Huerco S. – Plonk (Incienso)
Wenn Incienso ein neues Release ankündigt, ist es an der Zeit, aufzuhorchen. Das New Yorker Label liefert konstante Sensationen, seien es die Nene-H-Auskopplungen oder DJ Pythons Traumexpeditionen. Jetzt ist Brian Leeds an der Reihe, der unter seinem Pseudonym Huerco S. nach sechs Jahren ein neues Album vorstellt. Während das letzte Werk von 2016 von weichen Ambient-Drones ummantelt schien, konzentriert sich Plonk klar auf maschinelle Aspekte und entstammt laut Aussage des Künstlers seiner jugendlichen Leidenschaft für Rallyeautos, was in diesem Zusammenhang dann wahrscheinlich allegorisch verstanden werden soll. Sehr konzeptig angelegt also, wirkt das Ganze wie eine Art Installationsmusik und passt sich damit ästhetisch sehr gut in einen kontemporären Rahmen ein.Hervorragend produziert, wuseln verschiedenartigste Synthie-Stimmen durcheinander, begleitet von groovigen Orgeln oder fluoreszierenden Strings wie in „Plonk VI”. Es wirkt, als würden imaginierte, emaillierte Schalentiere weich abgegossen, um später als feine Späne behutsam in die Umgebung zu diffundieren. Nach vorrangig drahtigen, kühleren Klängen überrascht das Finale ab „Plonk IX” mit krabbeliger Urbanität, die von der ein oder anderen Actress-EP inspiriert sein dürfte. Wesentlich sind dabei auch die konstant schimmernden Flächen, die bei fast allen Tracks irgendwann die Überhand gewinnen und eine Atmosphäre schaffen, die anregt und nie überfordert. Lucas Hösel
Mathias Schaffhäuser – Biotopical (Ware)
Auf den ersten Blick scheint Mathias Schaffhäusers neuestes Album ein wenig schwer zu greifen. Ist es ein Re-Release? Ist es eine Compilation? Ist es eine Mix-CD?
Was sich hinter dem auf Ware veröffentlichten LP-Format samt begleitendem Continuous Mix verbirgt, ist am Ende eine Zusammenstellung der bereits um 2016 veröffentlichten Stücke Schaffhäusers auf dem kleinen, relativ unbekannten ehemaligen Netlabel Biotop von Patrick Zigon.
Um den dort erschienenen drei EPs und der LP Diderot von Schaffhäuser nochmal größere Aufmerksamkeit zu verschaffen, packt der Produzent sie nun also unter dem Titel Biotopical zusammen, gibt ein paar neue Versionen, Exclusives und umfangreiches Remastering dazu – fertig ist die CD für Ware!Der Sound ist dabei, wie von Schaffhäuser gewohnt, eher maxi- denn minimalistisch; oft überholen sich mehrere Ideen in einem Track, bevor der Groove wirklich eingerastet ist. Dabei setzt er gerne auf trocken statt gefühlsduselig und nickt mehr dem modernem Tech-House zu als der klassischen Chicagoer Schule. Dennoch darf hier und da auch mal ein Discosample oder Pianoriff durchscheinen, aber das sind die Ausnahmen. Was auf den einzelnen Tracks vielleicht etwas disparat wirkt, kommt im mitgelieferten Mix zur Geltung. Von Schaffhäuser selbst zusammengefügt, wirken plötzlich auch die vorher vermeintlichen Gegensätze der Stücke wieder als sinnvoll arrangiertes Ganzes. Leopold Hutter
Melchior Productions Ltd – Vulnerabilities (Perlon)
Für sein zweites Album hat sich Thomas Melchior ganze 15 Jahre Zeit gelassen. Eine lange Zeit, über die sich eingefleischte Fans leider nur mit sehr wenigen 12-Inches des Wahlberliners und Perlon-Familienmitglieds retten konnten. Daher ist die Freude groß, ein 3×12-Inch-Paket in Händen halten zu können. Das heißt: Es ist genug Platz für die elf Tracks, um sich klanglich auf Vinyl zu entfalten.
Der Titel greift Melchiors Affinität zu feinstofflichen Ebenen hinter den mit unseren fünf Sinnen wahrnehmbaren Realitäten auf, und auch die Liedtitel deuten verschiedene Introspektionen und Zustände des Geistes wie „Catharsis”, „Depressed Fun Seekers”, „Mind Diving” und „Adriana’s Anxieties” an. Die Verletzlichkeit der Seele ist in Wirklichkeit ihre größte, alles überstrahlende Stärke. In der Limitierung und Reduktion liegt ein Schatz der Freiheit des Geistes. Sie räumt auf und schafft Platz für das Neue. Die Hingabe und Konzentration auf wenige Elemente findet sich in Melchiors Produktionen immer wieder, das Wesentliche bekommt in seinen Tracks sehr viel Platz und Freiheit, um zu wirken. So entstehen Stücke, die es schaffen, leichte und luftige Strukturen und Texturen mit einer ungeheuren Klangdichte zu verbinden. Schönes Beispiel ist das bereits 2021 erschienene „Closer”. Zart gehauchte, fast flüchtige Melodien umgarnen einen sanft hüpfenden Housebeat und lassen eine Zerbrechlichkeit entstehen, deren elegische Schönheit wiederum Kraft und Stärke formt. Robert Gobler
Portable – My Sentient Shadow (Circus Company)
Der südafrikanische Produzent Alan Abrahams hat schon eine ganze Reihe von Stationen hinter sich. Nach Jahren in London, Lissabon und Berlin lebt er inzwischen in Paris. Im Rahmens seines Portable-Projekts war House stets die bestimmende Größe, wobei er auch darin verschiedene Stationen erkennen lässt. Sein großes Album Powers of Ten von 2007 aus seiner Portugal-Phase zeigte deutliche Anklänge an südafrikanischen Kwaito. Auf Alan Abrahams (2016), zu seiner Berliner Zeit entstanden, einer Art Kammer-House-Suite, dominiert sein auf einzigartige Weise distanziert-metallisch-souliger Gesang.
