Nasty King Kurl und Nosh (Foto: Anna Ehrenstein)

Kaum ein Producer wirft verschiedene Breakbeat-Styles so beherzt durcheinander wie Nasty King Kurl. Dabei macht der Wahlberliner auch vor Reggae-, Hip-Hop- und Trap-Einsprengseln nicht halt. Dass der Mann mit fränkisch-puerto-ricanischen Wurzeln mit überraschenden Referenzen aufwartet, heißt allerdings nicht, dass er nicht stabil in der Berliner Feier-Landschaft verwurzelt ist. Da ist das berühmt-berüchtigte Breaks-Mekka Mother’s Finest seine Anlaufstelle.

Unser Autor Lutz Vössing wollte von Nasty King Kurl wissen, wie er zu seinem so unwahrscheinlichen wie unverwechselbaren Style-Mix kam, wo er das Selbstbewusstsein hernimmt, so unverblümt zwischen Genres hin- und herzuspringen – und inwiefern die Musik vielleicht die größte Leidenschaft in seinem Leben ist, aber doch nur eine von mehreren.


Bei Nasty King Kurls Besuch in der GROOVE-Redaktion kommt man schnell ins Gespräch über ein gemeinsames Leiden: Die Skoliose, eine leicht seitliche gekrümmte Wirbelsäule, die Autor wie Musiker plagt. Diese hält David Figueroa, so heißt er bürgerlich, davon ab, seiner – vermutlich vom Vater geerbten –  Leidenschaft, den Mixed Martials Arts, intensiver nachzugehen; einem Potpourri verschiedener Kampfsportarten, das vor allem durch die oft blutig ausfallenden Cage-Fights auffällt und irgendwie nicht recht zu dem wenig brutal wirkenden Herren zu passen scheint. Eher klein, mit einem etwas verschlafenen, gutmütigen Blick.

Dann spricht Figueroa über den Hund Nosh, seinen vierbeinigen Begleiter, und kommt auf sein letztes Wochenende zu sprechen. Einige Tage vor dem Interview hat er im Salon zur Wilden Renate auf der Mother’s Finest gespielt, wo er unter anderem neben Hodge und Anz im Programm war. Es war sein erster Indoor-Gig seit Corona, den er als eher mittelmäßig empfand, „da Publikum und Musik einfach nicht recht zusammenpassten.” Figueroa ist ein quirliger Typ. Ruhig, nicht aufgedreht, aber voller Energie, Ideen und Gedanken. Man könnte es auch als sprunghaft bezeichnen.

Nasty King Kurl Studio Dream (Foto: Anna Ehrenstein)

Darauf angesprochen bestätigt er meine Beobachtung und meint, ihm würde schnell langweilig. Musikalische Abwechslung sei deswegen wichtig. Mother’s-Finest-Macher Franklin de Costa nennt seinen Sound, der mindestens genauso facettenreich ist wie er selbst, deswegen liebevoll Mashup. Und das hat Gründe, die in seinem Leben und seiner Musik zu finden sind.

David Figueroa kommt aus einem ganz, ganz kleinen Dorf in der Nähe von Bamberg: Burgellern, am Rande der fränkischen Schweiz. Er ist Sohn eines puerto-ricanischen US-Soldaten, der ihm als Gestalter christlicher Murals die Malerei und als Boxer den Kampfsport in die Wiege legte. Und einer deutschen Mutter aus der Region, die vergeblich versuchte, ihn für die Geige zu begeistern.

Im Jahr 2003, als 15-jähriger Bub, begann er, mit Fruity Loops selbst Hip-Hop-Beats zu produzieren. Es folgten die ersten Techno-Festivals wie das Sonne Mond Sterne, an die er sich heute mit einem Schmunzeln erinnert: „So Prolo-Dinger halt. Auf der Nature One war ich auch.” Mit 16, nach seinem Umzug nach Bamberg, fing er dann an, selbst aufzulegen und die ersten Partys zu veranstalten. „Mein erster richtiger Auftritt war dann mit 18 im U in Bamberg.”


„Münster war die schlimmste und langweiligste Stadt überhaupt, wie die Truman Show; alles total clean und fake.”

