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Amotik: Spüren, dass sich etwas verändert

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Amotik (Foto: Presse)

Anil Chawla alias Amotik steht für eine introspektive Techno-Erfahrung, die Tanzende über Stunden in den Bann zieht. Mit diesem Sound hat er sich zunächst in der Berliner Techno-Szene einen Namen gemacht, in den letzten Jahren tritt er auf der ganzen Welt auf. Mit Patanjali ist kürzlich auch Amotiks zweites Album erschienen. Zeit für ein Gespräch mit dem Musiker, dessen Sound durch und durch ein Berliner Verständnis der Musik verkörpert, dessen persönliche Wurzeln aber woanders liegen.

Anil Chawla lädt mich ein, ihn in seiner Wohnung in Berlin-Neukölln zu besuchen. Auf dem Weg komme ich am Schaufenster des Online-Radios HÖR vorbei, wo Chawla im Rahmen seiner Show AMTK Radio regelmäßig auflegt. Keine fünf Minuten später stehe ich schon in Chawlas Wohnzimmer, nachdem ich herzlich begrüßt wurde. Ein Raum, in dem alles an der richtigen Stelle zu stehen scheint, wo jeder Einrichtungsgegenstand seinen Zweck erfüllt. Vielleicht eine erste Analogie zu den aufgeräumten, wohldosierten Amotik-Produktionen, die Hörer*innen weltweit im Groove halten?

Im Gespräch, das wir in seinem Homestudio führen, gibt sich Amotik offen – der überzeugte Veganer spricht in ruhigen und bedächtigen Sätzen über sein Leben und den Werdegang innerhalb der Techno-Szene. Chawlas Eltern kommen aus Indien. Sie emigrieren ins britische Chatham in der Nähe von London, wo Chawla zur Welt kommt. „Ich hatte immer eine starke Verbindung zu meinen kulturellen Wurzeln. In den Ferien sind wir oft nach Indien gereist. Bevor ich 2014 nach Berlin kam, habe ich außerdem mehrere Jahre dort gelebt und schließlich 2008 meine Frau kennengelernt”, so Chawla.

Amotik (Foto: Paul Krause)

Hinter den Decks steht der Brite bereits 1999, als er für Freunde in einer Bar an der Universität von Southampton auflegt. Noch bevor er seine ersten Club-Erfahrungen sammelt, stolpert er durch Radiosendungen über elektronische Musik. Tagsüber habe er Crossover-Acts wie Chemical Brothers, Moby oder The Prodigy gehört. Abends sei Jungle und Hardcore gelaufen. „Das war die Musik, die meine Freunde hörten. Wir gingen zusammen in Plattenläden und kauften uns Tapes, die live bei Hardcore-Raves aufgenommen wurden. Das war eine sehr intensive Zeit.”

Den Schulabschluss feiert Chawla mit seinen Freunden auf Ibiza – ein „Eureka-Moment”, wie der Producer sagt. „Damals hatte Ibiza noch eine besondere Atmosphäre und war kein kommerzieller Ausverkauf. Für mich war es inspirierend, diese großen Clubs zu sehen, wo sich die Menschen in der Musik verloren. Das hatte ich in diesem Ausmaß noch nicht erlebt.”

Trance, House oder Techno – Hauptsache Hypnose

Anfang der 2000er zieht Chawla nach London, wo ihn das Nachtleben nicht mehr loslässt. Er tanzt zu Sets von Jeff Mills und Laurent Garnier. Über einen Bekannten kommt er zu ersten eigenen Gigs. Bis 2007 spielt er regelmäßig im Londoner Club Turnmills. „Leider musste der Club schließen, aber damals war das ein besonderer Ort”, so Chawla. „Durch meine langjährige Residency habe ich außerdem gelernt, zu verschiedene Zeiten einer Partynacht und an der Seite unterschiedlichster DJs aufzulegen”. Die Grundlage seines musikalischen Verständnisses und seines Geschmacks entspringe dieser Lebensphase. Schließlich habe man damals noch öfter Genres miteinander vermischt. „Ein bisschen Trance, House oder Techno – ich kann verstehen, warum viele junge Leute diesen Genremix wieder feiern. Mir hat es damals auch gefallen.”

