David Vunk – Bunker 4017 (Bunker)
Wer den Paradiesvogel David Vunk schon mal bei einer seiner Redlight-Radio-Sessions oder gar live zu hören und sehen bekam, der*die dürfte schon antizipieren, dass es auch bei seiner neuen Veröffentlichung auf dem Den Haager Imprint Bunker hyper-extrovertiert und freaky zur Sache geht. Dass dieses match made in heaven nicht schon viel früher zustandekam, bringt schon deshalb zum Staunen, weil Vunk mit seiner herrlich entwaffnenden Punk-Attitüde, positiven Abgedrehtheit und einem exzessivem DJ- und Produktionsstil aus Post-Postmodernem Italo Disco und Strobo-Massaker-Acid-Techno den vor langer Zeit von Guy Tavares, I-F und Rude 66 geebneten Weg entlang schreitet und mit sympathischer Mühelosigkeit noch weiter auszubauen vermag. Mit dreckig verzerrter Kickdrum, brutalem 303-Ansturm und provokanter DIY-Vokaleinlage ist der Einstieg schon ein Statement an sich und zeigt auf, wie Vunk den geschichtsträchtigen Bunker-Sound (re-)interpretiert. Seinen analogen Roland-Maschinenpark weiter an seine Grenzen bringend und mit Pegeln stets im roten Bereich, sind auch die nächsten zwei Tracks der feuchte Traum eines jeden nervös zuckenden Dancefloor-Freaks auf zu viel Amphetamin. Last but not least bringen „Bahn 74” und „MSD” zum Acid-Spasmus noch schöne Horror-Strings mit sich und schließen somit diese rundum solide Platte ab. Über das Bunker-Artwork, das zerbombte Den Haag im Zweiten Weltkrieg, lässt sich übrigens immer noch fabelhaft streiten. Andreas Cevatli
Hodge – Remixes In Blue (Houndstooth)
Ende des Jahres hat Houndstooth eine Remix-EP mit Stücken von Hodges Debüt-LP aus dem vergangenen April herausgebracht. Während der Produzent aus Bristol darauf erstmals ausgiebiger die Gefilde zwischen Dubstep, Techno und House – aber abseits des Dancefloors – erforschte, bringen seine Remixer den Vibe jetzt zurück zur Party. Der Manchester-Act Anz injiziert dem bedrohlichen Drum-Workout „Lanes” mit zusätzlichen Synths und Vocalschnipseln eine gehörige Portion Rave-Spirit, während die heimischen Bristol-Kollegen Facta & K-Lone den trippigen Steppa-Tune „Sense Inversion” auf seine sub-bassige Essenz herunterbrechen und in einen extrem zurückgelehnten Groove verwandeln.
Shanti Celeste nimmt sich das gemächliche „Lanacut” vor, und zaubert aus der mystischen Vorlage einen positiv bouncenden House-Track mit dem nötigen Etwas an Tiefgang. Surgeon widmet sich dem Titeltrack „Shadows In Blue” auf fast zurückhaltende Weise: Er behält die erzählerische Entwicklung des Stücks bei, fügt der von World-Percussion geprägten Gesamtästhetik aber genau den richtigen Drive hinzu, um den Titel auch für den großen Dancefloor tauglich zu machen. Der vielleicht intensivste Track auf der Originalplatte, „Ghost Of Akina”, bekommt ein angemessenes Rework von der Manchester Künstlerin AYA, die den Track komplett dekonstruiert, in unterschiedlichen Rhythmen wieder zusammensetzt, changierend zwischen Ambient, Drum’n’Bass und Bass. Den Abschluss macht der New Yorker Kush Jones, einzige*r Nicht-UK-Künstler*in auf der Platte, mit seinem Remix von „The World Is New Again”. Dem ruhigen, aber dennoch abseitigen Track haucht er eine gehörige Portion Leben mit zusätzlichen Streichern und dezent gesetzten Footwork-Akzenten ein. Eine gelungene Rundum-Erneuerung einer sowieso schon starken LP, die einem das Warten auf wieder geöffnete Clubs nur verschönern kann. Leopold Hutter
Kessler – Ambivalent EP (Shall Not Fade)
