Baldo – Working Overtime EP (STEP)
Der Barcelonese Baldo blickt bereits auf eine vielseitige Diskografie mit zahlreichen Veröffentlichungen auf unterschiedlichen Labelprojekten zurück.Vom acidinfizierten Dub Techno als BLD auf dem eigenen Tape Recordings bis hin zu neuerdings mehr discoorientiertem House auf dem Berlin-Barcelona-Digilabel Neovinyl. Auch mit Deep House mit Vocals hat Baldo keine Berührungsängste (zuletzt mit Josh Caffé von Paranoid London). Ganz im Gegenteil: solange sich irgendwo eine 303 unterbringen lässt, scheint Baldo in seinem Element.
Und auf dieser neuen EP für Catz ‘N Dogz’ Label STEP darf Caffé erneut mitsingen. Diesmal ist es „Prince Of The Night”, eine ziemlich derbe Acid-House-Nummer der beiden, die ordentlich Schwung mitbringt und Lust auf Ausgehen macht („leave your shit at the door”). „Infinite Breath” hingegen klingt nach generischem 90s-House mit Trance-Noten und geht ein wenig unter. Nicht etwa weil schlecht umgesetzt, aber doch etwas zu oft so gehört. „Spatial Delivery” punktet mit mehr Wiedererkennungswert dank Diva-Vocals und bounciger Acid-Bassline zu Oldschool-Drums. Youandewans Remix dazu opfert die Vocals für ein Mehr an Druck und Geradlinigkeit; das befeuert den aufs Wesentliche reduzierten Groove und bumst zielsicher Richtung Sonnenaufgang. Leopold Hutter
Dea – Glazer Drum EP (Gudu)
Aradea Barandana alias Dea gehört in Indonesiens Clubmusikszene zu den großen Namen und legt nun sein Debüt auf Gudu vor. Und dieses beginnt kompromisslos: Vier Takte harte Bassdrum, dann ergänzt durch einen klassischen Sechzehntel-Bass-Synthesizer und knallige Snaredrum-Schläge. Kurz scheint klar zu sein, wohin das alles führen soll, aber schon sind auch lateinamerikanische Percussions im Spiel und eine abgedrehte Synthiefläche. Es folgt für wenige Takte eine Rückkehr zur Ausgangslage, aber dann morpht der Bass in eine ebenfalls ziemlich freakige Richtung. Fortan beginnen alle diese Elemente, sich unvorhersehbar-untypisch in immer neuen Konstellationen abzuwechseln. Was in der Summe einen der Tracks des Jahres ergibt – mindestens ein Top-50-Platz sollte ihm sicher sein.
Das zweite Stück „Zaria Sto Chaos” bringt dann wieder eine ganze Menge Elemente zusammen, die nicht unbedingt danach schreien, kombiniert zu werden: Wieder eine Sechzehntel-Acid-Bassline, gesprochene griechische Vocals, einen House-Piano-Part und harmonisch-freundliche Streicher-Einschübe. Aber alles passt wie selbstverständlich zusammen – inklusive donnernder Simmons-Toms-Breaks. Man muss sich nur trauen.
