Jodey Kendrick – Village of the Damn Fine (Clone Dub)

Jodey Kendrick – Village of the Damn Fine

Es wird unheimlich. Wer den Mut besitzt, Jodey Kendrick auf seiner Reise nach Bedforeshire zu begleiten, sollte sich auf diesiges Wetter, dichten Nebel und graue Sumpflandschaften einstellen. Village Of The Damn Fine könnte auch als musikalischer Score zur Unendlichen Geschichte von Michael Ende herhalten. Wer sich noch daran erinnert, wie Atréju seinen Schimmel Artax in den Sümpfen der Traurigkeit verliert: Solch surreale Erfahrungen werden von Kendrick durch gewollt verstimmte Synthesizer-Parts reproduziert.

Mutant Beat Dance hätte genau dieser subtile Horror und Thrill bei ihrem letzten Album gut zu Gesicht gestanden, aber das ist eine andere Geschichte. Würde hierzu noch eine Roland 707 den Takt angeben, könnte man auch vom gefährlichsten Chicago-Albtraum-House seit langem berichten. Stattdessen setzt Jodey Kendrick auf metallische Drums und industrielles Rattern. Das wirkt hier aber schlüssig und interessant und nicht wie eine hippe Modeerscheinung. Besonders die Stücke „Combe Hill Monument” und „Kensworth Quarry Yomp” profitieren von Kendricks Beat-Expertise.

Wem das alles zu extravagant ist, kann man übrigens versichern, dass es auch noch gehörig knallt. Wer nämlich das sphärische Intro von „Wrest Park Dark Grove Find” überlebt, wird von einer massiven Kick zurück zu Artax in den Sumpf geworfen. Zusammen mit ihm und einer angedeuteten Didgeridoo unterzugehen und ganz nebenbei noch ein Kindheitstrauma aufzuarbeiten, ist großes Musik-Kino aus dem Norden Englands. Andreas Cevatli

Kaitlyn Aurelia Smith – Let’s Turn It Into Sound (Ghostly)

Kaitlyn Aurelia Smith – Let’s Turn It Into Sound

Etwa ein Jahrzehnt schon macht die in Los Angeles ansässige Künstlerin Kaitlyn Aurelia Smith synthesizerbasierte Musik, nachdem sie zuvor Teil des Indie-Folk-Duos Ever Isles war. Dessen musikalische Einschläge sind auch auf Let’s Turn It Into Sound noch zu hören, etwa wenn Smiths Stimme den Opener „Have You Felt Lately” einläutet. Später im Song wird jedoch klar, dass hier andere Klänge den Ton angeben werden, und zwar die schräger Synths und bearbeiteter Vocals. Eine für Smith neue Technik, mit der sie in den zwölf Tracks ihre eigenen Gefühle verarbeitet: „Das Album ist ein Puzzle, ein Symbol für einen Verbund von Gefühlen (…) und die Songtitel sind die Anleitung, wie man diese Gefühle auseinandernimmt, um sie zu verstehen”, erklärt die Künstlerin dazu.

Nachdem ihre bisherigen Alben stark auf Synthesizer-Sounds fußten, maßgeblich dem ikonischen Buchla, und sich Smith als Meisterin dieses Instruments hervorgetan hatte, stehen auf Let’s Turn It Into Sound deutlich mehr ihre Stimme, aber auch neue, komplexe Beats im Vordergrund. Dabei ist man immer wieder an die folkige Ader und Indie-Acts wie etwa Animal Collective erinnert, gleichzeitig hört sich Smiths neuer Sound aber auch avantgarde-poppig an, was bei ihrem aktuellen Label Ghostly International ohnehin zum guten Ton gehört.

Auf dem nunmehr elften Studioalbum Smiths, dem bereits dritten für Ghostly, mischen sich also nicht nur alte Einflüsse und neue Ideen am Synthesizer, sondern gerade die durch das Stereo-Bild wandernden Stimm-Collagen. Diese klingen durch Effekte zwar stark verfremdet, verlieren dabei aber nicht ihren organischen Charakter an die Plastizität, wie bei anderen aktuellen Pop-Acts oft der Fall, sondern bleiben weich und beschwingt, werden umkoloriert und mit Synth-Melodien unterfüttert, mit deren Hilfe sie zum dominanten Instrument werden.

Die dazu gereichten IDM-inspirierten Beats sind eine weitere angenehme Überraschung: immer wieder werden die soften Balladen mit beatgetriebenen Frickel-Einlagen eingeläutet, unterbrochen oder angereichert. Eine ebenso willkommene wie unerwartete Addition zu Smiths Chor aus Stimmen und Synths und der Beweis, dass sie mehr kann, ist und will, als nur am Buchla zu überzeugen. Dieser gelungene Mix aus farbenfrohen Beat-Basteleien, atmosphärischen Melodien und dem experimentellen Sound-Design rund um ihre eigene Stimme hebt Smiths Werk auf eine neue Stufe. Dass es dort gleichzeitig poppiger und weirder denn je klingt, ist ein erstaunlich kurzweiliges Kunststück. Leopold Hutter

MCR-T – My Voice My Weapon of Choice (Live From Earth)

MCR-T

„I Am The Damager” startet ambient. Bis MCR-T vom Live-From-Earth-Kollektiv Faithless’ 90s-Pop-House-Hit „Insomnia” an die Wand battlet. Natürlich schwingt im Titel in erster Linie auch Wildchilds „Renegade Master” mit, dessen unzählige Bootleg-Remixe als UK-Breakbeat-Versionen und vor allem das Happy-Hardcore-Genre mit. Viele 1990s-US-UK-Bedroom-Producer:innen, die MCR-T mit seinem neuen Digitalalbum My Voice My Weapon of Choice imitiert, verwendeten oft nur ein einziges, jedoch stilprägendes Produktionstool.