In seinen DJ-Sets folgt Chawla inzwischen aber einer durchgängigen Erzählung ohne viele Abschweifungen. Trance mit Techno zu mixen sei nichts mehr für ihn, auch wenn er betont, dass er das durchaus respektiere. Früher habe er selbst viel Trance aufgelegt: „Was in meiner Musik trotzdem gleich bleibt, egal, ob ich Trance, Progressive House, oder Techno spiele, ist, dass ich damit gerne hypnotisiere.” In besonderen Momenten wie bei Sonnenaufgängen spielt Chawla deshalb auch mit der Stimmung. Dann kommt es vor, dass wärmere Techno-Sounds und alte House-Klassiker auf den Tellern landen. Vor allem bei seinen langen Closing-Sets in Goa sei das schon öfter passiert, wie Chawla erzählt.

„Wenn ich morgens spiele, kann ich meine Routine beibehalten. Abends gehe ich etwas essen und trinke ein paar Gläser Wein. Dann schlafe ich ein paar Stunden. Oft bin ich noch etwas müde, wenn ich aufwache, aber sobald ich in den Club komme, spüre ich die Energie – dann bin ich hellwach.” Als Clubber schätze es Chawla umso mehr, wenn er seinen Rhythmus trotz des Feierns beibehalten kann: „Das kannte ich nicht, bevor ich nach Berlin zog. Für mich war das eine Offenbarung. Tagsüber auf einer Party anzukommen kann aber auch sehr überwältigend sein – manchmal braucht es ein paar Tequila-Shots, um sich zu entspannen und die Energie einströmen zu lassen.”

Foto: Ashram Hastings

Eine spezielle Energie, die seit 2015 auch sein Projekt Amotik umspült. Der Name sei eine Anlehnung an Chawlas Spitznamen zu Jugendzeiten. Freunde nannten in Amo, das blieb hängen. Dass er sich unter diesen Namen auf hypnotisierende Techno-Tracks fokussierte, sei wiederum auf einen Besuch im Berghain zurückzuführen. „Nachdem ich mit meiner Frau nach Berlin gezogen bin, war ich von der Musik in der Stadt sehr inspiriert. Dadurch fühlte ich mich zum ersten Mal wohl damit, allein Musik zu machen.” Davor habe Chawla oft mit Co-Produzenten zusammengearbeitet, die ihm zwar viel beigebracht, aber auch das Selbstbewusstsein genommen hätten, selbst gute Tracks zu produzieren.

„Plötzlich überkam mich ein Gefühl von Freiheit, weil ich in der Lage war, mich selbstständig auszudrücken. Davor hatte ich oft das Problem, spezifische Sounds, die ich in meinem Kopf hatte, meinen Co-Produzenten mitteilen zu müssen.” Heutige Amotik-Tracks leben von der Reduktion und der Bewegung der einzelnen Elemente. Oft arbeitet Chawla nur mit sechs Spuren. „Das erleichtert das Mixing. Außerdem mag ich Stücke, die nicht überproduziert sind. Für Übergänge benutze ich lieber Effekte wie Delays oder Reverbs, anstatt mit einer neuen Spur zu arbeiten.” Chawla konzentriert sich dabei auf kleine Veränderungen im Track. „Die kannst du nicht hören, aber du fühlst, dass sich etwas verändert. Ich liebe das!”


„Am Montag versuche ich mich daran zu erinnern, wie alles funktioniert.”


Im Studio arbeite Chawla mit wenig Hardware und hauptsächlich in Ableton. Seine ersten acht Platten seien nur mit einem Laptop, einem kleinen MIDI-Keyboard und Studiokopfhörern entstanden. Erst später habe er sich eine Roland TR-09 gekauft – „um mehr Kontrolle über die Basslines zu haben”. Durch den Einsatz von mehr analogen Geräten habe Amotik gelernt, dass in einem Stück nicht immer alles perfekt sein muss: „Ich versuche viel eher zu dem Punkt zu kommen, an dem ich realisiere, dass der Track richtig gut klingt und jede weitere Veränderung überflüssig ist.”

