burger
burger
burger

Motherboard: Juli 2021

- Advertisement -
- Advertisement -

Die gar nicht so traurigen Trümmer von IDM, Hardcore, EDM und anderen extrem gemachten Trap-Mainstream und Underground-Styles sind auf dem LP-Debüt des Hakuna-Kulala-Residents und Studiobetreibers Don Zilla zu brütenden Post-Club-Sounds eingedampft, die selten bis in 170+-BPM-Gewitter ausbrechen müssen, um lässig klarzumachen, dass sie doch jederzeit möglich sind. Ekizikiza Mubwengula (Hakuna Kulala) kultiviert das bedrohliche, potenziell disruptive Glimmen von Dark Ambient. Die Unterströme, die Lava ihres klanglichen Fundaments ist allerdings fluide, kann dir jederzeit den Boden unter den Füßen wegziehen.

Der japanische DJ und Produzent Foodman stochert ebenfalls gerne in den Überresten von IDM, Instrumental Hip Hop, Trap und extremeren Beat- oder Bass-Formen Wie Juke, Footwork oder Miami Bass (ohne Bass). Das kann auf Yasuragi Land (Hyperdub, 9. Juli) genau so hibbelig und kawaii enden, wie es das Klischee des hyperkoffeinierten japanischen Beat-Nerds will, aber es kann eben nicht weniger locker aus der Hüfte heraus in hyperkomplexem Free Noise enden, in beinahe psychedelischem Freakout. Foodman ist einen wirklich weiten Weg gekommen, dabei immer beim guten Essen geblieben. Richtig so.

Im dritten Teil der initialen Kompilationsreihe des neuen Berliner Labels Concentric findet sich ein ästhetisches Kontrastprogramm zu Don Zilla und dem Tetra Hysteria Manifesto. Dennoch wirkt es erstaunlich komplementär. Fein nuancierte Graustufen in Dub statt grellem Gabber-Neon, mit Minimalismus statt all in, setzt sich Radiant (Concentric, 9. Juli) doch ebenfalls auf spannende Weise mit dem Erbe von IDM und Hardcore auseinander. Hier sind ebenso Überraschungen möglich, etwa ein straightes Pop-Techno-Stück von Maayan Nidams jüngstem Projekt The Waves neben erwartungsgemäßer Qualität von langjährigen Systematikern und Struktur-Minimalisten wie Max Loderbauer oder Petre Inspirescu.

Die zweite Veröffentlichung des polnischen Streetwear und Sportmodelabels MISBHV ist nach einer slammenden Wave-Techno-EP von Wolfram und DJ Hell eine ganz andere, viel zurückhaltendere Geschichte zum Immer-Noch-Hype-Thema Meditation. Dennoch ist das Album, das in drei Teilen erscheint, denkbar weit entfernt von zu Wellness oder Selbstoptimierung umfunktionierten Aneignungen yogischer Praktiken. Fast genauso weit, wie es von den glamourösen Versprechen der Catwalk-Industrie abgelöst scheint – letztere bedient die erste EP, wenn auch dekonstruiert und ironisch, doch weit besser. Stattdessen knüpft das vom Warschauer Produzenten Artur „Artur8” Korycinski zusammengestellte MEDITATIONS – A Sonic Response (MISBHV, 2. Juli) unterirdische Wurzelnetzwerke zwischen experimenteller Elektronik, der polnischen (Free)Jazz-Szene und Sound Art aus aller Welt. Hier ist wirklich viel möglich. Die Idee, dass Meditation den Geist freisetzen kann und dazu noch den Körper befreit, hier ist sie noch ganz roh und frisch, nicht in Lehren dogmatisiert und definitiv nicht zu Wellness-Feelgood-Formeln verkürzt. So passt hier neben eine halbstündige Akustik-Gitarrenverzwirbelung, Dark Ambient und Techno-Dekonstruktionen eben auch ein netter Popsong von Hot Chip Alexis Taylor.

Wieviel mehr weniger sein kann, führt die vierköpfige Combo Island People nun zum zweiten Mal vor. Allesamt renommierte Produzenten, Tontechniker und Sessionmusiker aus Schottland und Irland, endet das Zusammenspiel der Vier auf II (Raster Artistic Platform) nicht im naheliegenden Post-Rock, sondern in reduziertem Dark Ambient. Einem Sound allerdings, der jederzeit Licht und Luft reinlässt, offene Fenster in eine karge, erhabene Landschaft voller kleiner Überraschungen. Ebenfalls ein Album, das definitiv bleibt, gerade in seiner unaufdringlichen Art lange Bestand hat.

Die Frühjahr-Sommer-Kollektion der japanischen Muzan Editions kommt Jahreszeiten-konform ausgeruht und warm klingend daher. Minimalistisch agieren ihre Künstler*innen ja sowieso immer. Global netzwerkend geben die drei Tapes einen kleinen, aber spannenden Einblick in eine überaus produktive jüngere Generation von Produzent*innen die selbstverständlich international und über Genre-Grenzziehungen hinweg agieren. Sound Art, Ambient und Drone, Field Recordings und Synthesizer dürfen alles mitmachen, müssen aber nichts. Die unmittelbar einleuchtenden, strahlendsten Klänge stammen von Jordan Christoff aus der Provinz Westkanadas in British Columbia, ansonsten bei den Postrockern von Anarchist Mountains und im Drone-Duo PJS tätig. Wie der Titel Wombs (Muzan Editions) andeutet, geht es um immersive Synthesizerklänge in langer Form, raumgreifend, raumfüllend und raumwärmend.

Das Duo Wouter Jaspers und Steffan de Turck aus Tilburg in den Niederlanden, die sich zusammen Preliminary Saturation nennen, reiht im lässigen Summer Breeze (Muzan Editions) noch mehr Quellen und Klänge ein, von Field Recordings bis Noise fügt sich so einiges in zwei langformatige, tiefe Drones, scheint unvermittelt auf und verschwindet wieder, verdichtet sich und fließt wieder auseinander.

Das Ocram Orchestra des deutschen, in Taipeh lebenden Produzenten Marco Wollenberg, der unter anderem Teil von L’Amour Fou war, zusammen mit dem Heidelberger Urgestein Move D, gibt auf Music From The Same Place (Muzan Editions) vielleicht die traditionellsten Klänge des Kassetten-Trios zum Besten. Dubbige Electronica ohne Beat, aber rhythmisch, feines Klopfen und perlende Synthesizer, eben wie bei Move D gelernt, der ja tatsächlich dekadenlange Erfahrung in der Produktion traditonelleren Ambients hat.

In diesem Text

Weiterlesen

Features

[REWIND 2024]: Gibt es keine Solidarität in der Clubkultur?

Aslice ist tot. Clubs sperren zu. Und die Techno-Szene postet Herz-Emojis. Dabei bräuchte Clubkultur mehr als solidarische Selbstdarstellung.

Cardopusher: „Humor steckt in allem, was ich tue”

Luis Garbàn fusioniert lateinamerikanische Rhythmen mit futuristischen Klängen. Wie er dazu kam, erfahrt ihr in unserem Porträt.

Polygonia: Durch die Akustik des Ursprünglichen tanzen

Polygonia verwebt Clubkultur mit der Natur und verleiht Techno eine organische Tiefe. Wie und warum sie das tut, erklärt sie im Porträt.