Inzwischen wohnt Abrahams in Paris, und sein Klang hat sich erneut leicht gewandelt. Seine Synthesizer mischen unter die Portable-typische Introspektion gelegentlich abstrakt-fiepige Funk-Signale, der Beat gibt sich vordergründig geradliniger, schiebt die sonst gern akzentuierten Synkopen mehr in den Hintergrund. Alles wirkt streng geordnet, das Spiel mit den Elementen übersichtlich, fast, als müsste sich Abrahams selbst neu sortieren. Die Größe von Portable zeigt sich dafür in der feinen Komplexität seiner Tracks, in den federnden Bögen, die er aus scheinbar starren Gerüsten aufspannt. Auch hat die Rhythmik ihren Süd-Charakter keinesfalls verloren, so etwa majestätisch sparsam eingesetzt in „Analogue World”. Aus wenig macht Portable sehr viel. Und mit „I Feel Stronger Now” schiebt er wieder so eine wehmütig-unaufdringliche Hymne dazwischen, wie sie wohl nur er hinbekommt. Tim Caspar Boehme
Prins Thomas – 8 & 9 (Prins Thomas Musikk)
Sagen wir mal so: Prins Thomas eine Ikone zu nennen, ist eine fulminante Untertreibung. Der Norweger hat wie kaum ein anderer – in der Riege fallen mir vielleicht noch so Leute wie Andrew Weatherall oder DJ Harvey ein – einen Sound, ein Genre, eine Art zu feiern geprägt. Sein Label Full Pupp steht genauso wie er selbst für diesen risikobefreiten Trip-Sound, der lose (Nu) Disco, Kraut, Space und Wave verbindet. Hyperaktiv wie eh und je (Discogs verzeichnet 400 Remix-Credits!) hat er auch durch die Corona-Tage geschuftet. Und sich dabei ein wenig verloren, so das Statement zur Ankündigung des Doppel-Albums, bestehend aus 8 und 9.
Hier möchte Thomas Hermansen sich selbst so nah gekommen sein wie noch nie: Nein, abwegig ist das keineswegs. 8 beginnt wie ein sonnendurchfluteter Ausflug mit dem Cabrio, der Disco-Stomp treibt ordentlich die Drehzahl hoch, dennoch ist hier alles ultra-smooth. Die Gitarrenlicks sind dreamy, der Delay genau im Scheitelpunkt zwischen psych und psycho, und generell sind die Harmonien voll auf Sommer und Bierchen mit Freund*innen gesetzt. Wenn sich in die Gläser dann noch ein „wenig hiervon und davon” verirrt – who cares? Auch der ein oder andere Jazz-Jam schleicht sich ein. Auf 9 geht es dann so weiter, bekommt aber einen kleine Soundtrack-Infusion: DIe Tracks werden minimal dramatischer, größer, emotionaler. Insgesamt natürlich exzellente Ware für Sommer-Chillouts, wenngleich 8 & 9 womöglich gar nicht Prins Thomas’ beste Platten sind. Lars Fleischmann
Smackos – Fables From A Silent Wave (Nightwind)
Danny Wolfers alias Smackos alias der Eine-Billion-Projektnamen-Mann und Hansdampf in allen Den Haager Gassen beglückt uns mit seinen neuesten Synthesizer-Texturen und neuem exotisch-naivem Cover-Artwork aus der Hand des Komponisten selbst.
Wie es sich für einen echten Synth-Geek gehört, geben auch die Liedtitel wieder sehr gerne preis, mit welchen Mitteln das zu hörende Sounddesign entstanden ist. Und falls diese Hinweise nicht reichen, gleich noch ein paar detaillierte Infos auf seiner Homepage. So füttert er zum Beispiel seinen Akai S900 auf „La chaleur sombre d’un S900” in den unteren Samplingraten, um die begehrten, hypnotisierenden, digitalen Artefakte zu erzeugen, und auf „Supernova Cherry Dessert” quetscht Wolfers seiner Novation Supernova ordentlich die saftig tropfenden 12-DSP-Filter aus.
Smackos ist eines seiner experimentellen Ambient-Projekte und nun schon neun Alben alt. Dass es sich wirklich um Soundnerdfood handelt, zeigt auch die Herangehensweise, mit der die Stücke strukturiert sind, handelt es sich doch überwiegend um kurze, ein- bis zweitaktige Patterns, die eher wie anskizzierte Soundskulpturen daherkommen. Weniger ausgefeilt in der Dramaturgie und dem Arrangement, aber dafür umso klarer ausdefiniert in der atmosphärischen Stimmung, die erzeugt werden soll, ganz einer klassischen Musique-concrète-Tradition folgend, wenn man denn so will. Die Tracks werden scheinbar ziellos in der Schwebe gehalten, was automatisch die Aufmerksamkeit auf den bloßen Klang lenken muss und zum entschleunigten, reuefreien Genuss und zur genauen Betrachtung auffordert.Für Soundfetischist*innen wieder eine sehr ergiebige Zusammenstellung vom charismatischen Master of classic Sci-Fi Sound. Wunderschön! Richard Zepezauer