Die AKAI MPC 3000 bzw. 2000 war ein früher erschwinglicher Sampler im Wandel der Demokratisierung der Produktionsmittel. Weder der Pitch auf MCR-Ts Stimme noch die Synths klingen jedoch nach der Pad-Transponierung des 90s-Samplers. Je höher transponiert wurde, desto kürzer wurde das Sample. Dadurch entstanden in sich gedehnte und/oder abgehackte Grooves. MCR-Ts Sound entbehrt dieses Stilmittel, das den ursprünglichen chaotischen Wahnsinn und leicht kaputten Underground-Dirt in den Ravesound brachte. Dennoch ist das Album in seiner Reminiszenz-Vielfalt interessant und stringent.

Der Titeltrack verliert sich historisch gesehen schön in vergessenen Mittneunziger-Ministry-of-Sound-Compilations, „10F1” shoppt bei Hithouses „Jack to the Sound of the Underground”, bricht den Vibe aber ganz gut mit DJ Assaults oder DJ 3000s Booty Bass, der wiederum auf galante Art im Trap der Zehnerjahre landet. „Fancy feat. Catlaine” hält sich an Technotronics „Pump Up The Jam”, Strictly-Rhythm-NYC-Keys und Mainstream-Garage-Pop fest. „Westberlin Bass” hat etwas wenig Druck für Miami Bass. Ironie? „Ätzend” ist ein Cover des 80s-NDW-Hits „Codo” von Deutsch-Österreichisches Feingefühl. Die sangen damals „Hässlich”. „Wenn der Mond in mein Herz kracht” schraubt beherzt beim Deutsch-Wave die Acidline weiter. „Think Of Me“ liegt zwischen Ghost Town DJ’s, eingefiltertem TLC-R’n’B und 90s-Westcoast. Und „Make Ends Meet” ist UK-Garage-Trap. Da macht es Sinn, dass „Gangster Garage Cypher” bei Todd Edwards’ Speed Garage shoppt. Mit „IDC Bout What You Think” kommt dann Zeitgeist-Rotterdam-Gabba – Musikwissenschaftler:innen-Spätmoderne-Verweisparty-approved! Mirko Hecktor

Nite Fleit – Day Fleit / Nite Fleit (Steel City Dance)

Nitefleit

An Nite Fleit führt in letzter Zeit kein Weg vorbei. Die in London residierende DJ und Produzentin serviert einen gelungenen Mix nach dem anderen und spielt sich so an die Spitze jeder gediegenen Electro-Schunkelei und EDM-Zerpflückung.

Auf ihrem neuesten Album Nite Fleit / Day Fleit führt sie jetzt ihre zwei Alter Egos zusammen. Day Fleit sei „wie ein closing Track”, verriet sie uns noch im Interview, Nite Fleit fokussiert sich hingegen auf den Moment, wenn Sodom und Gomorrha im Club herrschen. Das Konzept klingt kohärent, zumindest auf dem Papier ergibt es noch Sinn.

Man kann nicht bemängeln, dass diese Veröffentlichung nur rhapsodisch zusammengetragene Puzzleteile wären, die sich dann nicht ineinander fügen würden. Nur ist das Album wie gemacht für eine junge Generation, die während des Gigs mal schnell den Höhepunkt für Instagram festhalten will. Der Musik fehlt es an Tiefgang und Vielschichtigkeit. Die ausufernde Direktheit der Basssequenzen, Snares und Kickdrums holen mit großem Wohlwollen am Anfang vielleicht noch ab, das funktioniert aber auf EP-Format wesentlich besser.

Besonders klar wird das bei der Kollaboration mit Partiboi69, der für „The Flower Dance” eine Rede von Allan Watts rezitiert. Es gewittert heftig, das verzerrte Bassstakatto führt zum vorschnellen Höhepunkt hin – epochal soll es sein –, lässt stattdessen aber unbefriedigt zurück. Wenn die musikalische Nebelmaschine sich dann endlich ausgekotzt hat, werden das nur wenige nochmal hören wollen. Nicht ohne Grund halten sich viele Produzent:innen mit Alben in jungen Jahren eher bedeckt. Aber durch zweifelsfrei vorhandenes Talent an den Decks kann eine positive Entwicklung als Produzentin ja noch folgen. Andreas Cevatli

Patrick Holland – You’re the Boss (Sinderlyn)

Patrick Holland

Der kanadische Produzent und Labelbetreiber Patrick Holland hat eine Vorliebe für ruhige Gangarten. Als Project Pablo hat er unter anderem sehr entspannten Deep-House herausgebracht. Unter eigenem Namen überträgt er diese Haltung aufs Songformat, was in Popsongs mittleren Tempos resultiert. Yacht Rock der geradlinigeren Art, wenn man so will.

Gepflegt gezupfte Gitarren gehen dabei mit gediegenen Synthesizersounds einher. Vom Handwerklichen her gesehen ist die Sache ohne Tadel. Auch Hollands Gesang, vereinzelt unterstützt von Kolleg:innen wie Jane Penny von der Band TOPS oder Adam Byczkowski alias Better Person fügt sich mit seinem leicht heiseren Säuseln vorbildlich in die Landschaft. Einer bestimmten Doktrin nach gehört es ja zu einem guten Pop-Album, dass sich alle Songs gleich anhören müssen. Die Bedingung erfüllt You’re the Boss zwar, doch gibt es bei der konstant gleichbleibenden Betriebstemperatur andererseits kaum Ausreißer nach oben. Ganz große Euphorie kommt da nicht auf. Vermutlich will Holland die ohnehin nicht provozieren. Tim Caspar Boehme

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