Nasty King Kurl

Bamberg, wo er auch seine Oberstufenzeit absolvierte, sei eine Mischung aus „superschön und total abgefuckt.” Das liegt daran, dass die Stadt im Zweiten Weltkrieg stark zerbombt wurde, vorher aber als eine der schönsten Städte Deutschlands galt. Zwar sei sie äußerst konservativ, subkulturell aber gut aufgestellt. Auch, weil es schon immer eine Student*innenstadt war. „Seit den 1990ern haben da schon immer krasse Leute gespielt, aus Frankfurt und so. Die Szenen waren da wohl irgendwie verknüpft. Es gab eine krasse Punk-Kultur, viele Metalbands. Man konnte da ziemlich viel machen.”

Nasty King Kurl Studio Miami (Foto: Anna Ehrenstein)

Zum Beispiel alibimäßig zwei Semester Philosophie studieren, um die Zeit zum Kunststudium zu überbrücken. „Philosophie hat mich schon zu Schulzeiten interessiert, Altgriechisch war deswegen mein Lieblingsfach. Was mich am meisten an Philosophie fasziniert hat, ist das Argumentieren, manchmal möchte ich’s auch einfach nur Streiten nennen. Das Aufeinanderprallen zweier oder mehrerer Meinungen und das anschließende Ausfechten mit Hilfe von Logik und Sprachgewandtheit. Meine Lieblingsphilosophen waren immer die Sophisten, die einfach nur argumentieren, um zu gewinnen, egal, ob sie wirklich hinter ihrer Meinung stehen oder nicht, und damit Sokrates kräftig ans Bein pissen. Schöne, frühe Form von Nihilismus.”

Doch wegen des mit den damals etwa 80.000 Leuten doch eher kleinstädtischen Ambiente ging es zuerst nach Münster, um Malerei zu studieren. Aber nur kurz: „Münster war einfach die schlimmste und langweiligste Stadt überhaupt. Es war wie die Truman Show; alles total clean und fake. Überall Polizei auf Fahrrädern. Ganz furchtbar.”


„Die Mother’s Finest bietet eine Kombination von Leuten, die man in der Kombination und Dichte sonst nicht oft zu sehen bekommt.”


Weil ihm die patriarchalen Strukturen an der dortigen Uni nicht gefielen und ihm an einem Kunst-Abschluss eh nicht viel lag, zogen er und seine damalige Freundin nach Köln. „Vor allem in meinem damaligen Alter hat das Leben da viel mehr Spaß gemacht. Und ich konnte so schnell wie möglich aus Münster weg. In Köln habe ich zu der Zeit zwar recht viel aufgelegt, aber war noch nicht so aufs Produzieren fokussiert. Ich war noch hin- und hergerissen zwischen Musik und Kunst.”

Figueroa macht eine Pause, denkt nach. „Ich habe eigentlich nicht wirklich einen Traum, den ich verfolge. Ich versuche Dinge realistisch zu sehen und schaue, was kommt. In den letzten zehn Jahren hab ich vor allem Gastro gemacht, aber auch eine Vielzahl anderer kurzer Jobs, vom Tischler bis zu Eventbau, Gartenbau, Modeln, Bühnenbild am Theater und vieles anderes.”

Für Figueroa ist Köln die vielleicht legendärste Stadt für elektronische Musik in Deutschland. Mit Clubs wie dem Odonien oder dem Gewölbe. Aber auch wegen ihrer Geschichte mit dem Studio für elektronische Musik des WDR, Karlheinz Stockhausen, der Kosmische-Band Can und natürlich Kompakt.


Wohnort: Berlin.

Seit wann am Produzieren: Mit 15 erste Versuche. Meine erste Veröffentlichung ist die SETR005 auf Serious Trouble von 2017.

Dein erster richtiger Gig: Erster Gig 2007 als Louis Louis im U in Bamberg, als Nasty King Kurl am 13.04.2019 im OHM.

Was auf deinem Hospitality Rider nicht fehlen darf: Ein*e Tontechniker*in für den Soundcheck und ein Whiskey-Shot.

Diesen Track höre ich in letzter Zeit gerne: BEAM – Cactus.


