burger
burger

Parris: Dieses gewisse Gefühl von Freiheit

- Advertisement -
- Advertisement -

Parris (Foto: Daniel Naylor)

Kaum ein Produzent hat in den letzten Jahren ein so außergewöhnliches Profil entwickelt wie Dwayne Parris. Heute formt der Londoner DJ und Producer eindringliche Atmosphären, kreiert dubinspirierte Rhythmen und glänzt mit eleganten und zugleich sparsamen Kompositionen, die von subtilen Popmomenten abgerundet werden. Doch das war nicht immer so. Seine ersten Releases auf The Trilogy Tapes oder Wisdom Teeth waren geprägt von Dubstep- und Grime-Einflüssen.

Als Künstler wie als Persönlichkeit ist Parris nicht so leicht zu fassen. Eine Sache lässt sich über ihn aber mit Sicherheit sagen: Er ist durch und durch Londoner. Er wuchs an den multikulturellen Brennpunkten Hackney und Tottenham, besuchte die das Dubstep-Genre prägende Partyreihe FWD>>, arbeitete beim ikonischen Label Tempa und gab Künstlern wie Facta oder K-Lone mit seinem Label eine Plattform. Aus dem Bass-Dunstkreis trat er durch seine Freundschaft und Zusammenarbeit mit Call Super heraus, mit dem er das Label CAN YOU FEEL THE SUN betreibt, das auch die Plattform für sein ganz eigenes musikalisches Spektrum und das persönliche Storytelling seines Debütalbums ist.

Auf die Spur dieses zurückhaltenden Künstlers begibt sich unser Autor Moritz Weber. Ihm berichtet Parris von Zeiten, in denen er mit seinem iPod noch ganze Mediatheken von Freunden plünderte, und erklärt, warum er damals aus dem Trompetenunterricht rausgeworfen wurde und wie eine bloße Twitter-Anfrage seine Schreibblockade löste.


Es ist 18 Uhr an einem grauen, verregneten Tag in London, als sich Parris in den Zoom-Call einwählt. Im bequemen Hoodie sitzt er in seinem Zimmer. Seine notorische Brille, die manch einer als Hipsterbrille abstempeln würde, hat er auch heute auf. Noch vor einigen Monaten spielte Parris beim achten Geburtstag der Mothers-Finest-Partyreihe in Berlin – sehr fokussiert, kaum Interaktion mit dem Publikum, in sich gekehrt, Tunnelvision, als sollte ihn nichts aus der Bahn bringen. Selbes Bild bei der OXI-Wiedereröffnung, ebenfalls in Berlin. Diesmal jedoch strahlt mir ein breites Lächeln entgegen, ich werde äußerst warmherzig begrüßt.

Die gute Laune kann ihm auch niemand verübeln. Sein Debütalbum Soaked In Indigo Moonlight ist endlich erschienen. „Ich wollte ein Album machen, das von den Verbindungen handelt, die das Leben beflügeln – von Beziehungen, vom Spiel, von verschiedenen Möglichkeiten des Rhythmus, von Freude und glücklichen Zufällen”, beschreibt Parris die LP stolz mit einem Grinsen auf dem Gesicht. Auf zehn Tracks präsentiert er darauf ein scharfsinniges, persönliches Stück Storytelling.

Clubverwurzelter Pop, ausgedehnte Rhythmusexperimente und Kollaborationen mit Carmen Villain oder Call Super bringen ein Gefühl hervor, als würden sich Raum und Klang miteinander verweben. „Dieses Album ist eine Art, mich und meinen Sound auszudrücken. Und ich denke, das Album war eine Gelegenheit, meinen Ansatz  ausführlicher zu erkunden, in einem etwas offeneren Feld. Ich hatte den Freiraum, die Dinge dorthin zu bringen, wo ich sie haben wollte”, so Parris weiter über die Grundidee des Albums.

