Moiré – Circuits (Avenue 66)
Sein intermedialer Ansatz ist dem seit rund einem Jahrzehnt unter dem Namen Moiré aktiven anonymen Produzenten schon in den Namen eingeschrieben: Als Moiré-Effekt wird die Musterbildung bezeichnet, die sich aus der Überlagerung zweier Raster ergibt. Dass just dieser Effekt auch in der Musik Verwendung finden kann, bewies dereinst schon Jan Jelinek auf Loop-Finding-Jazz-Records, und auch der Künstler mit Sitz in London hat in der Vergangenheit auf Alben für Actress’ Werk Discs, Ghostly International und Hypercolour immer wieder mit der Überlappung verschiedener Klangtexturen und Rhythmen gespielt.
Auf Circuits, seinem Debüt für das Berliner Acid-Test-Sublabel Avenue 66 mit Fokus auf ambientere oder abenteuerliche Ansätze von Clubkultur, verschränkt er nun visuelle und auditive Erfahrung noch enger miteinander: Zusätzlich zu der LP mit acht Stücken soll eine App mit dem Namen Circuits Scanner gelauncht werden, die laut Pressetext „eine Brücke zwischen der physischen, greifbaren Welt der Objekte und der abstrakten Realität von Sound und Sichtbarem” bilden wird. Das klingt allemal, ja, abstrakt, und bei Veröffentlichung des Albums war die App in keinem der einschlägigen Stores erhältlich. Schlicht noch nicht fertig? Ein Fall von Vaporware? Ein bewusster Metakommentar auf optische Illusionsbildung und übersteigerten Tech-Enthusiasmus? Ein Conceptronica-Diss?
Alles läuft seinen eigenen Rastern entsprechend im Alleingang durch den Mix, ergibt aber als Summe aller Einzelteile etwas Größeres: Raum.
Was auch immer der Fall sein mag: Die auf ganz altmodisches Vinyl gepresste Musik funktioniert auch unabhängig jeglicher Augmented-Reality-Hilfsmittel. Die nicht konsequent durchnummerierten Tracks – auf „Circuit 1” und „Circuit 2” folgt „Circuit 15” und so weiter – sind weiterhin dem Prinzip verpflichtet, das Moiré seinen Namen lieh. Schon im Opener zeigt sich das, bringt er über einer stoisch tapsenden Kickdrum eine Vielzahl einander überlappender, aber doch diskret für sich existerender Elemente zusammen. Eine Art Gitarrenlick, eine synkopierte Hi-Hat, ein thereminartiges Säuseln im Hintergrund, etwas, das wie eine traurige Trompete klingt – das alles läuft seinen eigenen Rastern entsprechend im Alleingang durch den Mix, ergibt aber als Summe aller Einzelteile etwas Größeres: Raum.
Vocal-Samples als Echoeffekte von Peak-Time-House gespenstern über diesen Mix – Hauntology.
Das Verfahren einerseits, die immer halborganische Klangqualität andererseits erinnert bisweilen deutlich an die Jazz-versampleten Etüden eines Jan Jelinek und die sabschige Deepness des Labelmates Lowtec, doch entwickelt Moiré eine eigene Klangsprache aus den Versatzstücken von Ambient, elektronischem Jazz, IDM und Slo-Mo-Deep-House, derer er sich bedient. Was auch daran liegt, dass er sie eben nicht ineinandergreifen, sondern nebeneinander schwingen lässt. „Circuit 2” erinnert mit seinen Streicher-Samples fast an eine Neuauflage von „Deep Burnt”, lässt sie aber über einem stoischen, komplexen Beat von Synthie-Klangflächen absorbieren.
„Circuit 8” zieht trancige Melodien durch Filter, während darunter eine Kickdrum hämmert, weit entfernt und doch dringlich. Ein Breakdown unterbricht diesen maschinenartigen Flow für mehr als eine Minute, dann scheinen die Synth-Lines langsam kaputt zu gehen wie die Disintegration Loops eines William Basinski. Vocal-Samples als Echoeffekte von Peak-Time-House gespenstern über diesen Mix – Hauntology. Das ist ein Beispiel dafür, wie Moiré durch seinen Ansatz nicht nur das Disparate miteinander in Schwung bringt, sondern genauso die emotionalen Qualitäten von Dance Music unter anderen Vorzeichen nochmal neu definiert, Euphorie und Unheimliches als Spiegel(-zerr-)bilder voneinander inszeniert Die titelgebenden Circuits der Genres, sie werden überbrückt, um neue Querverbindungen zu schaffen, ungenutzte Energiepotenziale freizulegen.
Egal also, ob die App Circuits Scanner noch irgendwann erhältlich und im alltäglichen Leben als Brücke zwischen Realität und klanglicher Fiktion, dem Sichtbaren und Sound genutzt werden kann: Das Album bietet genau das schon für sich, indem es das Medium der Musik mittels seiner Einzelteile neu denkt, indem es räumliche Perspektiven auf eine Kunstform bietet, die primär mit Zeit assoziiert wird. Eine Platte, in der es sich verlieren lässt.