CiM – Reference (Delsin Records)
Viel ist es nicht, was über den Produzenten Simon Walley bekannt ist. Der unter dem Künstlernamen CiM aktive Engländer tauchte in den späten Neunzigern auf dem UK-Label Headspace auf und machte dann mit der auf Delsin veröffentlichten EP Service Pack von sich reden. Nicht allzu lange Zeit später, im Jahr 2003, verabschiedete sich Walley schon wieder. Die Mini-LP Noki Bay sollte bedauerlicherweise sein letztes musikalisches Lebenszeichen gewesen sein. Das niederländische Techno-Label Delsin kümmert sich nun schon seit 2020 um den CiM-Katalog.
Die jüngste Wiederveröffentlichung gilt seinem vor 22 Jahren auf deFocus erschienenen Album Reference, das heute völlig zu Recht als IDM-Referenz gehandelt wird. Die beste Nachricht vorweg: Alle Formate des Reissues enthalten sämtliche Tracks des Albums, ursprünglich war die Vinylversion nämlich arg beschnitten. In seiner Zeit war Reference nicht annähernd so erfolgreich wie beispielsweise Platten von Boards Of Canada, CiM war nunmal nicht bei Warp unter Vertrag. Doch im Rückblick haben mehr und mehr Leute erkannt, dass von den 24 meist kurzen oder gar skizzenhaften Tracks eine irre Faszination ausgeht.
Es lässt sich nicht behaupten, dass die Musik, die Simon Walley vor über 20 Jahren aufgenommen hat, wirklich zeitlos klingt. Natürlich ist der CiM-Sound ein Produkt der ausgehenden Neunziger. Immer wieder schimmert dabei die musikalische Herkunft von Simon Walley durch. Angefangen hat der Engländer nämlich mit der Freeware ProTracker auf dem Amiga. Die Myriaden an musikalischen Ideen und Harmonien, die Walley in seine häufig auf Linearität pfeifenden Stücke gepackt hat, lassen dieses Album heute noch spannender wirken, als es damals vermutlich der Fall war. Ganz egal, ob sich die Struktur der Tracks zwischendrin mal mehr oder weniger an Ambient, Electro oder Breakbeat anlehnt, am Ende klingt alles sehr nach CiM. Holger Klein
Kano – Kano (Goody Music Production)
Mit Kano springt man 42 Jahre in die Vergangenheit, in eine Zeit buschiger Dauerwellen, Schlaghosen und nicht zuletzt schillernder Disco-Ästhetik und elektronischer Soundtüftelei. Die italienische Band rund um Luciano Ninzatti und Stefano Pulga veröffentlichte 1980 ihr selbstbenanntes Debüt. Die Platte gilt als Wegbereiterin des Italo-Disco mit pompösem Klangaufgebot und treibenden Rhythmen, die ausladende Boogie-Stimmung aufkommen lassen. Selbst einen kleinen Hit konnte Kano mit „I’m Ready” 1980 verzeichnen, der mit einer Vielzahl verzogener Synths nur so vor Energie brummt.
Alle der sechs Tracks sind in ein ähnliches klangliches Gewand gekleidet: Durchweg trottet ein Beat, der von funkigen Bassgitarren durchquert und mit einem eklektischen Spiel aus Synths angereichert wird. Das Album sprudelt nur so von melodischer Heiterkeit über, auch wenn es mit „It’s A War” eine Brücke zwischen munterem Disco und Gesellschaftskritik schlägt. Während „Now Baby Now” tänzelnd nach vorne prescht, klingt „Cosmic Voyage” wie ein triumphaler Aufbruch ins All. Und auf „Super Extra Sexy Sign” kann man nicht nur eine heitere Melodie, sondern noch ein kleines Hodoskop abstauben. Kano bietet somit nicht nur ein Tanzvergnügen, sondern auch etwas bitter nötigen Sonnenschein im sonst so grauen Winter. Louisa Neitz
Lion’s Drums – La Batterie (Cocktail D’Amore)
Mit La Batterie legt Harold Boué eine Kopplung von Edits, Remixen und Kollaborationen vor, die gleichzeitig als Album und Anthologie firmiert. Als Abstraxion veröffentlicht der französische Producer technoider angelegte Tracks, mit Lion’s Drums verfolgt er einen Leftfield-Soundentwurf, in dem sich Tribal mit Neo-Trance, New Age, Library Music, Ambient und Drone überschneidet, wobei – nomen est omen – humide Drumbeats das Zentrum bilden, um das die Synthesizer-Spuren kreisen.
Wer jetzt an Wolf Müller denkt, liegt nicht komplett daneben: Balearisch, subtropisch, afrotronisch klingt auch hier das Meiste. Ausgrabungen (Vasilisk, Büdi Und Gumbls), übersehene B-Seiten (so erhaben wie dringlich: Freddy Spins’ „Journey To Middle Earth” im Lion’s-Drums-Edit) und Tullio De Piscopos erste Single „Fastness” hat Boué für seine Bearbeitungen ausgewählt, während die Original-Mixe mit Roberto Musci und Manos Tsangaris Koautoren mit (Semi-)Legenden-Status aufzuweisen haben.