Der unfreiwillige Weg zur Musik

Schon im jungen Alter beschäftigte Dwayne Parris sich mit Musik, wenn auch etwas ungewollt. Seine Mutter ermutigte ihn stets, ein Instrument zu lernen. Versuche an Trompete, Klavier oder Schlagzeug sollten nicht länger andauern als maximal zwei Jahre. „Ich war einfach zu zappelig. Ich wurde damals aus dem Trompetenunterricht rausgeworfen, weil ich mich einfach nicht benehmen konnte”, erinnert er sich heute.

Parris wuchs im Arbeiterviertel Hackney auf, das in dieser Zeit als eines der ärmsten Londons galt. Bevor er dort den klassischen Ausbildungsweg einschlagen konnte und sich an Arbeitgeber*innen hätte binden müssen, flüchtete er ins multikulturelle, aber als Brennpunkt bekannte Tottenham, um dort seinen Schulabschluss zu machen und sich nebenbei ein bisschen Geld zu verdienen. Er merkte schon früh, dass er dem familiären Druck auf dem traditionellen Arbeitsmarkt ein festes Einkommen zu erzielen, entkommen wollte.

Im Alter von 15 kam Parris zum ersten Mal mit elektronischer Musik in Berührung. Angekommen in einer neuen Freundesgruppe standen nicht mehr Hip Hop oder R’n’B auf dem Tagesprogramm. Grime und Dubstep stellten sich als neues interessantes Feld heraus. Freunde experimentierten mit Ableton und Co und produzierten bereits erste Tracks. Man traf sich, um abzuhängen und gemeinsam Musik zu tauschen. Ein komplett neues musikalisches Spektrum für den jungen Parris. „Damals konnte man iPods an die Computer anderer Leute anschließen. Man ging zu einem Freund nach Hause, schloss seinen iPod an und nahm tonnenweise Musik mit. Du hast es nicht einmal überprüft. Man nahm einfach alles mit, weil man 60 Gigabyte Speicherplatz hatte.” Parris fängt an, herzlich zu lachen, und schwelgt kurz in Erinnerungen. „Man hat sich einfach durch verschiedene Musikrichtungen geklickt.”


„Ich war 19 Jahre alt. Tagsüber Rinse FM auf den Ohren und nachts FWD>> – so würde ich die Jahre beschreiben.”

Parris

Nachdem ich ihn frage, wie er denn heute nach Inspirationen und neuer Musik sucht, schwenkt er um und überlegt kurz. „Das war damals eine andere Art und Weise, Musik zu sourcen. Heute trägt man alle Songs der Welt in seiner Hosentasche herum. Klar bin ich immer noch in Plattenläden unterwegs. Aber ich mag es sehr, auf Bandcamp oder Discogs zu suchen. Ich höre eigentlich gar keine Promos. Denn ich finde die Idee, diese Art supporting eyes zu haben, sehr gut. Ich gebe einfach drei Pfund dafür aus, vier Pfund dafür. Ich unterstütze die Künstler*innen direkt.”

Nach seinem Schulabschluss jobbte Parris im Plattenladen BM Soho. In der Abteilung für Drum’n’Bass, Dubstep und Grime konnte er während seinen sporadischen Schichten neue Künstler*innen entdecken und verschaffte sich somit einen ersten Überblick über die elektronische Szene. Während seines Jobs wurde Parris erstmals auf die legendäre Partyreihe FWD>> aufmerksam, die Dubstep zum Durchbruch verhalf. In den Jahren 2006 und 2007 fand er sich immer wieder auf der Tanzfläche des Clubs Plastic People wieder, der als Heimat von FWD>> als einer der einflussreichsten Nachtclubs in London galt und die britische Tanzszene bis heute prägt. Residencys von Theo Parrish, Four Tet oder Carl Craig, aber auch die Anfänge des jungen Ben UFO zeigten Parris das gesamte Spektrum der ambitionierten elektronischen Musik. „Ich war 19 Jahre alt. Tagsüber Rinse FM auf den Ohren und nachts FWD>> – so würde ich die Jahre beschreiben.”