Von Belfast nach Rotterdam: Der irische, in Holland lebende Produzent Eddy Kennedy alias Kessler setzt mit seiner ersten EP für das Bristoler Label Shall Not Fade auf Kontraste. Seine Beats geben alles her, was das Arsenal aus der Tradition von Dubstep, Breakbeat und Drum’n’Bass an kurzangebundenen Synkopen bietet, darüber gleiten Synthesizerflächen, wie man sie eher von atmosphärisch bis introspektiv gehaltenem Deep House kennt. Der Plattentitel Ambivalent fasst den Ansatz bündig zusammen: Nervöse heaviness stößt auf luftige Wehmut, dazwischen immer mal nostalgische Einsprengsel. Für sich genommen ist jede der Ebenen dabei recht herkömmlich bis orthodox gestaltet. Kessler sucht weder nach radikaler Beat-Innovation noch nach allzu überraschenden sonstigen Sounds. Die Kombination geht gleichwohl hervorragend auf, vielleicht auch dank seiner Vorliebe für Spoken-Word-Samples, die als weitere Ebene hinzukommen. Ob vermittelnd oder als Irritation gedacht, ist unerheblich: Kesslers Herangehensweise bewahrt die sechs Nummern vor Routine-Gähn, lässt sie stattdessen zu einem Biest ganz eigener Art heranwachsen. Tim Caspar Boehme
Raxon – Doom EP (Cocoon)
Mit Bands wie Metallica oder Nirvana, mit 90er-Jahre-Rap von Snoop Dogg und Soundtracks wie denen von Blade Runner oder Matrix wuchs Raxon in Abu Dhabi auf – ganz ohne Plattenläden geschweige denn elektronische Musikszene. Mit geerbten CDs, vollgepackt mit 90er-Jahre-House, die er auf kleinen Hauspartys spielte, wuchs auch sein Interesse am Auflegen, dank dem lokalen DJ AfroBoogie schließlich auch am Produzieren. Wer dann noch eine Karriere als Architekt für eine Residency bei Audio Tonic in Dubai aufgibt, meint es in jedem Fall ernst. Nach seinem Umzug nach Barcelona und dem viral gegangenen Remix für Noir & Olivier Giacomottos „Reste” folgten Releases auf etablierten Labels wie Ellum, Diynamic und Kompakt. Nach „The Turbulent” für die Cocoon Compilation S im August 2019 kehrt er für seine erste Solo-Veröffentlichung zum Frankfurter Label zurück. Mit zwei Titeln, die den dringenden Drive seiner früheren Arbeit versprühen, zapft Raxon seine Old-School-Einflüsse an, um seinen zurückgenommenen, aber melodischen Signature-Sound neu zu interpretieren. „Doom” verwendet saubere, präzise Beats, klirrende Maschinen-Percussions und eine fette, pulsierende Basslinie, die den Track nach vorne treibt. Die heruntergepitchten, zerschnittenen Vocal-Samples haben einen großen Effekt und erinnern an die abgedrehten Träumereien auf Yellos Klassiker „Oh Yeah”. Futuristischen Techno-Funk findet man auch in „2121” wieder. Hier dreht sich alles um das Zusammenspiel zwischen Sci-Fi-Akkorden und perkussiven Alien-Bleeps, die im Rhythmus der Kickdrum mit der melodischen, ständig modulierenden Bassline hin- und herkommunizieren. Der Groove wird nochmals verstärkt durch ein geradliniges, simples Drumpattern im nostalgischen Old-School-Katy Perry-„Hot N Cold”-Stil. Bearbeitete Gesagsschnipsel runden auch diese Nummer ab und verleihen dem Ganzen einen spacigen Vibe – und einen Hauch von Chaos. Simon Geiger
Redray – Technology Machine (Jack Playmobil)
Redray klingt nach acht Schätzen, die mit Laseraugen alles zerballern, was sich der Bassdrum in den Weg stellt. Die Synthies tauchen wie zu Drexciyas besten Zeiten im Neoprenanzug ab und blubbern mit Laternenfischen in der Dunkelheit, während Detroit einen Geschenkkorb über den Atlantik in die Megametropole Antwerpen schleudert. Für Redray. Von Donald. Mit Technology Machine veröffentlicht der Typ hinter dem aquageilen Strahlen-Pseudonym wieder neue Musik. Die erste Platte seit 2012. Nicht gerade das, was bekiffte Resident-Advisor-Journalist*innen „prolific” nennen, aber: Würden sich nur mehr Leute so viel Zeit wie Redray nehmen, es gäbe weniger Platten, die man aus Lust an der Zerstörung gegen eine Wand pfeffern müsste. So jackt man zu Blubber-Bumms über fünf Tracks, die sich zwischen Neptunstaufe und Space-Place-Geschwurbel im Playmobil-Land verchecken, ohne unter- oder in die Luft zu gehen. Weil Redray keinen Bock hat, seinen echten Namen auf die Platte zu packen und lieber Tattoo-Vorlagen (seriously!) aufs Cover malt, bekommt auch niemand mit, wer hier acht Jahre lang im Studio gefaulenzt hat. Schöne Sache, diese Anonymität der Großstadt. Christoph Benkeser