Das Autor:innenteam mit Sven Väth (Foto: W. Jägersberg)
Die ARD-Serie Techno House Deutschland nimmt in acht haltstündigen Folgen die deutsche Technoszene unter die Lupe. Wir haben Wero Jägersberg gesprochen, die zusammen mit Mariska Lief für den Hessischen Rundfunk die ersten vier Folgen schrieb und produzierte. Techno House Deutschland ist eine Co-Produktion verschiedener ARD-Stationen, sie wird ab dem 31.7. in ganzer Länge im Ersten ausgestrahlt und ist ab heute in der ARD Mediathek on demand verfügbar. Im Interview erfahrt ihr, wie es zu der Produktion kam, warum gerade die Pandemie der richtige Zeitpunkt ist über das Nachtleben zu sinnieren und ob Techno tatsächlich ein deutsches Kulturgut ist.
Techno House Deutschland widmet sich der Bedeutung Deutschlands für die elektronische Musikkultur – und umgekehrt auch der Bedeutung der elektronischen Musik für das Deutschland der letzten 30 Jahre. Warum genau jetzt?
Die Serie war nicht von langer Hand geplant. Wir [der hessische Rundfunk, d. Red.] und die anderen Anstalten [SWR, MDR, RBB, die Red.] kamen irgendwann zueinander, alle hatten für sich bereits einzelne Ideen. Mariska [Lief, Co-Autorin, d.Red.] und ich haben vergangenes Jahr bereits eine erfolgreiche Hip-Hop-Serie im ähnlichen Format fürs Web produziert, von allen Seiten kam dann die Frage: Was als nächstes? Warum nicht Techno? Vom Zeitpunkt her war das natürlich nicht perfekt – die Clubs hatten schließlich geschlossen. Es herrschte ja Stillstand als wir angefangen haben zu recherchieren. Für die Aufnahmen mussten wir DJs in die Schweiz begleiten, in Deutschland war ja noch alles zu.
Ihr habt mitten in der Pandemie begonnen, als Tanzmusik – jedenfalls im Club – eigentlich überhaupt kein Thema war für die meisten.
Als Clubkultur nicht. Allerdings: Wir haben uns ja auch die Historie vorgenommen, und das sind bei Techno, House und deren Vorläufern in Deutschland 40 Jahre. Gerade die Pandemie war dann ein guter Startpunkt für die Reflektion. Wir hatten gehofft: Wenn wir fertig sind und rauskommen, dann blüht das Ganze wieder auf.
Aber wie kam denn das Projekt an sich, diese Co-Produktion von verschiedenen Sendeanstalten, zu Stande?
Bei den anderen Sendern waren die Interessen ähnlich gelagert wie bei uns. Jeder hatte so ein bisschen darauf gehofft, dass Clubs und elektronische Musik bald wiederkommen. Und genau in diesem Zeitpunkt konnte mal innehalten und begreifen: Das ist einfach ein Kulturgut.
Und wie wichtig das eigentlich ist, das merkt man erst jetzt, als es uns weggenommen, ich sage mal ketzerisch entrissen, wurde. Was für eine Kultur, was für ein Kulturgut das ist, das haben viele erst in dieser Situation begriffen. Die Kolleg:innen vom SWR haben dann die Nature One genauer angeschaut – ein großes Festival, das so viele Jahre überdauert hat, das jetzt mit der Pandemie konfrontiert wird. Der MDR war auch angetan von der Idee, weil sie ohnehin genau zu dem Zeitpunkt den Impuls anschauen wollten, den Techno und House speziell im Osten, nach der Wende, gegeben hat. Welche Kraft von dieser Musik ausgegangen ist – und das sind ja jetzt auch mehr als 30 Jahre. Das sind einfach alles Meilensteine, und in der Pandemie hat man bemerkt, wie wichtig es ist, da mal den Strahler draufzuhalten.
Wie seid ihr dann vorgegangen?
Bei uns, bei Teil 1 bis 4, war es so, dass wir ursprünglich von Frankfurt ausgingen, das Ganze zog sich dann weiter nach Berlin. Es gibt einfach diese Meilensteine, auch als Clubs. In Frankfurt derzeit das Robert Johnson, das Omen früher. Und natürlich gibt es die legendären Clubs in Berlin, in jeder großen Stadt. Es gibt einfach diese Orte, die die Entstehung von Techno und House in Deutschland maßgeblich beeinflusst, vorangetrieben haben. Die einfach Tempel waren. Viele von denen existieren nicht mehr viele, zum Teil stehen nicht mal mehr die Gebäude. Aber auch heute gibt es diese Orte, Clubs, die eine unglaubliche Strahlkraft haben, auch international. Wo Leute einfach hinfliegen, um zu feiern. Wo DJs immer wieder zurückkehren. Das ist zum Beispiel das Robert Johnson in Offenbach – oder das Berghain – der Lieblingsclub aller.