Und dann ist man im Rabbit Hole

Wenn er nicht gerade Platten sortierte oder nachts in den Clubs unterwegs war, setzte sich Parris schon bald neben seine Freunde an den Computer, um dort seine ersten Tracks zu produzieren. Die vielen neuen Eindrücke und „dieses gewisse Gefühl von Freiheit” wollte er in seine Musik mit aufnehmen. „Ich glaube, als ich mich ein bisschen mehr mit Musik beschäftigt habe, sind diese Dinge ganz natürlich passiert. Wenn man Freunde hat, die auflegen und produzieren, kommt schnell der Gedanke – oh, da mache ich auch mit. Und dann ist man schnell in einem Rabbit Hole.”

Parris (Foto: Daniel Naylor)

Die Jahre, in denen er Woche für Woche auf den Tanzflächen in London unterwegs war, kamen ihm 2013 zugute, als ihm ein Nebenjob beim bahnbrechenden Dubstep-Label Tempa angeboten wurde. Im folgenden Jahr brachte Tempa auch Parris’ erste EP heraus, eine Split mit Wen. „Mit Anfang 20 kam ich dann an den Punkt, an dem ich von der Fanseite auf die Künstlerseite wechselte. Ich mochte damals eine Menge Musik. Ich wollte diese Musik spielen. Ich hatte keine Ambitionen, es in einem Club zu machen oder so. Aber schließlich kommt man ein bisschen weiter, und es kommt eins zum anderen. Am Ende gibt es keine Regeln. Mach das, was du willst.”

Mir sitzt eine überraschend bescheidene Person gegenüber, eine Person, die auf dem Boden der Tatsachen geblieben zu sein scheint. Sein heutiger kritischer Blick auf seine bereits veröffentlichten Releases macht ihn auf gewisse Art und Weise sympathisch. „Heute kann ich kaum noch meine älteren Veröffentlichungen hören. Ich mag sie überhaupt nicht mehr.” Eine Person, die auch offen zugibt, dass sie damals nicht wusste, wie sie ihre Musik noch weiter verfeinern kann. „Ich habe heute das Gefühl, dass meine Musik von damals zufällig klingt.”

Sie mögen mich einfach

Nach dem ersten Release waren seine nächsten Schritte ambitioniert. Nach seiner Zeit beim Tempa gründete Parris sein eigenes Label Soundman Chronicles. Ein mutiger Schritt, für ihn aber ein „spezieller Abschnitt seiner Karriere”, in dem er Teil des musikalischen Netzwerks Londons wurde. Während er mir erzählt, wie er durch seinen ersten Release, seine Präsenz in Plattenläden und auf Partys langsam in der Undergroundszene bekannter wurde, wird Parris’ ambitionierte und fokussierte Seite deutlich. 

Dabei sollte sein Label zunächst nur ein Nebenprojekt werden, das sich schnell zur Plattform für Breakbeat-Acts wie Facta, K-Lone oder Wen entwickelte. Eigene Releases waren nicht geplant. Parris setzte zu der Zeit einen anderen Fokus. Parallel zu den Soundman Chronicles fing er auch an, beim im Bristol beheimateten Label Cargo Records als Teilzeit-Labelmanager zu arbeiten. Das hieß zu Beginn konkret, aus dem geliebten London nach Bristol umzuziehen. Ziemlich viel auf einmal, vielleicht etwas zu viel. „Das war zu Beginn sehr anstrengend. Ich fuhr drei Tage nach Bristol. Den Rest der Woche verbrachte ich in London. So konnte ich eine tolle Connection zu Bristol aufbauen, speziell zur Musikszene.” Der Kontakt zur Stadt hält bis heute an. „Ich glaube, sie mögen mich einfach”, lacht Parris. „Heute ist das ein inspirierender Austausch. Wenn ich wieder nach London komme, bin ich ganz heiß darauf, wieder Musik produzieren zu können.”


„Musik ist für mich immer ein Moment. Und manchmal haben Dinge einen ganz bestimmten Moment und eine ganz bestimmte Zeit. Ich habe keine Angst davor zu sagen, dass diese Zeit oder dieses Projekt nun vorbei ist. Manchmal verlieren bestimmte Dinge einfach ein bisschen von ihrer Magie.”

