GALA Festival London (Foto: Justine Trickett)

Ein Festival mit 30.000 Besucher*innen an drei Tagen und doch Nachbarschaftsatmosphäre und eine massive Repräsentanz der lokalen Szene Süd-Londons – das klingt wie Gleichung, die unmöglich aufgehen kann. Und doch gelingt GALA genau dieser Spagat. Anfang Juni ging im Süd-Londoner Peckham Rye Park GALA in seine sechste Runde. Ein Festival ohne Bühnenkitsch, Konfettikanonen, Sponsoring-Wahnsinn und Bar 25-Budenzauber. Man gönnte sich auch dieses Jahr wieder die Freiheit, auf Techno-Floors einfach zu verzichten. Der Fokus von GALA liegt auf House und Disco, daneben bleibt Platz für Jungle, Rave-Sounds, Jazz oder Bands wie Little Dragon.


Der Termin für GALA lag in diesem Jahr günstig. Die Queen feierte ihr Platin-Kronjubiläum, vom 2. bis zum 5. Juni war in Großbritannien Feiertag. Am Donnerstagmorgen auf dem Weg vom Flughafen ins Hotel schlief die Stadt noch. Alle Läden waren geschlossen, Cafés und Takeaways ebenso. In den Schaufenstern hing beinahe überall der Union Jack. Die Straßen waren für die große Parade geschmückt. Gegen Mittag war die Tube dann wieder voll. 

Kampfjets donnerten über die Stadt und malten die britischen Nationalfarben auf den strahlend blauen Himmel. Wo auch immer man sich in diesen Tagen in London bewegte, überall war etwas los. Straßen waren für Soundsystems gesperrt, Samba-Gruppen kreuzten den Weg.

Eine Fleischerei in Peckham (Foto: Holger Klein)

Peckham liegt tief im Londoner Süden. Im Jahr 1981 war Peckham wie das nicht weit entfernte Brixton und viele andere Orte in ganz England Schauplatz von heftigen Ausschreitungen zwischen der schwarzen Bevölkerung und der Polizei. Autos und Barrikaden brannten, Geschäfte wurden geplündert. Hintergrund: Die Thatcher-Regierung ging mit Durchsuchungen und anderen Schikanen gegen die schwarze Bevölkerung vor. Noch vor zehn Jahren galt Peckham für viele als eine Gegend, in die man sich besser nicht verirren sollte. Dieses Bild hat sich gewandelt. 

Schon länger veranstaltet Bradley Zero seine Rhythm Section-Partys in Peckham. Mit Rye Wax gibt’s einen wirklich guten Plattenladen. Zwischen dutzenden von Lebensmittelläden mit Stockfisch und Okra, Marktständen, Restaurants oder Friseursalons für die afrokaribische Community findet man auch Bioläden. Dennoch hat Peckham, anders als viele andere Ecken Londons, seine Identität bewahrt. Aus jedem zweiten Geschäft schallt Reggae auf die Straße. An einer Straßenecke ein Jerk-Chicken-Stand mit DJ und Soundsystem. Irgendwie lebt hier noch das London, das anderswo in Bedrängnis geraten ist. Doch wer nach Peckham will, muss den Zug nehmen. Einen U-Bahn-Anschluss gibt es hier nicht.

GALA Festival 2022 (Foto: Frankie Casillo)

Vom viktorianischen Bahnhof Peckham Rye mit all seiner verfallenen Patina kommend, muss man noch anderthalb Kilometer zu Fuß oder mit dem Bus zurücklegen, wenn man zum Peckham Rye Park möchte. In dieser ziemlich großen Parkanlage, die sogar einen japanischen Garten aufweisen kann, findet seit 2017 das GALA-Festival statt. Das Debüt feierten die Veranstalter Giles Napier und Jony Edwards, die sich an der Universität von Newcastle kennenlernten, im Jahr zuvor noch ein bisschen weiter westlich im Brockwell Park. Zunächst war das Festival nur eintägig, dann ging es über zwei Tage. Inzwischen sind es drei. Los geht’s immer schon mittags, abends um halb elf ist Schluss. 

