigten den 56-jährigen Heidelberger auf dem Zenit seiner Gestaltungsfähigkeit. Auch mit Teil fünf der Serie dauert der kreative Hochflug an.

„Reality Benders” nimmt Trumps infantiles Statement „We want voting to stop” angesichts seiner sich abzeichnenden Wahlniederlage 2020 und schiebt noch das wirkliche Triebziel – Krieg – dazwischen. Im Vordergrund die rotierende Bassfigur, dahinter eine getriebene Hookline, das manische Ticken des Breakbeats: Weniger das Arrangement als die Beklemmung selbst spitzt sich in diesem suggestiv-hypnotischen Track bedrohlich zu.

Kontrastprogramm: Der balearische Ambient-Tune „For Pete’s 60th” mit im Stereoraum wandernden Vocals von Manuela Krause erinnert an den 2012 verstorbenen Peter Kuhlmann alias Pete Namlook. Wie Moufang ein Pionier der Chill-Out-Musik, zudem ein enger Weggefährte – 23 Duoalben erschienen allein auf Namlooks Label Fax +49-69/450464 –, vor allem aber ein von Trends und Moden ähnlich unbeeindruckter, unabhängiger Produzent. Moufangs Hommage bringt diese Geistesverwandtschaft ausgesprochen zart zum Ausdruck.

„The Boogie Lander”, der längste Track, besitzt dank einer Walking-Bassline ein gewisses Jazz-Feel und wäre vor 20 Jahren aufgrund der Kleinteiligkeit seiner Samples und Beats als Fidget-House einsortiert worden. Die Rolle, die der E-Gitarre in Moufangs Original zukommt, weist Reggie Dokes in seinem „Other Worldly Jazz Remix” dem Piano zu. Harry Schmidt

Move D – Pandemix Live Jams Vol. 5 (Source)

Rhyw – Honey Badger (Voam)

Auf Honey Badger geht es um Rhythmus. Melodien, Akkorde, gar Akkord-Kadenzen kommen so gut wie nicht vor. Und wenn doch, wie im dritten Stück „Kirkhusa”, als kurze flankierende Maßnahme, die dann trotz ihrer Schlichtheit schon regelrecht verblüfft. Huch, eine Harmonie!

Ansonsten dominieren Grooves, aber nicht in techno-housiger Landläufigkeit, also gleichförmig vor sich hin rollende, möglichst geschmeidig-kantenlose Gebilde für die reibungslose Dancefloor-Routine, sondern Konstruktionen mit Hang zum Störfeuer, zur abrupten Variation, zu Sechzehntel-Geklöppel, triolischen Break-Einlagen und weiteren neckischen Stolperfallen.

Perfekte Tracks für ein Publikum, das nicht nur wippen und schunkeln will, Musik, die natürlich immer noch mit Techno, Breakbeat, Electro und House zu tun hat, aber so dermaßen banalitätsfrei und dafür freigeistig, dass einem das Herz ins Hirn hüpfen will. Des Rezensenten Platte des Monats. Mathias Schaffhäuser

Rhyw – Honey Badger (Voam)

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