Parris

Nach seiner Debüt-EP ermöglichte seine Dreitagewoche bei Cargo Records eine gewisse Flexibilität, die eine Reihe von Solo-EPs möglich machte, die 2016 und 2017 auf Idle Hands, The Trilogy Tapes, Hemlock und Ancient Monarchy erschienen. Parris tritt aus dem Dubstep-Kontext heraus, seine Tracks sind jetzt variationsreicher und technoaffiner. Feingliedrige Rhythmen bewegen sich durch den Klangraum, ein bebender Subbass sorgt für Dynamik. Parris erklärt mir, dass er diesen Entwicklungsprozess auf den Musikunterricht zurückführen kann. „Alle Instrumente, die ich gespielt habe, habe ich nie wirklich weitergeführt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie jetzt noch spielen kann”, erzählt Parris etwas schmunzelnd. „Ich denke, diese Grundlagen haben mir geholfen, zu verstehen, wie Musik funktioniert und strukturiert ist. Und ich konnte verschiedene Taktarten und Rhythmen kennenlernen, die mir damals geholfen haben, meine Musik weiterzuentwickeln.”

Reibungsfläche, um Interessantes entstehen zu lassen

2018 war mit dem Label Schluss. Der Sound der Soundman Chronicles passte nicht mehr zu der Musik, die Parris interessierte. Das Musikspektrum war begrenzt. „Mein Stil änderte sich stetig und passte nicht mehr zum Grundstil des Labels.” Parris interessierte sich jetzt für einen filigranen, zurückgenommenen Sound, der sich bisweilen auch an House orientierte. Ein Abweichen davon kam für ihn nicht in Frage. Er hatte ohnehin das Gefühl, dass Soundman Chronicles nur für einen gewissen Zeitraum existieren sollte. „Ich wollte einfach weiterziehen und neue Projekte angehen. Wenn ich aber darauf zurückblicke, bin ich schon stolz.”

Ende 2018 veröffentlicht Parris Puro Rosáceae, eine Platte mit subtilen Jungle-Einflüssen, auf Idle Hands, erstmalig haben seine Tracks ein House-Gerüst. „Musik ist für mich immer ein Moment. Und manchmal haben Dinge einen ganz bestimmten Moment und eine ganz bestimmte Zeit. Ich habe keine Angst davor, zu sagen, dass diese Zeit vorbei oder dieses Projekt nun vorbei ist. Manchmal verlieren bestimmte Dinge einfach ein bisschen von ihrer Magie.”

Call Super und Parris im Körnerpark Berlin (Foto: Claire Cichy)

Die Suche nach einem neuen musikalischen Schwerpunkt führte zu einer frustrierenden Blockade – der Druck, etwas neu erschaffen zu wollen, brachte Parris zum Stillstand. Fast ein Jahr lang konnte er sich nicht in seiner Musik wiederfinden. Die Lösung dieser Schreibblockade sollte eine simple Twitter-Freundschaftsanfrage an Joseph Richmond-Seaton sein, besser bekannt als Call Super. Beide verfolgten schon länger die musikalischen Arbeiten des anderen und besuchten sich auch bei Auftritten.

An einem Wochenende in Berlin fragte Parris spontan bei Twitter, ob beide nicht einfach mal abhängen wollen. So kam eins zum anderen, und „so haben wir uns dann zu einer Studiosession in Berlin getroffen. Joe ist für mich als Künstler sehr wichtig, speziell, was meine Entwicklung in den letzten zwei bis drei Jahren betrifft. Es kam ein Punkt, an dem ich sehr viel Vertrauen zu ihm aufgebaut hatte. Ich kann ihm meine Ideen mitteilen, und er kann mir helfen, sie zu verstehen. Er ist eine Art Mentor, jemand, der mir hilft oder mich bei meinen Ideen anleitet. Joe hat viel mehr Erfahrung als ich.”

Parris macht eine Pause, schaut nach unten und denkt nach. Dann schaut er mich wieder an. „Meine Musik befand sich an zwei verschiedenen Orten”, erklärt er. „Irgendwann wurde mir klar, dass ich nun endgültig funktionale Musik schreiben möchte. Musik, die sich klanglich vom Standard abhebt, aber zugänglich ist. Für ein neues Projekt muss man die Möglichkeit haben, mit BPM zu experimentieren, den Raumklang auszunutzen und die Musik auf eine ganz andere Art zu erforschen.”