Mittels unveröffentlichter Skizzen und Field Recordings von Musci stolpert „Paris 1971” von Synthesizer-Pionierin Suzanne Ciani im „Lion’s Drums With Roberto Musci Lost Tapes Remix” schließlich durch ein Spiegelkabinett aus Stimme, Modulationen und fragmentiertem Downbeat. Die bassgesättigten Grooves von Lion’s Drums bringen Kategorien ins Wanken; dass mit La Batterie die Grenze zwischen Compilation und Autorenalbum verschwimmt, ist nur eine der Folgen. Könnte nicht besser beginnen, das Jahr. Ein großer, synoptischer Longplayer, diese Doppel-LP. Harry Schmidt
Montel Palmer – Catastrophe (Planet Rescue)
Über Montel Palmer weiß das Netz wenig. Bandcamp gibt als Homebase Köln an, das Bandfoto ist im Comicstil gehalten und zeigt drei Menschen und ein Wesen, das als reptiloide Hipster-Nichte von Frau Merkel durchgehen könnte, würde die Betrachter*in zu Neo-Schwurbelei neigen (früher, also vor „Neo-”, war „verschwurbelt” ja mal positiv besetzt und liebevoll als Beschreibung minimaler Technotracks der Villalobos-Schule gängig – ganz nebenbei). Und so geheimnisvoll wie die spärliche biografische Datenlage ist auch die Musik des Projekts.
Undefinierbar Stimmen ziehen sich durch alle Tracks, genauso jede Menge Echo auf fast allen Sounds und Beats, letztere gerne an alte Drum-Machine-Patterns oder Heimorgel-Begleitautomatik erinnernd. Die naiv anmutenden, minimalistischen Stücke von D.A.F. fallen einem hin und wieder ein (Marke „Der Räuber und der Prinz”), auch frühe Kraftwerk-Synthiefiguren, aber wirkliche Übereinstimmungen lassen sich nicht finden, die Schnittmenge beinhaltet nur Fragmente und erreicht nie Genre-Schubladengröße. Was lässt sich einigermaßen konkret sagen? Catastrophe lebt von Dub ohne Reggae, kreiert Kraut ohne Gedaddel, bastelt Post-Rock ohne Uniabschluss und hat dabei immer Mort Garson minus Augenzwinkerei im Hinterkopf. Oder mit einer doppelten Portion – auch gut möglich, denn humorfrei ist dieses Album trotz eindeutigem Titel und dazu passendem Labelnamen auch keinesfalls.
Im Infotext zu Catastrophe heißt es auf den einschlägigen Plattformen – wunderbar poetisch von DeepL übersetzt: „In diesem vernetzten Zeitalter der Protokolle und der vernetzten Nationen ist das einzige Territorium, auf das Sie sich nicht verlassen können, Ihr eigener Geisteszustand.” Wohlgemerkt: NICHT! Mathias Schaffhäuser
Prarhamansah – Prarhamansah (Brutaż) (Reissue)
Das polnische Label Brutaż, das sich ursprünglich aus den bekannten Veranstaltungen in Polen gebildet hat, wartet mit seinem dritten Albumrelease auf. Die gemütliche Veröffentlichungspolitik ist sehr sympathisch, gut Ding will ja auch Weile haben. Man merkt dem Label seit dem ersten Release seine stilistische Experimentierfreude und Freiheit an. Es lässt sich, wie es scheint, nicht gerne verorten und entzieht sich somit schon mal einer marktkonformen Ausrichtung, wieder sehr sympathisch. Die Liebe zum Detail sieht man nicht nur in der Auswahl der Veröffentlichungen, sondern auch im fantastischen Artwork. Eine merkliche Freude an kreativer Arbeit, die an Anfang bis Mitte der Neunziger in der Technowelt erinnert, als ein noch nicht ausformulierter Kosmos von Kunst und Klang viele Perspektiven auf das Thema Techno leicht ermöglichte. Dieses Album des bulgarischen Künstlerduos PRARHAMANSAH, das ursprünglich eher in Psy-Trance- und Dub-Gefilden unterwegs war, erinnert stark an diese besondere, fruchtbare Phase elektronischer Musik.
PRARHAMANSAH versammeln auf der Doppel-Zwölf-Inch, die ursprünglich 2003 erschien, sechs Tracks von sechs bis zwölf Minuten und 41 Sekunden Länge. Alle Tracks arbeiten mit großen, aber dennoch wohldosierten Räumen, Assoziationen mit klassischem UK-Techno Mitte der Neunziger werden schnell geweckt. Klarer Bezugspunkt in UK war damals Detroit, was heute legendäre Labels wie New Electronica, Irdial Disks oder auch B12 Records hervorbrachte, und nicht zuletzt Warp spielte seine wichtige Rolle.
Erhabene Stringflächen werden von blubbernden Acid-Basslines geschmückt, kleine, profane Melodien und Midtempo-Breakbeats laden fast zum Mitsummen ein. Sehr erfrischend entziehen sich diese Stücke jedem Technoklangdogma und haken sich der erwähnten Tradition unter, jedoch ganz klar aus einer zeitgenössischen und genügend eigensinnigen, vielleicht hier und da psychedelischen Perspektive gedacht. Auch spannende, ambiente Soundcollagen, die wie kleine elektronische Hörspiele anmuten, haben am Ende des Albums ihren Platz. Das Album macht von jeder Seite aus betrachtet mächtig Spaß und fügt sich in den bisherigen Brutaż-Katalog äußerst stimmig ein. Richard Zepezauer