Wenig später, 2010, zog Figueroa nach Berlin und baute sich mit Bar-Jobs ein wirtschaftlich stabiles Standbein auf. 2017 erschien seine Debüt-Maxi auf Serious Trouble. Bald lernte er 777-Macher Ron Wilson kennen und es erschienen zwei Maxis auf dessen Label. Zu seiner Heimat im Berliner Nachtleben wurde die Mother’s Finest, einst in der Griessmuehle, jetzt im Salon zur wilden Renate. 

Ohne Verpflichtungen, ohne Angst, etwas zu verpassen  


„Dafür ist Franklin De Costa am meisten verantwortlich”, erklärt Figueroa. „Wir haben früher schon an denselben Orten gespielt. Da hat er mich gefragt, ob ich einen Track für den Sampler beisteuern will, und so kam eins nach dem anderen.” Mother’s Finest könnte als Label und Party nicht passender sein. De Costa präsentiert dort einen UK-Sound, den er zur etwas intellektuelleren elektronischen Musik zählt. „Sie bieten eine Mischung von Leuten, die man in der Kombination und Dichte sonst nicht oft zu sehen bekommt”, erklärt er.

Nasty King Kurl Green Shirt Mask (Foto (Anna Ehrenstein)

Umso besser, dass ein zugehöriges Label aus der Taufe gehoben wurde. Vom Fan wurde er zum Label-Artist: Erst ein Sampler, dann die eigene EP Hekate. Figueroa lobt die Zusammenarbeit mit Hodge und De Costa, die das Label zusammen betreiben. „Die beiden sind super hinterher, sich um alle Sachen zu kümmern. Es war bisher der einfachste Prozess, den ich hatte, eine Platte zu machen. Ich wurde wirklich ständig einbezogen, konnte meine Ideen einbringen und sagen, wie ich es haben will. Und sie sagten: ‚Cool, machen wir so.’ Auf meine Wünsche wurde bedingungslos eingegangen.” 


„Mittlerweile arbeite ich nur noch digital – der Praktikabilität und des Spaßes wegen.”


Doch neben der gemeinsamen Arbeit im Team Mother’s Finest hat der äußerst entspannte Figueroa auch eine andere Seite. Nicht düster, aber zurückgezogen. So kam es auch, dass ihm der Lockdown während Corona weniger zusetzte als manch andere*n. So genoss er es gehörig, ohne Verpflichtungen, ohne Angst, etwas zu verpassen, seiner isolationistischen Arbeitsethik nachzugehen und einfach sieben Tage in der Wohnung verschanzt an seiner Musik zu werkeln. „Es war etwas, das mich erleichtert hat und nicht aus der Bahn warf – vom emotionalen Standpunkt aus.”

Neben den eher konzeptuellen, also klanglich tighten Veröffentlichungen auf 777 oder Mother’s Finest, die immer jeweils eine Art Geschichte erzählen, nimmt er sich für sein Label Nasty Enterprises sämtliche Freiheiten und würfelt den Sound schon mal komplett durcheinander. Auf fünf Songs können auch mal fünf verschiedene Genres vertreten sein – wie Miami Bass, Trap-Rap, Hip Hop und so weiter. Sein größter Einfluss ist aber hörbar der Miami Bass. „Nasty Enterprises fungiert für mich wie eine Plattform zum schnellen Veröffentlichen ohne Filter.”

Nasty King Kurl Green Chain (Foto: Anna Ehrenstein)

So lässt sich der mittlerweile bis zu zwölf Monate dauernde Prozess fürs fertige Vinyl umgehen. Manchmal dauert es vom Beginn bis zur fertigen EP sogar nur einen Tag. „Da sind zum Teil einige meiner bestverkauften Tracks dabei gewesen, wie „Temperature” und „Get Right”. Für Nasty Enterprises erwies sich sein Studium der Malerei als offensichtlich nicht gänzlich unfruchtbar.