Beim folgenden „Mahfudzot” übernimmt Deas Landsmann Ican Harem von Gabber Modus Operandi die Vocals, auch hier gibt es wieder einen filmreifen String-Part und einige Achtziger-Referenzen, vor allem im Bass- und Drum-Sound-Design. Die EP wird abgeschlossen von einem Remix, den kein Geringerer als I:Cube von „Mahfudzot“ angefertigt hat. Er streicht die Achtziger-Bezüge aus dem Original größtenteils heraus und kreiert musikalisch einen gewissen Asienbezug, der aber unkonkret und assoziativ bleibt und in kein Fettnäpfchen in Sachen westlicher Überheblichkeit tapst. Mathias Schaffhäuser
Griffit Vigo – Art is Talking (Maloca)
Nach seinem Debütalbum I Am Gqom aus dem vergangenen Jahr führt der südafrikanische Produzent Khulekani Griffith Radebe alias Griffit Vigo seinen hypermodernen Tribalismus auf der EP Art Is Talking fort. Da er Transparenz gegenüber vollen Arrangements bevorzugt, kann auf den ersten Eindruck so wirken, als passiere bei ihm nicht gerade viel. Dabei bildet er aus seinen knappen Stimmensamples, Beats und eher zurückhaltend eingesetzten Synthesizern polyrhythmische Geflechte mit entschlossen drängendem Groove. Hinzu kommt der Hall, wenngleich auch der nicht übertrieben gestreckt ist, was zusammen mit gelegentlichen tiefen „Gqom”-Rufen, in „Ipani” um Tierschreie ergänzt, für eine leicht sinistre Stimmung sorgt. Die Zukunft hat derzeit ja nicht den besten Leumund. Tim Caspar Boehme
Mike Parker – Reduction/Spiral Snare (Geophone)
Ein 20-jähriges Jubiläum feiert Mike Parker mit dieser kompakten Remaster-EP auf seinem Label Geophone. Der Jubiläumstrack „Reduction”, ursprünglich vom Album Dispatches (2001), ist dabei prototypisch für den hypnotischen Sound, der Parker zu eigen ist und den man in den vergangenen Jahren beispielsweise von Künstlern wie Donato Dozzy gehört hat. Das mag nicht jede*r aufregend finden, das Arrangement ist jedoch über jegliche Zweifel erhaben und zieht Hörer*innen von Minute zu Minute tiefer in einen Strudel aus weit hallendem Reverb.
Energetischer geht es in „Spiral Snare” zu, einem bislang unveröffentlichten Track von 1998, den Parker jüngst in seinem Archiv wiederentdeckte. Die 90er Jahre sind „Spiral Snare” zweifellos anzuhören, jedoch nur im besten Sinne. Der Track ist hart und schnell, behält den Fokus auf einigen wesentlichen Elementen und braucht auch nicht mehr als diese, um seine ganze Energie zu entfalten. So schmerzhaft der nun folgende Griff in die Klischeekiste der Plattenkritik auch sein mag, diese EP ist in der Tat zeitlos. Ruben Drückler
Shan – Midnight Basics EP (Permanent Vacation)
Mit der Midnight Basics EP gibt Victor Shan sein Permanent-Vacation-Debüt. Die fünf Tracks unterstreichen die 90er-Rave-Expertise des hessischen Producers und sind, wie von seinen Releases auf Running Back oder Live At Robert Johnson gewohnt, bestechend auf den Punkt gebracht. Spezifisch ist die in jedem Element – seien es die unwiderstehlichen Grooves, seien es die hier oft sphärisch verdichteten Sounds – waltende freie Musikalität, der Dialog von Farbigkeit und Hallräumen, und wie all dies sich im Arrangement zu einer Entität organisiert. Überraschend wirkt die generelle Zurückgenommenheit und Deepness hier: Die Peaktime liegt zur Mitternachtsstunde noch in einer gewissen Entfernung.
Selbst „Renegade”, der in dieser Hinsicht offensivste Tune, dekliniert eine Build-up-Situation. Tiefer in die Nacht, mal gleitender („Eternal Rhythm”), mal rollender („Forever Young”), lautet die Devise. „Modus Infiniti” ist ein Track wie ein Breakdown, in der beatlosen Ambientversion könnte dazu auch gut ein neuer Tag anbrechen. Shan bedient auf der Midnight Basics EP weder Zuspitzungswünsche noch Nostalgieerwartungen, sondern nimmt nochmals die seinerzeit neue Endlosigkeit der Nächte in den frühen Neunzigern in den Blick – aus einer Entfernung von 30 Jahren, mit einer Abgeklärtheit, die komplett gegenwärtig ist. Hinsichtlich dieser synoptischen Perspektive auf den Dancefloor rangiert Shan als Producer in einer Liga mit Martin Enke und Philipp Lauer. Harry Schmidt