DJ Di’jital – ElectroHop II (Trust)
Die 808 muss brennen! Detroit-Original DJ Di’jital schleicht sich ins Kraftwerk von Cybotron, taucht mit Drexciya ab und bringt Gerard Hanson gegen die Jungs von Aux88 auf – und alles nur, um an der alten Roland-Maschine rumzuzwirbeln, als hätte sich Bambaataa gerade das Erdungskabel in den Mund gesteckt. Dabei greift Di’jital seit über zwei Jahrzehnten und für das Wiener Label Trust schon zum zweiten Mal in den Stromkasten. ElectroHop II schwingt mit sechs Abrissbirnen in die Plattensammlung und zerdeppert abwechselnd Samples aus Ballroom oder Maschinenkeller. Die Kicks schlagen Löcher in Beton, der Bass lässt den Schweiß von der Decke triefen. Hi-Hats repetieren schneller als zehn Millimeter aus der Automatischen. Was DJ Di’jital aus seinem Drumcomputer quetscht, sind keine Beats, sondern Signale als Aufruf zur Militanz. Electrohop II ist Maschinenmusik aus fremden Welten; eine sonische Sonde, die sich in die Erdumlaufbahn verirrt hat, um uns zu blenden; eine Planierraupe, deren Wucht die Geister der Vergangenheit zurück in ihre Löcher walzt und sie – heller als die Sonne – aufsteigen lässt, um den Horizont zu erweitern, ihn zu erhellen und nach drei Salven aus dem Munitionslager für Hi-Hats zu sprengen. Christoph Benkeser
Katatonic Silentio – Tabula Rasa (Ilian Tape)
Die Italienerin Katatonic Silentio macht schon seit langem experimentelle Soundstudien und ist auch als DJ bereits seit 2006 aktiv. Auf Vinyl finden ihre kataklysmischen Klänge jedoch erst seit Kurzem Veröffentlichung. Bei Ilian Tape, dem Münchner Aushängeschild für vorwärtsgewandten, bassgewaltigen und gern abseits der Norm agierenden Techno, ist ihre EP daher bestens aufgehoben.
Während der Opener „Shy Fy” noch gänzlich ohne Rhythmen auskommt, sondern als vorsichtig gearbeitete Hülse für Hall und Bass dient, schält sich auf „When You Think It’s Over” langsam ein gebrochener Beat aus den Samples einer Geräuschkulisse. Komplexes, berechnetes Sounddesign verschmilzt hier gekonnt mit organischer Wärme.Die A3 klingt wie eine Slow-Mo-Variante aus Electro und Dubstep und setzt die Tradition der dystopischen Soundscapes fort, während das verschrobene „Midnight Train Breaking Through” auf der Flip schließlich der Entwurf einer Acid-Dub-Version von Drum’n’Bass sein könnte. Der Titeltrack selbst aber zieht sich zurück auf die Ebene eines Soundtracks für den Film im Avant-Garde-Kopfkino, wo scheinbar gar nichts so recht zusammenpassen will – auch ok, aber bleibt unterm Durchschnitt. Spannender dann noch die Digi-Dreingabe „Cartography Of Nowhere”, die mit ihren raumgreifenden Subs und spärlich gesetzten perkussiven Elementen an die grandiosen Half-Time-Experimente des Manchester Duos Akkord erinnert. Leopold Hutter
O-Wells – Subfriction EP (A.R.T.less/Mojuba)
Im fröhlich untoten Techno-Genre ist es ja verschärft eine Frage der feinen Unterschiede, ob die von den Produzent*innen dieser Tage zusammengestellten elektronischen Klänge für belebendes Aufhorchen sorgen oder gelangweiltes Abwinken hervorrufen. Beim Frankfurter Lennard Poschmann alias O-Wells kommt die Gegenwart auf seiner Subfriction EP vor allem mit dem Beat aus den Boxen. Unverbraucht legen sich seine avanciert programmierten Rhythmus-Spuren übereinander, wuseln futuristisch-tribalistisch vor sich hin. Selbst da, wo eine altbekannte Rimshot der TR-808 nach vorne drängt („Scope”), geschieht dies in sorgsam klischeebefreiter Umgebung. Auch kleine Electro-Referenzen, die sich in zwitschernden Synthesizern zu erkennen geben („Headspace”), klatscht Poschmann nicht einfach als Zitat dazwischen, sondern spinnt seinen Einfall fort. Bewegung überall, geht immer weiter. Tim Caspar Boehme