Auf die Frage, ob das irgendeinen Einfluss auf seine künstlerische Arbeit habe, meint er: „Davon ist auf jeden Fall noch einiges übrig: Ästhetisches Verständnis, klare Vorstellungen, wie die Grafiken von Nasty Enterprises auszusehen haben. Und das Ganze lässt sich natürlich auch auf digitale Kunst übertragen mit Hilfe von Photoshop und Illustrator, die ich ständig für die Labelarbeit brauche.” Auf Nasty Enterprises veröffentlichte er kürzlich wieder eine neue Ausgabe der Nasty Tales, seiner nun sechsten Label-Compilation, für deren Zusammenstellung zwar er zuständig ist, deren Artwork jedoch diesmal Lolsnake alias Lulu Rahal beisteuerte.

Musik macht er intuitiv, weder bloß für sich selbst noch fürs Publikum. Die anfängliche Überzeugung, bloß analog zu produzieren, überwarf er nahezu völlig. „Ich hab’ früher alles analog gemacht und am Ende nur die Spuren aufgenommen. Ich hab’ darauf geschworen, dass das das Einzige war. Dann bin ich umgestiegen auf Ableton. Das habe ich am Anfang gehasst wegen des Mischens und Masterns. Aber es funktioniert intuitiv und schnell. Und mittlerweile arbeite ich nur noch digital – der Praktikabilität und des Spaßes wegen. Es ist 10.000-mal praktischer als eine MPC zu haben. Das digitale Arbeiten passt einfach genau zu meinem Workflow.”

Ein Tierheim in den Bergen 

Bei seinem eklektischen Sound stellt sich die Frage, welche Einflüsse es eigentlich seien, die seine Musik zu dem machen, was sie sind. „Ich richte mich recht wenig danach, wie sich Dinge anhören sollten. Ich mache das, was ich mache, nachdem ich den ganzen Tag Hip Hop, Black Metal, Garage Punk oder klassische Musik gehört hab’. Ich höre Hip Hop, R’n’B und Trap, da bin ich auf dem neuesten Stand. Ich höre mir jede Woche Neues an und entscheide, was was in den Auflege-Ordner kommt.”


„Ich habe viel als Barmanager gearbeitet. Das ist auch etwas, das ich jederzeit wieder machen kann. Da habe ich viel Erfahrung.” 

Nasty King Kurl

Ganz abgesehen davon, wie er selbst an die Sache herangeht, wünscht er sich auch, „dass es in der elektronischen Musik allgemein mehr Abwechslung gibt. Dass Leute weniger Probleme haben, verschiedene Genres einzubauen. Dass man im Berghain auch mal zur Primetime einen Trap-Beat reinhauen kann, ohne einen Skandal auszulösen. Aber ich hab das Gefühl, das lockert sich gerade sowieso ein bisschen auf.”

Er selbst versucht, seinen Teil zur erhofften Veränderung beizutragen. Deswegen sind seine eigenen Produktionen auch so vielfältig und durchmischt. In Zukunft will er aber mal wieder ein paar Sachen für den Peaktime-Dancefloor produzieren. „Etwas seriöser”, wie er sagt. 

Nasty King Kurl (Foto: Anna Ehrenstein)

Figueroa wirkt gelassener als andere junge Musiker*innen, vielleicht weil er auch jenseits der Musik einige Leidenschaften und Hobbys hat. So wirft es ihn auch nicht völlig aus der Bahn, dass aus der Idee, die Musik zum Hauptstandbein zu machen, wegen Corona erstmal nichts wurde. Sein zweites Standbein ist die Gastronomie. „Ich habe viel als Barmanager gearbeitet. Das ist auch etwas, das ich jederzeit wieder machen kann. Da habe ich viel Erfahrung.” Außerdem bietet sein Hobby, der Kampfsport Mixed Martial Arts, einen Ausgleich zu Musik. Auch wenn er jetzt schon etwa ein Drittel seines Lebens in Berlin verbracht hat, hält ihn nichts in der Stadt.

Er und Nosh, sein Hund, lieben die Berge, weswegen ein Umzug in die Schweiz für ihn eine denkbare Option ist. Alternativ könnte er sich vorstellen, ein Heim für Straßenhunde zu errichten. „Für einen professionellen Kämpfer der Mixed Martial Arts bin ich leider zu alt. Ich würde wohl einfach Hunde von der Straße retten und ein Tierheim eröffnen.”

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