Daniel Avery (Foto: Daniel Avery)

Daniel Avery galt lange als Wunderkind jener Sparte der britischen Clubmusik, die im Zeichen der ersten Katalognummern von Warp steht. In der Obhut seines Mentors Erol Alkan war die Erwartung dann groß, ob er dem Anspruch dieser Tradition genügen würde. Tatsächlich sollte der in London lebende Daniel Avery nicht enttäuschen. Mit der Veröffentlichung seines Debütalbums Drone Logic im Jahr 2013 brachte er dann seinen ganz eigenen, cleanen Sound in die Welt, der die Ekstase-Politiken von Techno und Acid House in eine Welt jenseits der Ekstase, in eine Welt der Überwachung, der Kontrolle und der autonom agierenden Technik übersetzte.

So gelang es Avery wie wenigen Künstler*innen des vergangenen Jahrzehnts, den Spaß auf dem Dancefloor im Auge zu behalten und ihn zugleich stets zu transzendieren. Mit unserem Autor Lutz Vössing spricht der 1985 geborene Daniel Avery unter anderem über seine prägenden musikalischen Erfahrungen. Ein gutes Ohr erkennt bereits im Opener von Drone Logic den Einfluss von The Prodigy, auf die er im Gespräch ausführlich eingeht. Gerade ist sein fünftes Album Together In Static erschienen, nachdem im letzten Jahr mit der Alessandro-Cortini-Kollaboration Illusion of Time und Love + Light bereits zwei Alben erschienen waren.

„Ich sehe Together in Static und Love + Light aus dem letzten Jahr als Geschwister”, erklärt Avery dazu. „Sie sind definitiv aus dem selben Gefühl entstanden. Als der Lockdown kam, konnte ich durchatmen und mich völlig auf die Musik konzentrieren, ohne an das Touren und Auflegen zu denken. Und was dabei herauskam, waren zwei unverfälschte, aufrichtige Alben, auf die ich unendlich stolz bin. Man kann sie Lockdown-Alben nennen, aber sie sind noch viel mehr. Auf der einen Seite drückt Love + Light eine Sehnsucht aus nach dem, was wir gerade verloren haben, während Together in Static auf der anderen Seite einen wesentlich optimistischeren Ton anschlägt.”


My Bloody Valentine – Loveless (Creation, 1991)

Loveless ist für mich das wichtigste Album überhaupt. Es ist perfekt. Es steht zugleich symbolisch für das Thema des Entdeckens. Ich war 16, als ich es zum ersten Mal gehört habe. Es steht also für eine Zeit, in der ich mich leidenschaftlich mit Musik beschäftigt und Dinge entdeckt habe, die wirklich meine eigenen Entdeckungen waren. Ich wurde zu einem Musik-Fanatiker. Richtig obsessiv. Und jede dieser Bands von The Jesus and Mary Chain über Joy Division bis zu den The Stooges oder The Velvet Underground – also Musik, die eigentlich schon lange existierte – war für mich wie eine Eintrittskarte in eine völlig neue Welt. Und Loveless von My Bloody Valentine repräsentiert genau das. Musikalisch ist das Album äußerst noisy und verzerrt. Aber das ist nur die Oberfläche. Darunter liegt viel Schönes. Und dieses Nebeneinander ist es, was mich so überwältigt. Und genau das ist es auch, was ich in meiner Musik zu erschaffen versuche.

Loveless ist auch ein sehr, sehr warmes Album.

Warm ist das perfekte Wort. Wenn du Loveless zum ersten Mal hörst, dann willst du sofort eintauchen und darin aufgehen. Und wenn es durchgelaufen ist, fühlt sich der Raum völlig leer an. Diese Wärme und Tiefe hat mich sehr beeindruckt.

The Prodigy – Music For The Jilted Generation (XL Recordings, 1994)

Mein Vater hat mich zum ersten Mal auf ein Konzert mitgenommen, als ich elf war. Das war im Jahr 1997, und The Prodigy wurden gerade zu den Kings of the World. Das war eine unfassbare Erfahrung. Ich erinnere mich daran, dass der ganze Raum am Vibrieren und Wackeln war. Und das hat wirklich auch was mit mir gemacht. Zu diesem Zeitpunkt waren sie ein Riesending, jeder kannte sie. Und was mich so beeindruckt hat: Sie sind in ihrer Art, Crossover zu machen, nie Kompromisse eingegangen. Sie waren extrovertiert und energetisch, aggressiv und heftig und voller Energie. Und das hat Leute aus allen möglichen Richtungen angezogen. Neben der Wärme von My Bloody Valentine beziehe ich mich im Studio, besonders was die Drums angeht, auf The Prodigy.

Queens Of The Stone Age – Rated R (Interscope, 2000)

Was verbindest du mit den Queens?