Die Sonne scheint, die Stimmung steigt (Foto: Rob Jones)

Auf dem weitläufigen Festivalgelände, das wie gemacht ist für Menschen, die sich nicht gerne im Sardinenschwarm bewegen, sind Strohballen ausgelegt. Um von der Hauptbühne bis zur Beacons Stage gelangen, diese Bühne wurde von dem mit einem Turner Prize dekorierten Architekten Joe Halligan gestaltet, muss man schon eine ganze Weile über den leicht hügeligen Rasen gehen. Lokales Essen, lokale Drinks, so lautet das Motto der Veranstalter. Die kleinen Streetfood-Stände bieten eine Menge vegetarische und vegane Auswahl. Neben dem Bier einer lokalen Brauerei gibt es aber vor allen Dingen das japanische Asahi Super Dry. 

Wer Wein möchte, bekommt eine Dose in die Hand gedrückt. Nice steht immerhin drauf. Okay, wir sind nicht in Frankreich. Ein Pfandbechersystem gibt es für gezapftes Bier oder Longdrinks, ansonsten regieren Dosen – was aus deutscher Perspektive alleine wegen der anfallenden Müllmengen etwas gewöhnungsbedürftig ist. Wer wollte, konnte den Müll aber brav trennen.

Jungle bretterte nicht nur aus den Lautsprechern. Er wuchs auch auf den Floors. (Foto: Justine Trickett)

Bemerkenswert angenehm, entspannt und in vielerlei Hinsicht divers ist das GALA-Publikum, auch von der Altersstruktur her. Festivaltourist*innen sucht man vergeblich. Natürlich können die Veranstalter in der Urbanität Süd-Londons keinen Campingplatz anbieten. Kaum jemand scheint überdosiert gewesen zu sein, egal ob Alkohol oder Substanzen. Donnerstags ist die Hauptbühne noch Bands wie Little Dragon, KOKOROKO oder dem Neo-Soul-Ensemble Children of Zeus vorbehalten. Ein zweiter kleiner Schwerpunkt am ersten Tag sind Jungle-Sounds. 

Auf der kleinen Patio-Stage spielt der Acid-House-Pionier A Guy Called Gerald ein Old School-Breakbeat- und Hardcore-Set. Ein paar Schritte nebenan im Pleasure Dome-Zelt ging es mit Nia Archives weiter. Die Neo-Jungle-Produzentin schüttete tonnenweise gute Vibes aus. Die sowieso sehr freundliche Security strahlt übers ganze Gesicht und steppt wie das prall gefüllte Zelt zu Amen-Breaks. No let-up … Goldie übernahm die Decks.

Tonnenweise gute Vibes dank Amen-Breaks (Foto: Frankie Casillo)

Die Londoner Drum & Bass-Institution stand vor einem Vierteljahrhundert nicht unbedingt im Ruf, ein großer DJ gewesen zu sein. Doch auf dem GALA-Festival brennt ein bestens gelaunter Goldie ein Feuerwerk aus Klassikern und neuen Tunes ab, bei maximalem Energielevel. Sein letzter Track ist auch der letzte des ersten GALA-Tages. Währenddessen sorgt auf der Beacons-Bühne die UK-Jazz-Band Sons of Kemet um den Saxophonisten Shabaka Hutchings für ein weiteres Highlight. Überhaupt ist viel los zum Ausklang. So ist auch das in keinerlei Kategorie einzuordnende Set der Londonerin Josey Rebelle, die sich über Rinse FM einen Namen gemacht hat, schlicht großartig.

