Jon Hassell auf dem Cover von „Fourth World Vol 1: Possible Musics” (Foto: William Coupon)
Am vergangenen Samstag ist Jon Hassell im Kreis seiner Familie verstorben. Das gaben seinen Angehörigen am Sonntag bekannt. Der Trompeter und Komponist ist einer der einflussreichsten Musiker*innen des 20. Jahrhunderts. Er hob die Grenzen zwischen ethnischer und klassischer Musik, zwischen Ambient und Jazz, zwischen traditionellen und elektronischen Instrumenten auf. Er mache „ebenso primitive wie futuristische Musik, indem er die traditionellen Musikstile der Erde mit den elektronischen Klängen der Gegenwart verbinde”, erklärte er in einem Interview. Jon Hassell wurde 84 Jahre alt.
Bereits auf seinem 1978er Debütalbum Earthquake Island und dem im selben Jahr erschienenen Verbal Equionox legte er den Grundstein für seine lebenslange Beschäftigung mit der Fourth World Music. Damit wollte Hassell die hierarchische Unterscheidung zwischen der Ersten, der Zweiten und der Dritten Welt überwinden und dem musikalischen Erbe der Erde Rechnung tragen. Dafür strebte er eine Synthese zwischen den elektronischen Klängen und der ethnischen Musik an, in der das kulturelle Erbe der spezifischen Ethnien gespeichert ist. So entstand ein Cocktail aus Ambient, New Age, Jazz und Tribal-Klängen.
Die musikalische Laufbahn des 1937 in Memphis geborenen Hassell ist eindrucksvoll. Früh machte er Bekanntschaften mit Avantgardisten jedweder Façon. Für Minimal-Music-Vordenker Terry Riley, einem Kommilitonen an der State University of New York, spielte er Trompete in dessen einflussreichen, monumentalen Werk In C. La Monte Young half er bei dessen Projekt Theatre of Eternal Music. Während eines Studiums in Köln bei Karlheinz Stockhausen machte er – wenig überraschend – Bekanntschaft mit Holger Czukay und Irmin Schmidt, den späteren Gründern der einflußreichen Kosmische-Band Can, und führte mit ihnen gemeinsame Rauschexperimente durch. Wirklich bekannt wurde er jedoch erst 1980, als er gemeinsam mit Brian Eno Fouth World Vol. 1: Possible Musics veröffentlichte.
Hassells Musik war nie aufdringlich, teilweise fast schon unscheinbar. Und so verwundert es mitunter, zu welchen Meilensteinen der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts er seinen unverkennbaren Sound beisteuerte. Genannt seien da Remain in Light der Talking Heads, Brilliant Trees von David Sylvian oder Passion von Peter Gabriel. Zudem arbeitete er mit Ry Cooder, kd Lang und Tears for Fears.
Auch im Alter strebte er noch Genre-entgrenzende Kollaborationen an. Seine Aufgeschlossenheit wird deutlich, wenn man sich mit seinen Beisteuerungen zu Techno Animals Album Re-Entry vertraut macht. Stets schaffen seine Klänge eine entrückte, fremdartige, jedoch sehr entspannte Atmosphäre.
Die Arbeit an seinem Buch über die 4th World Music und viele weitere Projekte bleiben unvollendet. Zu seinen bekennenden Fans gehören u.a. Zola Jesus, Kero Kero Bonito und Matmos. Nach einem Beinbruch im letzten Jahr verbrachte Hassell vier Monate im Krankenhaus in Isolation. Um ihn und seine Familie zu unterstützen, wurde ein Fundraiser gestartet. Er sollte sich von dem Unfall letztendlich nicht mehr erholen.
Unser Zeitgeschichten-Interview mit Jon Hassell findet ihr hier.