Das ist ähnlich wie mit My Bloody Valentine. Sie waren meine ganz eigene Entdeckung. Als ich acht oder neun war, habe ich beim Zocken ein Tape mit Nirvana rauf und runter gehört. Mein Vater war und ist ein begeisterter Plattensammler. Er hat gesehen, dass ich sie liebte, und mir dann das erste Black-Sabbath-Album gegeben. Alles daran – vom Sound bis zum Artwork – hat mich total begeistert. Und ich glaube, das war meine Initiation fürs Plattensammeln. Und zugleich für meine Liebe zu heftiger, groovender, psychedelischer Gitarrenmusik. Smashing Pumpkins, Deftones, Kyuss – und eben die Queens of the Stone Age. Rated R ist vermutlich das Album, das ich am meisten gehört habe. Es ist ein perfekter Trip. Was ich am meisten daran liebe, ist, dass es sich durchgängig wie eine Reise anfühlt. [Sänger und Gitarrist, d. Red.] Josh Homme hat gemeint, dass sie sich im Studio gesagt haben, mit jedem Song einen Klassiker schreiben zu wollen. Und das haben sie, glaube ich, geschafft. Was ich auch liebe an den QOTSA, ist ihre Arbeit als Kollektiv. Sie haben immer daran geglaubt, als Team zu arbeiten und verschiedene Gäst*innen einzuladen, um diese Klassiker gemeinsam zu erschaffen. Ich habe mehr und mehr so gearbeitet, dass ich verschiedene Künstler*innen ins Studio gebracht habe, um etwas zu kreieren, das größer ist als ich allein.

Verfolgst du noch, was in diesem Bereich veröffentlicht wird?

Ich habe das Gefühl, dass ich ein bisschen aus dieser Szene rausgefallen bin. Ich hatte einfach nicht die Zeit dafür. Aber es gibt so viel cooles Zeug, und es steht definitiv auf meiner To-do-List.

Björk – Vespertine (One Little Indian/ Polydor, 2001)

Björk habe ich zur selben Zeit wie diese ganzen Indie-Bands entdeckt. Und simultan dazu kamen elektronische Sachen wie Autechre, Boards of Canada oder Aphex Twin, die dieselbe Seele hatten wie diese Indie-Bands. Und Björk war für mich der Höhepunkt dieses Sounds. Und abermals: Es repräsentiert eine äußerst spannende Zeit in meinem Leben. Ich könnte auch Kid A von Radiohead nennen. Das sind alles sehr intensive, hingebungsvolle, eindringliche Alben. Björk hat mal gesagt, dass sie mit diesem Album eins erschaffen wollte, das mehr ist als seine individuellen Tracks, sondern eine Welt, in die du eintauchen und in der du versinken willst.

Actress – R.I.P (Honest Jon’s, 2012)

Für mich ist Actress ebenso einzigartig wie die anderen Künstler. R.I.P kam 2012 heraus – für mich eine Zeit des Übergangs. Ich mache Musik, seit ich Teenager bin, und lege auf, seit ich 18 bin, aber bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine wirkliche Perspektive. Ich hab zu dieser Zeit in einem Plattenladen in London – namens Pure GROOVE by the way – gearbeitet. Als der dann schließen musste, war ich erstmal aufgeschmissen. Ich war Anfang 20 und musste mich entscheiden: Will ich weiter mit der Musik von anderen Leuten arbeiten oder mich auf meine eigene Musik konzentrieren? Das war eine verrückte Zeit. Actress war damals eine große Inspiration. Er hat mir gezeigt, dass elektronische Musik nicht eindimensional sein muss. Ich habe nie versucht, seinen Sound zu kopieren, aber er war für mich immer sehr inspirierend. Bis heute. Besonders stolz bin ich darauf, dass er just einen Track von mir geremixt hat. Und er bleibt für mich bis heute einer der inspirierendsten Künstler*innen aus Großbritannien.

Theo Parrish – Falling Up (Carl Craig Remix) (Third Ear, 2005)

Theo Parrish und Carl Craig veröffentlichen schon lange Musik und haben es geschafft, ihr Niveau stets zu halten. Ich bin 2006 nach London gezogen, und ihr Sound ist noch immer so spannend wie früher. Mit dem Track verbinde ich Großstadt, Freunde, Party, Drogen, einfach ein neues Leben. Ich finde, das ist eine perfekte Techno-Nummer. Ich könnte aber auch eine direkte Linie von diesem Song zu QOTSA und My Bloody Valentine ziehen. Die kommen alle aus ganz verschiedenen Zusammenhängen, sind aber gleichwohl trippy und psychedelisch.

Dennoch ist Indie-Rock dein grundlegendster Einfluss?

Ich würde das nicht unbedingt sagen, nein. Es war meine erste Liebe. Aber wenn du alle diese Alben in einen Trichter schiebst, dann würde ich vermutlich als Ergebnis unten rauskommen. Mein Sound und mein Style ist von allen gleichermaßen beeinflusst.

Das neueste Album aus deiner Liste ist von 2013. Hat das was zu bedeuten?

Guter Einwand! Aber nein, ich glaube nicht, dass das was zu bedeuten hat. Ich versuche noch immer, so viel neue Musik wie möglich zu hören. Aber es ist schon weniger als früher, weil ich viel Zeit darauf verwende, selber Musik zu machen. Aber ein Musik-Fan bin ich noch immer. Es ist so großartig, dass ich das als Job machen kann. Und zugleich genieße ich Musik noch immer wie das Kind damals, das mit neun Nirvana auf Tape gehört hat. Fan-Sein steht an erster Stelle. Alles andere ist für mich ein Bonus.

Vorheriger ArtikelElec Brown: Trackpremiere von „Sombrero Cosmos”
Nächster ArtikelOstgut Ton: Geburtstags-Stream aus der Halle am Berghain