Habt ihr da mit jemandem gesprochen?
Nein, da bleibt sich das Berghain treu. Dafür haben wir zwei junge Designer der Marke Nakt gesprochen, deren Kleidung ist inspiriert vom Berghain. Und wir haben davor gedreht, die Schlangen.
Wie wurden Künstler:innen, DJs, Produzent:innen ausgewählt?
Wir haben eine lange Liste gehabt – übrigens nicht nur DJs, auch andere Akteur:innen, Booker:innen, Club-Betreiber:innen. Wichtig war uns eine hohe Anzahl an Frauen. Die Erfahrung ist, dass die Herren, gerade in der Presse, überrepräsentiert werden. Und das muss nicht sein. Laut female:pressure liegt der Anteil an weiblichen Acts auf Festival derzeit immerhin bei 28%. Gerne hätten wir die Doku paritätisch besetzt. Ansonsten sind wir eher nach Themenfeldern gegangen, wir haben nicht nach Köpfen geguckt. Wir wollen die Geschichte des Omen erzählen – wer kann uns die Geschichte des Omen erzählen? Wir wollten die Geschichte von Detroit erzählen – wer könnte uns das erzählen? Und wir wollten zeigen, dass sich Techno und House in Deutschland sich aus vielen Zuströmen speisten. Industrial, EBM aus Belgien oder UK. Techno aus Detroit. Diese Dinge wurden nicht in Deutschland geboren, wie gerne auch kolportiert wird. Dabei lagen die Hochburgen definitiv auch in Deutschland, in Berlin oder Frankfurt.
Detroit – gutes Stichwort. Der Titel der Serie und auch die Frage, ob Techno nun ein deutsches Kulturgut sei, klingt sehr, nunja, deutschlandlastig. Du hast es selber angesprochen: Die eigentlichen Wurzeln der Musik liegen in Nordamerika, in Chicago und Detroit. Wie schafft es die Dokumentation, diese historische Realität einzubinden?
Vor allem haben wir mit Menschen gesprochen. Mit Alan Oldham (DJ T-1000, die Red.), mit Dimitri Hegemann, mit Sven Väth. Auch Monika Kruse, oder Anja Schneider. Und alle waren inspiriert von den Einflüssen aus den USA, und sie erzählen darüber. Interessanterweise sagt aber Alan, dass Jugendlichen in den USA und selbst seinen Cousins nicht bewusst ist, dass Techno Schwarze Wurzeln hat. Gerd Janson formuliert es in der Doku so: Das größte Manko von Techno und House ist, dass es dort entstanden ist, aber erst hier, in Deutschland auf wirklich fruchtbaren Boden gefallen ist. Es hat hier Massen angezogen, wurde hier weiterentwickelt. Im Grunde ist es aber auch schwierig zu sagen, wer es erfunden hat. Beeinflussungen gab es immer, schon in den 80ern, etwa als Afrika Bambaataa in New York Kraftwerk gesamplet hat. Wir haben da gar nicht erst versucht, den Startpunkt, die absolute Wahrheit herausschälen. Über die Interviews und Gespräche, die wir geführt haben, erklärt sich vieles selbst. Alan Oldham sagt unmissverständlich: Leider ist es bislang im Whitewashing geendet, die Allermeisten kennen die Wurzeln nicht. Auch Sven Väth appeliert ganz am Ende der Doku: die Leute sollten sich damit wirklich mehr auseinandersetzen.
Aber kann man dann noch sagen, dass Techno ein deutsches Kulturgut ist?
Ich glaube es ist ein globales, und es war schon sehr früh ein globales Kulturgut. Mit dem Titel Techno House Deutschland versuchen wir gar nicht, diese Frage zu klären. Wir haben uns die Clubkultur und Phänomene in Deutschland angeschaut haben. Es bleibt aber ein globales Phänomen, es ist eine Jugendkultur, die global um sich gegriffen hat.
Wer hat sich eigentlich den Namen ausgedacht – Techno House Deutschland?
Der ist aus einem gemeinsamen Brainstorming der Redaktionen entstanden. Es hat sehr praktische Gründe gehabt – um die verschiedenen Themen von allen einzubeziehen. Wir gucken ja in den ersten vier Teilen auf die Clubkultur, andere Sender haben auf bestimmte Regionen schaut oder wie der SWR auf ein einzelnes Festival. Hier brauchten wir einen Überbegriff, der allen gerecht wird und allen gefällt. Das war, das gebe ich zu, eine schwere Geburt. Ganz im Sinn des SEO hat man sich am Ende auf short and simple einigen können.