 „Es geht darum, zu lernen und die Gemeinschaften zu verstehen, deren Raum man betritt”

Parris

Mit den Veröffentlichungen CANUFEELTHESUNONYRBACK von 2019 und Design Of A Body Sublime von 2020 legten sie die Basis für ihr gemeinsames Label CAN YOU FEEL THE SUN. Dass die beiden musikalisch zusammenkamen, ist ein wenig verwunderlich. Auf den ersten Blick bewegen sich beide in andere musikalischen Richtungen mit anderen Einflüssen. Beide Künstler ergänzen sich aber ziemlich hervorragend. Die Bandbreite scheint unendlich, Soundpatterns verschieben sich stetig, wenn sich zum Beispiel bei Design Of A Body Sublime Afro House und Bass mit Electronica verbinden. Eine eigentümliche Mischung aus verspielten Melodien von Call Super, Parris’ düsterer Raumklang durchzieht die Songs und bietet somit viel Reibungsfläche, um Interessantes entstehen zu lassen.

Nach regelmäßigen Studiosessions kamen die ersten gemeinsamen b2b-Sets. Mit der Zeit bildete sich aus gegenseitigem Respekt eine tiefgehende Freundschaft. „Joe ist ein sehr wichtiger Teil meiner musikalischen Reise. Er unterstützt und ermutigt mich. Er hat keine Scheu, zu sagen: ‚Das ist keine gute Idee’, oder ‚Mach’ das so, das wird funktionieren’. Wir haben so viel Respekt füreinander, dass wir die Ideen des anderen wirklich kritisch sehen können. Und der Grund, warum ich das neue Album auf unserem gemeinsamen Label herausgebracht habe, ist, dass ich ihm sowieso alle meine Ideen oder meine laufenden Arbeiten schicke. Für mich macht das Sinn.”

CAN YOU FEEL THE SUN versteht sich als ein ganzheitliches Kunstprojekt. Es ist das Produkt der Freundschaft der beiden. Das heißt jedoch nicht, dass es auf sie beschränkt sein soll. „Wir wollen, dass das Label so viel Offenheit wie möglich ausstrahlt”, sagt er. Auch andere Künstler*innen, die nochmal andere musikalische Einflüsse und Genres bedienen, sind willkommen, erklärt Parris. „Wir möchten mit dem Label einen ganz bestimmten Platz besetzen und positive Veränderungen anstoßen”, fügt er hinzu. Dazu zählen neben dem künstlerischen Aspekt auch gesellschaftliche Probleme wie Rassismus. Parris verrät mir, dass er seit einiger Zeit viele Bücher über die LGBTQ+-Community liest, um sich weiterzubilden. „Es geht darum, zu lernen und die Gemeinschaften zu verstehen, deren Raum man betritt”, sagt Parris in einem etwas ernsteren Ton.

 Keinen Song zweimal schreiben

Mit dem Album fügt Parris seiner Musik neue Wendungen hinzu: Sein Gespür für Raum kommt stärker als bisher zum Ausdruck, der punktuell platzierte Bass und die Polyrhythmen bleiben, Pop-Hooks kommen hinzu sowie ruhigere Ambient-Texturen. Auch persönliche Einflüsse wie seine Heimat London, seine Liebe zur Clubkultur, seine Freundschaften und sein eigener musikalischer Entwicklungsprozess werden in diesem Album verarbeitet.


„Die einzige konstante Wahrheit ist der Wandel. Dies ist eine Platte über das Verstehen von sich selbst.”