Sam Binga & Chimpo – Maison Bingâ Chimpoix presents Ultra Luxe (Critical Music)
An der Schwelle zu den Zehnerjahren war Drum’n’Bass in keinem besonders guten Zustand. Das Genre war beherrscht vom immergleichen 2-Step-Beat und nervtötenden Loudness-War-Produktionen. Dass es aber bald wieder stets bergauf ging, ist nicht zuletzt dBridge zu verdanken. Der lüftete mit Autonomic (Clubnacht, Podcast und Label) mal kräftig durch. Einflüsse wie Footwork, Grime, Dubstep und Hip Hop hielten Einzug. Drum’n’Bass hatte eine seiner Stärken zurückgewonnen: die Fähigkeit andere Genres wie selbstverständlich zu absorbieren. Davon beeinflusst, begann Sam Binga aus Bristol in den frühen Zehnerjahren seine Karriere. Seine DJ-Sets spannen einen Bogen, der von Jungle-Rollern über Halftime bis hin zu Hip Hop oder Dancehall reichen. Sein Spektrum als Produzent ist noch einen Tick offener. Drum’n’Bass und Halftime mögen im Zentrum stehen, aber der Mann mit der umstrittenen Topknot-Frisur macht auch nicht vor Garage, Techno oder House halt. In den letzten Jahren hat er immer wieder mit Chimpo gearbeitet, der kommt als Produzent (ein recht eigenwilliger Rapper ist er obendrein) eigentlich aus der Welt von Grime und Hip Hop, doch in schöner Regelmäßigkeit haut Sam Bingas Kumpel aus Manchester immer wieder unwiderstehlich charmante Drum’n’Bass-Banger raus – ob Old School oder New School ist ihm dabei völlig egal. Nun haben die beiden Herren das fiktive Haute-Couture-Haus Maison Binga Chimpoix gegründet und dabei offenkundig eine Menge Spaß gehabt. Die EP startet mit dem ultraenergetischen Jungle-Roller „Rude AF” – die Produktion ist transparent, die Bassline fräst jegliche Lethargie unbarmherzig weg. Auf diesem Level geht es mit „Murda Dem” weiter, ein Wobble-Tune mit MC-Verstärkung durch Slay. Auch mit dem nächsten Track bleiben die beiden bei 172 BPM, „Draco Gas” schichtet Beat-Layer auf Beat-Layer. Zwischendrin Dub-Sounds und eine arg verbeulte Harmonika, die das zentrale Thema spielt. Zum Schluss gibt’s mit „Ultra Luxe” noch ein Stück, das klassischen Electro mit ein wenig 2-Step kombiniert. Ganz groß. Holger Klein
Unknown – Knef (MASK)
Wer oder was sich auch immer hinter den Veröffentlichungen auf Mask verbirgt, hat den Bogen raus: Seit 2017 erscheinen hier Tracks eines (oder mehrerer?) anonymer Producer, die so mysteriös wie attraktiv wirken. Gesicherte Erkenntnisse dazu sind rar: Sowohl Ähnlichkeiten im Artwork als auch die Tatsache, dass die Releases auf deren Homepage gelistet sind, deuten darauf hin, dass es sich um ein Sublabel von Zaijenroots handeln könnte. Ebenso vage die Hinweise auf den Facebook-Accounts von Zaijenroots-CEO Matt Nowak, auch bekannt unter dem Pseudonym No Mad Ronin und als Mitglied von Bratha, oder Zenta Skai: Beide featuren Mask-Tracks, nennen aber keine Einzelheiten. Sicher dagegen ist der enorme Radius des musikalischen Horizonts, der hier aufgezogen wird: Deep House und Techno finden genauso statt wie Disco und Ambient. Was auf dem Papier nach Beliebigkeit klingt, trägt aber in Wirklichkeit auf Knef die dezidierte Handschrift roher, übersteuerter Bass-Sättigung. Mit sechs Tracks fast schon ein Mini-Album, gibt es mit „A1“ und „B2“ sogar zwei klandestine Hits. Sowohl in Bezug auf die Radikalität der Soundästhetik als auch hinsichtlich der Kritik an gängigen Aufmerksamkeitsmanipulationsmechanismen sind Parallelen zu Pom Pom nicht von der Hand zu weisen. Harry Schmidt