Bestimmen am Donnerstag noch fast ausschließlich Londoner Acts und DJs das Geschehen, ist der Freitag internationaler geprägt. Auffällig viele deutsche DJs sind gebucht. Die Berlinerin Tereza spielt bereits am frühen Nachmittag auf der Beacons-Stage. Sie übergab dann an Gilles Peterson. Damiano von Erckert durfte auf der Hauptbühne ran. Auf ihn folgt Move D mit einem noch klassischeren House-Set. Die Wiese vor der großen Bühne ist inzwischen gut gefüllt. Viele zogen direkt weiter zu Gerd Janson.

Immer lauter, immer voller – der Open-Air-Floor (Foto: Garry Jones)

Der eigentlich gar nicht so große Open Air-Floor vor der bemerkenswert schön gestalteten Patio-Stage wird im Verlauf seines Zwei-Stunden-Sets voller und voller. Kurz vor zehn sorgt der vielgebuchte Routinier aus dem Süden Hessens für den vielleicht schönsten Moment der diesjährigen GALA-Ausgabe: Auf den Fleetwood Mac-Klassiker „Dreams folgt ein Edit des Crystal Waters-Hits „Gypsy Woman”. Die Crowd singt mit und strahlt und strahlt. All das geschieht zum Leidwesen von DJ Harvey, ein Mann mit Legenden-Status, aber genau der lastete auf der großen Bühne vielleicht ein bisschen zu schwer auf seinen Schultern. 

Harvey darf, während alle anderen Floors bereits geschlossen waren, noch eine halbe Stunde länger auflegen und das große Finale des zweiten GALA-Tages gestalten. Am Schluss seines Sets entern die mit paradiesischen Flügeln kostümierten GALA-Tänzer*innen die Bühne. Harvey spielt den Charles Vaughan-Remix des phillyesken Disco-Klassikers „Got to Keep on the Move” von Sound Exchange. Alle machten sich locker, nur Harvey bleibt angespannt. Die GALA-Tanz-Crew hatte eine paar Stunden zuvor einen schon einen Auftritt, und zwar im Pleasure Dome-Zelt, das über die gesamte Festival-Distanz betrachtet neben dem Patio-Floor der Gewinner ist. Shanti Celeste legt auf, wie oft auf Festivals barfüßig. 

Crocs an den Füßen, Drinks in der Hand (Foto: Justine Trickett)

Im Gepäck hat die Wahl-Londonerin aus Chile jede Menge Rave-Classics aus den Neunzigern. Mit am Feiern war wieder die Security-Crew. Außerdem toll auf der Patio-Bühne: das Live-Set des japanischen House-Pioniers Soichi Terada, den Antal von Rush Hour mitbringt.

Der Samstag ist schließlich, sieht man mal von der leftfieldigeren, von Bradley Zeros Rhythm Section-Crew kuratierten Beacons-Bühne mit Sets von Paula Tape oder den Pender Street Steppers ab, von hauptsächlich sehr klassischem House und Disco dominiert. Homoelectric, Horse Meat Disco oder Tama Sumo im Pleasure Dome-Zelt, Jeremy Underground, Marcellus Pittman oder die Boogie Legende Leroy Burgess auf der Hauptbühne. Außerdem Roman Flügel oder DJ Tennis auf dem Patio Floor. Darüber hinaus gibt es auch noch das immer wieder überraschende Neighbourhood-Zelt, das speziell Leuten aus dem Londoner Süden eine Bühne bietet. 

Am dritten und letzten GALA-Tag sorgte dort der örtliche Rye-Wax-Plattenladen für das Programm. Doch die Beine waren müde und der Gedanke an ein Abendessen auf der Rye Lane war dann doch eine zu große Versuchung. Zeit sich zu verabschieden, ein letzter Handshake mit dem immer gut gelaunten Bouncer am Artist-Eingang. „Hey, spinnst du, du kannst doch jetzt noch nicht gehen”, ruft der mir hinterher. „Klar kann ich das. Wir sehen uns im nächsten Jahr.”

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