Parris

Das Eintauchen in den unverwechselbaren Sound Londons bildete einen großen Teil der Grundlage für Soaked In Indigo Moonlight. „Ich bin von der britischen Club- und Kulturszene der letzten zehn Jahre beeinflusst, hier hat sich der Sound wirklich verändert. Die Leute sind auch viel offener geworden. Ich möchte Musik schreiben, die zugänglich und dennoch klanglich interessant ist. Einige der Referenzen, die ich gerne benutze, sind Charlie XCX oder Frank Ocean. Sie sind gute Beispiele für Acts, die Musik facettenreich gestalten, aber die Grenzen dessen, was sie tun, verschieben. Laurel Halo macht das genauso. Das ist es, was ich auch machen möchte für meine Szene. Elektronische Musik nehmen und sie ein bisschen weiterbringen.”

Darüber hinaus ist das Album auch von Menschen um Parris herum geprägt. „Skater’s World” entstand, als er mit Peach zusammen das Skaten anfing. „Sie fragte mich damals: Warum kommst du nicht einfach mit? Und ich war so: Ja, warum auch nicht. Jetzt cruise ich mit dem Skateboard durch London und genieße diesen neuen Prozess des Lernens. Diesen Schritt beziehungsweise unsere Freundschaft wollte ich unbedingt mit einem Song würdigen und verarbeiten.” Laufen In Birkencrocs ist eine Ode an eine Zeit, als Call Super und Parris in Berlin waren und darüber diskutierten, ob letzterer sich ein Birkenstock-Tattoo stechen lassen sollte oder nicht.

Call Super und Parris im Körnerpark Berlin (Foto: Claire Cichy)

Parris versteht sich durch und durch als Londoner. Hier fing seine Beziehung zur elektronischen Musik an, die auch von seinen Freundschaften zu Peach oder Ploy zehrt. „Legendäre Clubnächte” offenbarten ihm seine Leidenschaft. „Ich kann mir aktuell einfach keine bessere Stadt vorstellen.” In anderen Städten fehlt ihm die musikalische Tradition. „Man geht nicht in eine andere Stadt, die keine ausgeprägte musikalische Szene hat. Berlin ist sehr interessant und hat auch eine große musikalische Tradition. Aber der Vibe ist ein anderer.”

Aufgewachsen in zwei sehr unterschiedlichen und wirtschaftlich benachteiligten Gegenden Londons, reflektierte Parris bei der Entstehung seines Albums zunächst sich selbst und fragte sich: „Was bedeutet es, von hier zu kommen und Musik zu machen?” Man könnte fast meinen, dass er mit seinem Album diese Frage beantwortet hat. „Die einzige konstante Wahrheit ist der Wandel. Das ist eine Platte über das Verstehen von sich selbst. Es ist ein Album darüber, wie man die Unterstützung findet, der man vertraut, um selbstbewusst etwas aufzubauen.”

Auf seinem Album nimmt er eine Perspektive ein, mit der er Widersprüche in seinem Leben verarbeitet. In Zukunft sieht er weiterhin positiven Wandel. Das bezieht sich natürlich auch auf seinen eigenen musikalischen Weg. „Ich möchte begreifen, wie mein Sound sich ändern und weiterentwickeln kann. Ich möchte nicht das Gefühl haben, einen Song zweimal zu schreiben.” Aktuell steht dem nichts im Weg. Nach einer Album-Releaseparty mit Auftritten von Peach, Shanti Celeste, Anz und Ploy konzentriert sich Parris nun direkt auf das nächste Projekt. In welche Richtung es dabei gehen wird, ist selbstverständlich offen. Hauptsache, es hört sich neu an.

In diesem Text

Weiterlesen

Features

28 Fragen: Cio D’Or

Groove+ Nach einer Krebserkrankung arbeitet Cio D'Or erneut an Musik und verrät uns neben dem irdischen Glück auch ihr Lebensmotto.

Fentanyl: „Eine sichere Dosierung ist kaum möglich”

Das Thema Fentanyl ist mit bislang ungekannter Dringlichkeit in der Clubkultur angekommen. Wir haben nach den Gefahren der Droge gefragt.

Oliver Hafenbauer und sein Label Die Orakel: „Viele mögliche Zukünfte” 

Groove+ Der einstige Robert-Johnson-Booker Oliver Hafenbauer hat sich als DJ, EOS-Mitgründer und Die-Orakel-Betreiber ein Profil erarbeitet.