Neben seinem Job bei einem Musikverlag nimmt sich Amotik mehrmals im Jahr Zeit, um sich ausschließlich auf seine Musik zu konzentrieren. Eine typische Woche sehe dann so aus: „Am Montag versuche ich mich daran zu erinnern, wie alles funktioniert. Am Dienstag skizziere ich erste Ideen. Am Mittwoch hasse ich alles, was ich gemacht habe und denke daran, mit dem Musikmachen aufzuhören. Erst am Donnerstag habe ich mich vom Frust befreit und produziere bis Freitag die Platte.”

Feiern zwischen Aura und Energie

Zuletzt gelang ihm das mit Patanjali – Amotiks zweitem Album. Entstanden ist es Anfang 2021. Eine Zeit, zu der die Pandemie alles vereinnahmte und die Clubs geschlossen waren. „Die Musik auf dem Album ist sehr emotional. Ich habe das kollektive Tanzen vermisst und wollte Tracks schreiben, mit denen ich mich auf den Dancefloor zurückdenken konnte.” Auch deshalb seien auf Patanjali unterschiedlichste Stile zu finden. Chawla baut darauf mit breakigen Tracks seine musikalische Expertise weiter aus, ohne den Fokus auf seinen minimalistischen Techno-Sound zu verlieren. „Wenn ich Breakbeats schreibe, fühlt sich das für mich wie eine Pause von konstanten Four-to-the-Floor-Beats an. Das ist wie ein Aufatmen.”

Alle Stücke auf dem Album sind nach Nummern in Hindi benannt. Diese Idee sei auf einen längeren Aufenthalt in Indien zurückzuführen, während dem er in Verbindung mit seinen indischen Wurzeln trat. Dazu passt, dass Chawla die Platte seinem verstorbenen Großvater gewidmet hat. „Er hatte eine besondere Aura und war eine sehr friedliebende und ruhige Person, die mich immer noch inspiriert”, so Amotik. Zeit seines Lebens sei er Yoga-Lehrer gewesen. Er habe die Welt bereist, um den Menschen Yoga beizubringen. „Gleichzeitig war er auch einfach mein Großvater, der, wenn er einen Raum betrat, lächelte und ihn mit seiner positiven Energie erwärmte. Er hat mich indirekt darin beeinflusst, wie ich mein Leben leben will und wie ich Positivität suche. Mit dem Album habe ich versucht, ein wenig Licht ans Ende des dunklen Tunnels zu bringen.”

Amotik (Foto: Paul Krause)

Diese Wärme und das Streben nach Positivität spiegeln sich in den warmen, perfekt produzierten Sounds wider, die von groovigen Percussions und einer konstanten Bassdrum begleitet werden. Die Stücke auf dem Album sind außerdem so arrangiert, dass man sie in chronologischer Reihenfolge in einem Set spielen könnte: „Sie folgen einer Energiekurve, die von Ambient zu Clubtracks und einem Closing-Track führt.” Dazwischen führt Patanjali auf eine Reise zu verschiedenen Orten und Energien, die Zugang zu verschlossenen Gedanken und Erinnerungen ermöglichen soll.

Kurz vor der Albumveröffentlichung im März trat Amotik seine eigene Reise an. Zum zweiten Mal in seiner Karriere spielte er in Kolumbien. Chawla kommt ins Schwärmen, wenn er darüber erzählt. Schließlich habe er bei dieser Gelegenheit genügend Zeit gehabt, die Menschen vor Ort und ihre Kultur kennenzulernen: „In Südamerika sind die Leute beim Feiern sehr offen und drücken sich mit ihrer Stimme aus. Dort zu spielen ist ein schöner Kontrast, weil man dir direktes Feedback gibt”, so Chawla. „Hier in Berlin tanzen alle mit nach unten geneigtem Kopf und für sich. Das ist anders – aber genauso schön!”

Die Reise sei aber auch aus einem anderen Grund inspirierend gewesen. Schließlich konnten im Frühjahr viele Clubs erst langsam wieder den Normalbetrieb hochfahren. Für viele Musiker*innen seien die Pandemiejahre schwierig gewesen, es habe große Ungewissheit geherrscht. „In Kolumbien zu spielen, war für mich ein Schritt zurück in eine Realität vor Corona. Plötzlich war sie wieder da – die Energie der Menschen, die ich so lange nicht gespürt hatte.”

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